EU-Knatsch reicht bis nach NRW

Nach dem Scheitern des Gipfels am Samstag herrscht Ratlosigkeit über die Zukunft der EU-Förderung. Die Landwirte wehren sich gegen ihre Rolle als Sündenbock: „Die Politik begeht Wortbruch“

VON ULLA JASPER

Die Auswirkungen des gescheiterten EU-Gipfels am vergangenen Wochenende sind bis nach Nordrhein-Westfalen zu spüren. Weil sich die EU-Staats- und Regierungschefs nicht auf eine gemeinsame Finanzplanung für den Zeitraum von 2007 bis 2013 einigen konnten, herrscht im Land nun Ungewissheit über die zukünftige Förderung aus Mitteln der Union.

„Die EU-Kommission wird nun von den Landesregierungen keine neuen Vorschläge für Förderprogramme entgegen nehmen, weil niemand weiß, wie es genau weiter geht“, erklärt der westfälische Europaabgeordnete Helmut Kuhne (SPD). Juristisch sei es zwar auch unter den aktuellen Gegebenheiten möglich, Fördergelder zu bewilligen, praktisch jedoch nicht. Auch in der Düsseldorfer Staatskanzlei sieht man den Verlauf des Gipfels mit Sorge. „Es kann durchaus sein, dass man nun aufgrund der ungewissen Finanzlage für die nächsten fünf Jahre in Zeitverzug gerät“, bestätigt auch ein Sprecher des Ressorts für Europaangelegenheiten. „Es hängt nun alles im luftleeren Raum.“

In der 2006 zu Ende gehenden Finanzierungsperiode hat NRW noch in großem Ausmaß von den Fördermöglichkeiten aus Brüssel profitiert. Vor allem das so genannte „Ziel-II“-Programm förderte insbesondere Regionen, in denen das Wirtschaftswachstum sowie die Beschäftigungsrate unter dem EU-Durchschnitt lagen. Das Ziel-II-Gebiet umfasste bisher weite Teile des Ruhrgebiets, des Kreises Heinsberg sowie der Städte Ahlen und Krefeld. Gemeinsam mit dem Land NRW, das einen Teil der Gelder kofinanziert, hat die EU im Rahmen dieses Programmes bis 2006 knapp zwei Milliarden für den strukturschwachen Raum bereitgestellt. Gefördert werden sollten Unternehmensneugründungen ebenso wie die Wiedereingliederung von Arbeitslosen, Dienstleistungs- und Infrastrukturprojekte. Insgesamt rund 40 Prozent des EU-Haushalts werden bisher für die Strukturfördermaßnahmen investiert.

Unabhängig vom Scheitern des jetzigen Gipfels war jedoch schon vorher klar, dass sich NRW in Zukunft mit weniger Hilfen aus Brüssel begnügen muss. Wegen des Beitritts der neuen EU-Mitglieder verschiebt sich der Schwerpunkt der Förderung gen Osten – wenn sich die Staatschefs auf den Finanzrahmen einigen können. „Wenn nicht, bleibt vorläufig erst einmal alles beim alten“, so SPD-Parlamentarier Kuhne zur taz nrw. Hauptverlierer wären dann die neuen EU-Mitglieder. Denn sie werden erst ab 2007 in vollem Umfang von der Förderung profitieren. Doch auch Nordrhein-Westfalen wird in Zukunft mit einem geringeren Budget aus Brüssel auskommen müssen: „Dass die Ziel-II-Mittel für NRW abgeschmolzen werden, steht schon jetzt außer Frage“, sagt Kuhne.

Gefördert wird in Nordrhein-Westfalen bald nicht mehr regional, sondern allein ausgewählte „zukunftsweisende“ Projekte. In welchem Umfang, hängt nicht zuletzt ab von der neuen Landesregierung. Da die Projekte kofinanziert werden, fließen EU-Gelder nur, wenn sich die Landesregierung ihrerseits beteiligt. Dass die neue Landesregierung aus CDU und FDP den bisherigen Kurs der rot-grünen Regierung beibehalten wird, scheint aber zweifelhaft. „Rüttgers hat ja schon angekündigt, dass rigoros gespart werden soll“, heißt es im Ressort für Europaangelegenheiten, das der Staatskanzlei angegliedert ist.

Dass nun vor allem die Agrarsubventionen – sie machen rund 40 Prozent des jährlichen EU-Budgets aus – in der Diskussion stehen, stößt bei den Landwirtschaftsverbänden auf harsche Kritik. Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktionschef im Bundestag, hatte zuvor gefordert, die Agrarausgaben der Union deutlich zu reduzieren. „Die Politik begeht Wortbruch, wenn sie jetzt die Agrarsubventionen kürzen will“, sagte der Präsident des Westfälisch Lippischen Landwirtschaftsverbands, Franz-Josef Möllers. Die erst kürzlich verabschiedete Agrarreform basiere schließlich auf der Zusage, die Beihilfen bis 2012 unangetastet zu lassen.