Fotografinnen aus Afghanistan: Souveränität über das eigene Leben

Im Rathaus Neukölln ist eine sehenswerte Ausstellung von Fotografinnen aus Afghanistan etwas versteckt präsentiert.

Auf drei Bildausschnitten sieht man Granatäpfel mit Nägeln

Ausschnitt aus Tahmina Alizada Triptychon „Anar lebt“ Foto: Tahmina Alizada

Rebecca Schönenbach vom Verein „Frauen für Freiheit“ sagt Erstaunliches: dass die Bilderpräsentation unter dem Titel „Was uns die afghanischen Frauen zu sagen haben …“, die in der ersten Etage des Rathauses Neukölln aufgestellt ist, zwar als Wanderausstellung konzipiert ist, aber es in Berlin, überhaupt in Deutschland wenig Nachfrage für die Arbeiten der sechs Fotokünstlerinnen gibt. „Pforzheim, da ist was geplant“, sagt sie, aber sonst?

Das Interesse liegt aktuell wohl nicht mehr bei einem Thema wie Afghanistan. Der Neuköllner Bürgermeister Martin Hikel (SPD) zeigt so durchaus Mut, die Exposition in seinem Rathaus zu präsentieren. Oder waren seine warmen Worte zur Eröffnung nur von hohler Courage? Denn auf der Website des Bezirks findet sich kein Hinweis auf dieses von vielen Institutionen geförderte Projekt afghanischer Frauen.

Es ist, als würde es dieses Zeugnis von Flucht und persönlich-politischer Selbstermächtigung von fünf weiblichen, sich keinem Islamismus beugenden Personen, von denen eine in Deutschland ihr Zufluchtsland gefunden hat, nicht geben. Man muss wissen, dass man diese kleine Schau in der ersten Etage findet, Hinweise fehlen vor Ort.

Die Bilder der Künstlerinnen, die allesamt aus Afghanistan und vor den Taliban fliehen konnten, verströmen sehr ausdrücklich eine Botschaft: Lest unsere Bilder nicht als Ausdruck von Kultur, sondern als Protest gegen den kulturalisierten Blick des Westens. Das Regime in Afghanistan will Frauen nicht gleichberechtigt, sondern als Dienerinnen des Mannes, nötigenfalls wird, um diesen Anspruch durchzusetzen, ausgepeitscht, gezüchtigt, getötet.

Wenig Schutz vor islamistischem Sittenkodex

Die Ausstellung ist ein Dokument gegen die Vorstellung, Kritik an den talibanischen Verhältnisse in Afghanistan setze sich Gefahr kolonialen Hochmuts aus. „Oft höre ich: ‚Das ist ihre Kultur‘. Aber seit wann ist Unterdrückung und Ermordung von Mädchen und Frauen eine Kultur? Ist das hier nicht eine postkoloniale und sogar rassistische Sichtweise“, sagte Naϊla Chiki von der Gruppe „Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung“ bei der Podiumsdiskussion zur Eröffnung – eine gewichtige Stimme aus dem nichtreligiösen Spektrum der Einwanderungsgesellschaften.

„Was uns Afghanninen zu sagen haben“, im Rathaus Neukölln, Foyer, 1. Stock, Mo.–Fr. 8–20 Uhr, bis 10. Dezember.

Einzelne Exponate von Tahmina Alizada in der Bajszel Bar, Emser Str. 8/9, Kirsten-Heisig-Platz in Neukölln, täglich ab 18 Uhr

Viele Frauen, oft, wie es hernach hieß, die eben frisch nach Deutschland flüchten konnten und hier Sicherheit zu finden hoffen, nahmen an diesem Tag teil. Und, darauf wiesen andere hin, sie fühlen sich wenig geschützt vor dem islamistischen Sittenkodex, dem sie sich in manchen Vierteln Berlins ausgesetzt sehen und dem sie mit ihrer Flucht aus Afghanistan zu entkommen hofften.

Dies zu artikulieren mag das Kulturelle schlechthin, eben an dieser Stelle die Fotografien, etwas in den Hintergrund treten lassen: unverdient. Fatima Hossaini, Najiba Noori, Tahmina Salem, Tahmina Alizada – von der das ergreifende Foto einer Frau stammt, die ein Verhüllungstextil hinter ihren Rücken gleiten lässt („Meine Identität ist nicht verborgen“) – und Roya Hadari haben auf ihre je eigene Weise ihre schwesterliche Solidarität künstlerisch zum Ausdruck gebracht.

Was ihre Bilder, besser: die darauf zu sehenden Frauen eint, ist Kampfesmut, mehr als nur ein Gran Souveränität über das eigene Leben – ohne Leibeigene des religionsmännlichen Regimes zu werden.

Am stärksten jedoch ist eine Montage von Tahmina Alizada, auf der drei Granatäpfel zu sehen sind, perforiert durch kleine Nägel: „In dieser Serie habe ich versucht, zwei Symbole (den Granatapfel – Anar – und den Nagel) zu verwenden, um eine unabhängige weibliche Identität und die Einschränkungen, die Frauen auferlegt werden, zu veranschaulichen“, schreibt sie erläuternd.

Hier ist an sinnlicher Erfahrung verdichtet, was als politisches Programm naheliegt, worüber es aber in der deutschen Außenpolitik keinen Konsens gibt: Die Regierung der Taliban nicht mit der Wiedereröffnung der deutschen Botschaft in Kabul zu nobilitieren. Höchste Stellen im Außenamt wollen das nicht, andere fordern Realpolitik.

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