Thüringens Innenminister über Parteiverbot: „Die AfD ist verfassungsfeindlich“

Georg Maier meint, dass man das AfD-Verbotsverfahren jetzt vorbereiten sollte. Das müsse aber begründet sein, erklärt der SPD-Politiker.

Georg Maier sitzt im Parlamentssaal mit weißem Hend, Telefon und akten auf dem Tisch

Georg Maier glaubt nicht, dass die AfD ohne das krisenhafte Umfeld so gut dastehen würde Foto: Jacob Schröter/imago

taz: Herr Maier, Sie haben schon vor zwei Jahren ein AfD-Verbot ins Spiel gebracht. Nachdem jetzt eine Ex-AfD-Abgeordnete an Putschplänen beteiligt gewesen sein soll – fühlen Sie sich bestätigt?

Georg Maier: Ein Stück weit schon. Damals habe ich ja nicht von einem sofortigen AfD-Verbot gesprochen, sondern ich habe gesagt: Das ist Ultima Ratio, wenn sich diese Partei weiter radikalisiert. Und diese Radikalisierung habe ich kommen sehen. Die AfD hier in Thüringen ist besonders radikal, und damals war schon klar, dass Björn Höcke den Laden vollständig im Griff hat und nach Höherem strebt. Und jetzt sieht man nicht zuletzt aufgrund dieser Razzien, dass die Radikalisierung erheblich vorangeschritten ist.

55 Jahre alt, ist Innenminister, stellvertretender Ministerpräsident und SPD-Landeschef in Thüringen. Der Diplom-Kaufmann wurde im baden-württembergischen Singen geboren und hat lange in Frankfurt am Main gearbeitet.

Ist es aus Ihrer Sicht jetzt also an der Zeit für ein AfD-Verbotsverfahren?

Ich bin der Auffassung, dass man das Verbotsverfahren jetzt vorbereiten sollte.

Was heißt das genau?

Das heißt, dass wir die Dinge sorgfältig aufbereiten müssen. Wir wissen ja, spätestens seit dem Verbotsverfahren gegen die NPD, wie hoch die Hürden sind. Und was für ein Schaden angerichtet werden kann, wenn das Verfahren scheitert. Ich denke aber, dass wir bei der AfD an einige Punkte bereits einen Haken machen können.

An welche? Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur NPD drei Kriterien benannt: dass erstens die Partei wesentliche Prinzipien des Grundgesetzes ablehnt, insbesondere die Garantie der Menschenwürde und den Gleichbehandlungsgrundsatz. Zweitens die Relevanz, also dass die Partei die Möglichkeit hat, ihre Ziele umzusetzen. Und drittens die aggressiv-kämpferische Haltung, also Gewaltbereitschaft.

Genau das sind die Punkte. Die AfD ist klar verfassungsfeindlich. Das haben wir belegt. Der Verfassungsschutz hat die AfD in Thüringen ja als rechtsextreme Bestrebung eingestuft. In unserem neuen Verfassungsschutzbericht wird das noch einmal sauber aufbereitet. Die AfD verheimlicht kaum noch, dass sie versucht, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen. Sie strebt ja nicht nach demokratischen Mehrheiten im Parteienwettbewerb, sondern sie möchte dieses System überwinden. Ihre Bedeutung ist leider auch eindeutig gegeben. Laut Umfragen könnte die AfD in Thüringen stärkste Kraft sein, und das kann in anderen Bundesländern auch der Fall sein. Und jetzt kommen neue Belege hinzu – die Festnahmen von AfD-Mitgliedern im Zusammenhang mit den Umsturzvorbereitungen von Reichsbürgern. Es war ja durchaus auch bereits aggressives Verhalten, als AfD-Abgeordnete vor zwei Jahren Störern Zugang zum Bundestag verschafft haben. All das sollte man jetzt zusammentragen.

Was würde hier in Thüringen, wo derzeit ein Viertel der Wähler und Wählerinnen für die AfD stimmen würden, ein Verbotsverfahren bedeuten? Sehen Sie die Gefahr einer weiteren Radikalisierung?

Nein, es ist nicht so, dass alle Menschen, die jetzt ihre Sympathie mit der AfD bekunden, Verfassungsfeinde oder Rechtsextremisten sind. Die AfD nutzt derzeit sehr geschickt die zahlreichen Krisen, in denen wir stecken, um Protestwähler einzusammeln. Ich bekomme selbst mit, wie Leute aus dem bürgerlichen Umfeld, etwa Gewerbetreibende und Handwerker, sehr unzufrieden sind, erst mit der Coronapolitik, jetzt mit der Sanktionspolitik. Sie tendieren zur AfD, weil sie der Meinung sind, dass sie die einzige wirkliche Oppositionspartei ist, die denen da oben mal so richtig den Marsch bläst. Ich glaube, die allermeisten haben sich nicht damit auseinandergesetzt, dass diese Partei einen Systemwechsel will. Insofern kann auch ein Verbotsverfahren dazu führen, dass die Menschen sich mit der Materie befassen.

Aber Sie haben den Landesverband als erwiesen rechtsextrem eingestuft, dieses Stoppzeichen also bereits gesetzt. Was hat sich denn dadurch verändert?

Man muss berücksichtigen, dass das Umfeld derzeit natürlich ein sehr schwieriges ist mit diesen gravierenden Krisen in kurzer Folge. Das ist Treibstoff für die AfD. Ich glaube nicht, dass die AfD so gut dastehen würde, wenn es nicht dieses krisenhafte Umfeld gäbe. Aber natürlich ist es schwierig, wenn der Eindruck entsteht, dass man eine missliebige Partei durch ein Verbot aus der Welt schaffen will. Wir brauchen meines Erachtens klare Kante gegenüber der AfD, aber es muss gut erklärt sein. Denn natürlich wird die AfD versuchen, dies zu nutzen. Allein dieses Interview wird mir wieder Dutzende kleine Anfragen einbringen und den Versuch, mich als diktatorischen Innenminister darzustellen.

Sie haben im Juli die Waffenbehörden angewiesen, AfD-Mitglieder zu entwaffnen. Was ist seitdem passiert?

Dass war keine Anweisung, sondern ist die konsequente Umsetzung geltenden Rechts. Durch die jüngste Verschärfung des Waffenrechts wurde das Kriterium der Zuverlässigkeit klarer definiert. Wenn jemand nicht zuverlässig ist, darf er keine Waffe haben. Bei Rechtsextremisten ist diese Zuverlässigkeit nicht gegeben. Und da Thüringen die AfD als rechtsextremistisch und verfassungsfeindlich eingestuft hat, gilt das für AfD-Mitglieder. Wir haben also in unserem Landesverwaltungsamt entsprechende Strukturen geschaffen, die die Waffenbehörden unterstützen. Man kann sich natürlich mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen diese Entscheidungen wehren. Das heißt, viele Verfahren landen vor Gericht, die Gerichte sind oft überlastet, die Dinge ziehen sich. Das war teilweise auch schon bei den Reichsbürgern so, die wir schon seit einigen Jahren konsequent entwaffnen. Da sind wir aber trotzdem gut vorangekommen.

Was heißt das in Zahlen?

Zur AfD liegen mir noch keine Zahlen vor, das ist noch zu frisch. Bei den Reichsbürgern ist bei einer hohen zweistelligen Zahl das Verfahren abgeschlossen und die Waffen sind entzogen. Im Bundesdurchschnitt können wir uns sehen lassen.

Die Entwaffung ist auch bundesweit schon lange Thema, aber laut Innenministerium haben noch immer 1.500 Rechtsextremisten Schusswaffen – und in den letzten Jahren sind es nicht weniger, sondern mehr geworden.

Das ist die Problematik, die ich angedeutet habe. Das sind höchstwahrscheinlich Waffen, die sie im Zusammenhang mit der Jagd oder als Mitglied in einem Schützenverein haben. Die zu entziehen dauert seine Zeit. Das darf aber keine Ausrede sein. Die weiterhin hohe Zahl besorgt auch mich. Hier müssen wir nachsteuern. Und dass die Bundesinnenministerin das tut, finde ich richtig.

Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann, die seit der Razzia in Untersuchungshaft sitzt, ist Sportschützin und soll mehrere Waffen besitzen. In Thüringen hätte sie diese also abgeben müssen; weil sie in Berlin lebt, durfte sie sie behalten?

Im Prinzip ja. Aber ich weiß nicht, ob wir ihr die Waffen schon entzogen hätten. Wenn wir Kenntnis gehabt hätten, dass sie einen Reichsbürger-Hintergrund hat, dann wahrscheinlich. Als AfD-Mitglied würde das Verfahren wohl noch laufen.

Von den ganzen Informationen, die bislang um diese mutmaßliche Reichsbürger-Terrorgruppe bekannt ist, was beunruhigt Sie am meisten?

Ich bin jetzt nicht gerade aus allen Wolken gefallen. Wie soll ich sagen, wir sind hier in Thüringen. Die Szene in Thüringen und deren Vernetzung ist weithin bekannt. Die AfD wirkt zusammen mit Reichsbürgern, mit Querdenkern, mit der NPD, der Identitären Bewegung, dem Dritten Weg. In Ostthüringen sind auch die Freien Sachsen dabei. Vielleicht diese Heimatschutzkompanien.

Die laut Plänen den Umsturz durchführen – und die Menschen abführen und exekutieren sollten. In Thüringen und Sachsen sollen die Aufbaupläne am weitesten gediehen gewesen sein.

Genau das. Und die Vernetzung in die Bundeswehr und die Spezialkräfte.

Trotz dieser ganzen Tatsachen halten manche die Gefährlichkeit dieser Gruppe für übertrieben, etwa der Ex-Bundesinnenminister Otto Schily, Sozialdemokrat wie Sie. Er sagt, man solle die Gefahr nicht überbewerten, und sprach von einer „skurrilen Spinner-Truppe“. Was sagen Sie dazu?

Ich bedauere, dass er das so eingeordnet hat. Auch weil es genau das ist, was etwa die AfD versucht. Immer wieder wird diese Spinnerattitüde strapaziert. Das ist ein großer Trugschluss.

Warum?

Diese Leute haben eine innere Überzeugung, die beängstigend ist. Es ist doch klar, dass nicht unmittelbar ein Umsturz bevorstand. Ermittelt wird wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Es geht um den Aufbau und das Größerwerden von Strukturen, die die Demokratie beseitigen wollen. Und das beobachten wir jetzt schon seit Jahren. Diese Verschwörungsmythen, erst bei Corona, dann im Zuge des Ukrainekrieges bei den Sanktionsmaßnahmen, das ist die Brücke hinein in breitere Gesellschaftsschichten. Dass der Prinz, der in Frankfurt festgenommen wurde, optisch nicht unbedingt als aggressiver Staatsfeind daherkommt, heißt doch nichts. Es war schon oft ein Trugschluss in der deutschen Geschichte, dass bürgerlich anmutende Menschen keine Extremisten sein können.

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