Die Wahrheit: Heinrich der Verhaftete

Das Wahrheit-Q&A nach dem Putschversuch: Ein dringend notwendiger historischer Blick auf ein verhindertes Staatsoberhaupt.

Der Putschist Heinrich XIII. Prinz Reuß

Heinrich XIII. Reuß, der gescheiterte Putschprinz Foto: Reuters

Früher wäre das normal gewesen: Einem Adligen ist sein Herrschaftsbereich zu klein, also rüstet er sich für einen Raubzug zwecks territorialer Arrondierung. Im Erfolgsfall, wie bei den Preußen, kann man auf diese Weise deutscher Kaiser werden. Bei Heinrich XIII. Prinz Reuß hingegen haben die entsprechenden Bemühungen nicht mal zur Königswürde gelangt. Stattdessen sitzt der putschfreudige Adelige nun unstandesgemäß in U-Haft. Um zu erklären, was bei der Vereitelung des Staatsstreichs durch den Prinzen und die Reichsbürger in der vorigen Woche verhindert wurde, benötigt es eine Adelsexpertise. Es folgt hier ein Question&Answer der Wahrheit zum Putsch des Blaublütigen.

Was motivierte Heinrich XIII. Prinz Reuß zum Staatsstreich?

Die vormalige Herrschaft Reuß-Köstritz hat eine recht überschaubare Größe, das ­sogenannte Paragium umfasst ungefähr ein Viertausendvierhundertachtundsechzigstel des heutigen deutschen Staatsgebiets – ganz zu schweigen von Deutschland in den Grenzen von 1937! Und wenn man dann auch nur an 17. Stelle der theoretischen Thronfolge dieses mitteldeutschen Kleinststaates steht, ist verständlich, dass man den Weg zur Macht etwas abkürzen möchte.

Gut und schön – aber musste es gleich das ganze Deutschland sein?

Sehen wir uns nur die historische Flagge des Fürstentums Reuß Ältere Linie an: Schwarz-Rot-Gold – in ordentlichen Querstreifen. Auch der „Volksstaat Reuß“ hatte diese Farben. Im Falle eines Erfolgs hätte sich in Deutschland also gar nicht viel geändert, zumindest an den Fahnenmasten. An den Laternen würde vielleicht schon etwas anderes hängen.

Heinrich hatte schon Verhandlungen mit Moskau über gewisse europäische Gebietsreformen aufgenommen. Warum hat ihm Wladimir Putin kein Wagner-Kontingent zur Verfügung gestellt?

Leider scheiterte der große Plan an protokollarischen Fragen. Putin soll immer wieder wutentbrannt gerufen haben: „Es gibt nur einen Herrscher aller Reußen – und das bin ich!“ Dazu muss man wissen, dass der Zar gern als „Herrscher aller Reußen“ gleich Russen bezeichnet wurde, sich der Familienname Reuß aber ebenfalls auf Russland bezieht: Heinrich der Jüngere wurde zu Heinrich „der Rusze“ beziehungsweise Reuß, nachdem er 1291 die russische Fürstentochter Maria Swihowska geheiratet hatte. Und das hatte welthistorische Auswirkungen!

Apropos Herrscher aller Reußen: Der aktuelle Familienchef Heinrich XIV., genannt Fürst Reuß, hat sich sehr abfällig über seinen tatkräftigen Verwandten geäußert, er sei „verwirrt“. Wie kann es sein, dass der vierzehnte Heinrich dem dreizehnten etwas zu sagen hat?

Die Reußens haben das Problem, dass seit dem Jahr 1200 alle Männer gleich heißen, was ja auch das Bedürfnis von Heinrichs XIII. nach individueller Wahrnehmung und Wertschätzung erklärt. Jeder ist nur eine Nummer, und selbst die muss er mit anderen teilen: Heinrich XIII. hat in jedem Jahrhundert einen namensgleichen Vorgänger, weil die Nummerierung der Heinriche dann immer neu beginnt. Und der jeweils 13. Heinrich ist irgendwie immer der Pechvogel.

Das erklärt aber noch nicht, warum der 14. …

… je höher die Zahl, desto länger der – Scherz beiseite: Heinrich XIV. hatte einfach mehr Glück bei seiner Linienzugehörigkeit. Aber beide zusammen haben wiederum Glück, nicht am Ende eines Jahrhunderts geboren zu sein: Sonst kann man schnell mal Heinrich der Zweiundsiebzigste heißen.

Beim Adel ist das Familienbewusstsein eben besonders ausgeprägt. Aber was hat das jetzt mit dem versuchten Staatsstreich zu tun?

Sehr viel! Heinrichs Familie wurde historisch immer wieder benachteiligt, geradezu diskriminiert. Denn es handelte sich lediglich um eine nicht souveräne Nebenlinie des Hauses Reuß jüngere Linie – da ist man wirklich gekniffen und wird mit einer „Sonderherrschaft ohne Landeshoheit“ abgespeist, also mit ein paar Schlössern und fronpflichtigen Bauern.

Immerhin gehört Heinrich heute noch das Jagdschloss „Waidmannsheil“ in Bad Lobenstein, übrigens von Heinrich dem Zweiundsiebzigsten erbaut – besser als nichts?

Schloss Waidmannsheil hat nur eine Grundfläche von 20 mal 15 Meter. Haben Sie eine Vorstellung davon, was es kostet, in so einem kleinen Schloss einen veritablen Führerbunker mit allem Drum und Dran einzubauen? Da braucht man schon ein paar Untertanen mehr zur Finanzierung.

In Bad Lobenstein wollte sich Prinz Heinrich 2021 zum „Reichsverweser“ wählen lassen. „Wählen“?! Als Adliger?! Und was ist ein „Verweser“?

Da hat er in der Tat seinen guten Willen demonstriert: Er war bereit, sich an der Wahlurne huldigen zu lassen und mit unappetitlichen Titeln zufrieden zu geben. Und als die lokale Presse dennoch defätistisch stänkerte, hat der Bürgermeister für seinen Chef die Fäuste eingesetzt. Heinrich ist eben kein prolliger Prügel-Prinz wie Ernst-August von Hannover, sondern verhält sich entschieden standesgemäßer: Er lässt prügeln.

In der Bild wurde betont, dass es sich bei Prinz Heinrich um einen „echten Adligen“ handelt. Hätte sich Bild andernfalls für den Putschversuch gar nicht interessiert?

Richtig. Die Bunte auch nicht.

Mal aufs Volk geschaut: Muss der Verfassungsschutz jetzt alle beobachten, die eine Prinz-Heinrich-Mütze tragen wie einst Helmut Schmidt?

Seit der Verhaftung von Prinz Heinrich ist das in der Tat eine der Fragen, die die Deutschen umtreiben. Der Verdacht liegt nah, dass Prinz Heinrich weit über das Territorium von Bad Lobenstein hinaus auf handfeste Unterstützung zählen kann. Ein erheblicher Teil der älteren, männlichen und insbesondere norddeutschen Bevölkerung trägt traditionell und mit Stolz die Prinz-Heinrich-Mütze. Andererseits gehörte dieser Prinz Heinrich mit der Mütze nicht zu den Reußen, sondern zu den Hohenzollern – und die hatten sich ja schon erfolgreich an die Macht gebracht.

Zum Schluss noch die entscheidende Frage: Wie wird Heinrich XIII. in die Geschichte eingehen?

Da hängt die Latte hoch: Heinrichs erster bekannter Urahn wurde „der Fromme“ genannt, er ließ im Vogtland viele Kirchen bauen. Dessen Enkel war „der Reiche“, da sich die Investitionen in die Gottesfurcht der Bevölkerung offenbar gelohnt hatten. Ein weiterer Vorfahr hieß „Heinrich der Pfeffersack“, was nicht unbedingt an einer Vorliebe für scharf gewürztes Wildschwein lag. Aber Heinrich XIII. muss sich wohl mit einem weniger attraktiven Attribut begnügen: Heinrich der Verhaftete.

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