Mexiko wird groß

Vor allem dank ihrer Defensive frustrieren die Mexikaner Brasiliens Ballkünstler und stehen nach dem 1:0 im Halbfinale des Confed-Cups

AUS HANNOVER MATTI LIESKE

Vor dem Spiel der Brasilianer gegen Mexiko war der Platz an der Marktkirche in Hannovers Innenstadt noch erfüllt von hitzigen Sambaklängen, danach leuchtete er nur noch grün. Es handelte sich jedoch keineswegs um die internationale Gärtnervereinigung, die hier ihre Jahreshauptversammlung abhielt, sondern um eine mexikanische Fiesta, die bis weit nach Mitternacht dauerte. Dazu gab es so exotische Gerichte wie Chili con Carne und Bratwurst, aber vor allem jede Menge geistige Getränke, als da wären Bier, Wein und Caipirinha, den einige wenige gelb gekleidete Brasilianer, die sich ins frohsinnige Meer der grünen mexikanischen Trikots verirrt hatten, betreten zu sich nahmen.

Erstaunlich viele Fans aus dem Land des Nord- und Mittelamerikameisters hatten sich in Hannover eingefunden und auch im Stadion das Bild bestimmt. Die wenigsten von ihnen hatten jedoch geglaubt, dass die Partie mit einem 1:0-Sieg ihres Teams enden würde. Schließlich hatte Mexiko vor einem Jahr bei der Copa America gegen die B-Auswahl der Brasilianer noch mit 0:4 verloren. Danach allerdings hatten die Grünen keine einzige Niederlage mehr kassiert, was ihnen Platz sechs in der Fifa-Weltrangliste einbrachte, aber möglicherweise ein wenig mit den Gegnern zusammenhing, zu denen etwa St. Vincent/Grenadinen, St. Kitts and Nevis, Trinidad und Tobago oder Dominica zählten.

Sich beim Confederations Cup mit einigen der besten Teams der Welt zu messen, ist unter diesen Umständen besonders wichtig, wie Trainer Ricardo La Volpe schon anlässlich des mühsamen 2:1-Sieges gegen Japan betont hatte. Auch deshalb hatte der in Mexiko nicht sehr beliebte Argentinier darauf beharrt, dass die sechs berufenen Spieler von Chivas Guadalajara trotz der Halbfinalteilnahme ihres Vereins bei der Copa Libertadores nach Deutschland kamen. Fünf sind inzwischen tatsächlich dabei, drei von ihnen, der emsige Ramón Morales, Verteidiger Carlos Salcido und Torwart Oswaldo Sánchez, hatten großen Anteil am Sieg gegen Brasilien, das vom strahlenden Weltmeister und Turnierfavoriten plötzlich zum winzigen karibischen Eiland absackte. „Wir spielen gegen Brasilien genauso wie gegen Dominica“, behauptete La Volpe, der nach dem Coup von Hannover den Mexikanern wohl noch ein Weilchen erhalten bleibt.

„Ein taktisches Meisterstück“, nannte Kolumbiens Ex-Nationaltrainer Francisco Maturana den Auftritt gegen Brasilien, und auch Carlos Alberto Parreira kam aus dem Staunen nicht heraus. „Wenn wir angegriffen haben, stand uns nicht eine Viererkette, sondern meist eine Neunerkette gegenüber“, sagte der Brasilianer, der in seinem 100. Länderspiel als Landestrainer seine 13. Niederlage kassierte. Vor allem im Zentrum, wo die Südamerikaner fast ausschließlich ihr Heil suchten, bildeten die Mexikaner ein solch dichtes Netz aus Beinen, Körpern und Köpfen, dass selbst die filigranen Kurzpasskünstler Ronaldinho, Kaká oder Robinho immer wieder hängen blieben oder ihre Schüsse geblockt wurden. Und wenn doch mal ein Ball durchrutschte, war Keeper Sánchez oder die Abseitsfahne des Linienrichters zur Stelle. „Wir sind weder in der Mitte noch auf den Flügeln durchgekommen“, staunte Parreira über die Defensivleistung der Mexikaner, bei denen der beste Abwehrspieler, Rafael Marquez vom FC Barcelona, wegen Verletzung nicht mal dabei war.

„Ich bin jetzt seit drei Jahren in Mexiko“, sagte La Volpe, „und was mich interessiert, ist fußballerisches Wachstum. Wir wollen so weit kommen, dass wir auch gegen die Großen gewinnen können.“ Dieses Ziel darf seit Sonntag als erreicht gelten, weshalb Oswaldo Sánchez frohlockte: „Gekämpft, gerannt, gewonnen – der mexikanische Fußball ist auf dem Weg nach oben.“ Und der Keeper vergaß nicht den Hinweis, die Partie gegen die Stars großer europäischer Klubs habe gezeigt, dass auch mexikanische Fußballer in Europa spielen könnten. Das tun aktuell nur zwei, alle anderen stehen in der Heimat unter Vertrag, nicht zuletzt weil sie dort von den Mäzenen der Topklubs fürstlich entlohnt werden.

Defensive ist jedoch nicht das Einzige, was die Mexikaner können. Hatten sie den Ball, schwärmten sie in Windeseile aus und setzten die Brasilianer mit einer Mixtur aus kurzen und weiten Pässen unter Ausnutzung des gesamten Spielfeldes unter Druck. „Brasilien macht uns keine Sorgen“, sagte ein froh gelaunter Jared Borgetti, neben Sánchez der entscheidende Mann des Matches, und erklärte die Vorzüge seines Teams: „Wir sind eine Einheit, wir rennen, wir haben Selbstvertrauen.“ Das brauchte er auch, nachdem er in der 30. Minute mit seinem Dreifachstrafstoß – zweimal ließ der überaus elfmeterzugewandte Schiedsrichter Roberto Rosetti wegen Regelwidrigkeiten wiederholen – an Torhüter Dida gescheitert war. Vor jedem Versuch schickte Borgetti ausgiebige Stoßgebete gen Himmel, nur einmal wurde er erhört. Beim ersten Mal traf er ins Tor, beim zweiten Mal die Latte, beim dritten Mal die Arme des Torwarts. Da Borgetti in der 59. Minute per Kopf doch noch traf, konnte er anschließend über die ganze Affäre herzlich lachen.

Während Favorit Brasilien morgen gegen Japan nun plötzlich um den weiteren Verbleib im Turnier kämpfen muss, stehen die Mexikaner bereits vor der Partie gegen die ausgeschiedenen Griechen sicher im Halbfinale. Wie sie dieses angehen werden, ist ohnehin klar: wie gegen Dominica natürlich. Gegen das sie übrigens 8:0 und 10:0 gewannen.