Zurück in die Zukunft

Werbepausen sind was fürs Kabelfernsehen – Streaming kostet Geld und bleibt reklamefrei. Diese Trennung wird vermehrt infrage gestellt. Werbefinanzierte Online-Streams sind im Kommen

Nur noch bis zur nächsten Werbepause gucken, dann geht’s ins Bett! Foto: Miguel Sotomayor/Moment Open/Getty Images

Von Wilfried Urbe

Streamen mit Werbung ist bald das neue Normal. Bis Ende 2024 werden die Hälfte aller großen Anbieter von Abo-Videodiensten einen FAST-Channel einführen. FAST (Free Ad-supported Streaming Television) steht für Fernsehangebote, die über Internet als Livestream geschaut werden können. Bis 2030 sollen alle derartigen Online-Services komplett oder zum größten Teil werbefinanziert sein. Das sind die deutlichen Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung der Unternehmensberatung Deloitte.

Dass frei verfügbare, werbefinanzierte, online empfangbare TV-Sender die Zukunft sein könnten, das wurde vor kurzem auch auf der C21 Content London Konferenz deutlich. Der Inhalte-Chef bei ProSiebenSat.1, Henrik Pabst, etwa bestätigte auf dem internationalen Branchentreff, dass seine Sendergruppe den Fokus auf werbefinanzierte Online-Inhalte legt. Denn ProSiebenSat.1 nimmt auch Dritt­an­bieter auf seiner Onlineplattform Joyn mit auf. Nut­ze­r*in­nen können beispielsweise direkt auf andere TV-Sender zugreifen, etwa ARD oder ZDF. Bei den Münchenern denkt man jedenfalls nicht mehr in den Dimensionen Digital oder TV. „Diese Trennung haben wir aufgegeben, sagt Geschäftsführerin Nicole Agudo Berbel. Die neue Trennung sei zwischen „Live und On Demand“.

Die von der Exaring AG betriebene deutsche Plattform waipu.tv bietet ebenfalls mit über 75 kostenlosen Sendern ein großes Angebot. „Der FAST-Markt in Deutschland erlebt in den letzten Monaten einen Reifungsprozess“, teilte die Vorstandsvorsitzende der Aktiengesellschaft, Bettina Bellmer, mit, „Quantität weicht immer mehr der Qualität.“ Besonders die junge Zielgruppe, die sich vom klassischen Fernsehen abgewendet habe, würde online wieder lineares TV schauen. Sie ist sich sicher, dass in Deutschland eine ähnliche Entwicklung wie in den USA eintreten wird, denn dort haben solche Angebote bereits ihren Siegeszug angetreten. Die Plattform Tubi von Fox Entertainment zum Beispiel wird schon von 56 Millionen Menschen monatlich genutzt, ist in Europa aber noch nicht zugänglich. Pluto TV kann bei uns bereits abgerufen werden. Das Streamingportal des Medienunternehmens Paramount Global bietet über 100 Fernsehstreams an und stellt außerdem Filme zum Abruf bereit.

Der Gerätehersteller Samsung sieht sich mit seinem TV-Plus-Angebot gar als „Vorreiter“ im europäischen FAST-Markt. Der verantwortliche Manager für die mitteleuropäischen Staaten, Benedikt Frey, verweist darauf, dass 56 Prozent der Smart-TV-Nut­ze­r*in­nen in Deutschland, Frankreich Italien und Spanien angeben, Werbe-basierte Services gegenüber Abo-basierten im Austausch mit kostenlosen Inhalten zu bevorzugen.

„In Deutschland haben mittlerweile 10 Millionen Nut­ze­r*in­nen einen Samsung-Smart-TV und damit Zugriff auf den vorinstallierten FAST-Service von Samsung TV Plus“, sagt Benedikt, „knapp 3,5 Millionen Zu­schaue­r*in­nen nutzen Samsung TV Plus regelmäßig“. In den vergangenen zwölf Monaten sei der Anteil von FAST in Deutschland um 9 Prozent gestiegen. „Konsumenten achten mittlerweile auch beim Entertainment aufs Budget, wollen sich allerdings nicht mit schlechter Qualität zufriedengeben.“

Dass öffentlich-rechtliche Sender auf Plattformen vertreten sind, die lineare Fernsehprogramme streamen, liegt auf der Hand. Können sie doch so vielleicht Jüngere erreichen, die eigentlich bei ARD und ZDF schon längst abgeschaltet haben.

„Die Lizenzierung erfolgt über die Verwertungsgesellschaften und unterliegt festgelegten Kriterien“ erklärt eine ARD-Sprecherin die Voraussetzungen. Dazu zählt beispielsweise, dass keine Werbung im direkten Umfeld der ARD-Programme platziert werden dürfe, etwa durch Überblendungen oder Preroll-Werbung.

Laut Tubi-Programmchef Adam Lewinson schließlich geht das Fernsehen einfach zurück in die Zukunft. TV sei schon immer ein kostenloses, werbefinanziertes Modell gewesen: „In den letzten Jahren hatte man den Eindruck, dass die Zukunft des Fernsehens hinter einer Bezahlschranke liegen würde. Ich glaube, dass die Zukunft des Fernsehens kostenlos, werbefinanziert und ein Mix aus linearen und abrufbaren Inhalten sein wird.“