Neue Enthüllungen zu Dieselgate: „Ergebnis einer Auftragsarbeit“

Unterlagen des Bosch-Konzerns gewähren Einblick in die Abgasmanipulation der Autobauer. Offenbar wussten VW, BMW und Co. von Anfang an Bescheid.

Abgas raucht aus einem Auspuff

Können die Gesundheit schädigen: Abgase eines Dieselmotors Foto: Wolfgang Maria Weber/imago

BERLIN taz | Neue Wendung im Diesel-Abgasskandal: Offenbar haben die großen deutschen Autobauer beim Zulieferer Bosch gezielt Software bestellt, um die Abgase bei Dieselmotoren zu manipulieren. „Es war ganz klar angelegter Betrug“, sagt Axel Friedrich, Verkehrsexperte der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Er schätzt, dass es ähnliche Absprachen auch mit anderen Zulieferern gab.

Interne Unterlagen von Bosch legen nahe, dass die Autobauer Audi, BMW, Daimler und VW nicht nur seit September 2006 über illegale Abgasmanipulationen ihrer Dieselmotoren Bescheid wussten, sondern sie sogar gemeinsam in Auftrag gegeben haben. Zudem listet ein Papier 44 verschiedene Methoden auf. Die Unterlagen erhielt die Umwelthilfe im Sommer aus der Industrie zugespielt. „Diesel­gate ist das Ergebnis einer Auftragsarbeit“, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Er sprach von einem Kartell der vier Autohersteller. Bosch habe die illegalen Wünsche dann umgesetzt.

Die US-Umweltbehörde EPA berichtete 2015, dass in Diesel-Fahrzeugen von VW eine illegale Abschalteinrichtung eingebaut war. Die Software konnte zwischen einer Testsituation und dem Normalbetrieb unterscheiden. Die Fahrzeuge hielten auf dem Prüfstand die Abgasgrenzwerte ein, bliesen im realen Straßenbetrieb aber deutlich mehr Stickoxide in die Luft.

In der Folge musste VW Millionen Fahrzeuge in den USA zurücknehmen und ersetzen. In Deutschland musste nachgerüstet werden. Der Konzern hat insgesamt rund 33 Milliarden Euro zurückgestellt, um die Folgen des Skandals tragen zu können. Zahlreiche Manager, darunter der ehemalige Audi-Chef Rupert Stadler, müssen sich noch vor Gericht verantworten. Die EU änderte im Zuge des Skandals den Autotestzyklus. Seither muss im realen Straßenbetrieb gemessen werden.

Manipulation auch bei weiteren Konzernen

Bisher, so schien es, war vor allem der VW-Konzern illegal vorgegangen. Hinweise auf Abgasmanipulation gab es auch bei anderen Herstellern wie Daimler und Fiat, die das von sich wiesen. Die jetzt veröffentlichten Unterlagen zeigen ein anderes Bild. Demnach waren auch Hersteller, die bisher nicht in den verschiedenen Prozessen auftauchten, Kunden für Boschs technische Lösungen. Erwähnt werden unter anderem auch Toyota, PSA (Peugeot, Citroën, heute Stellantis), Hyundai, Honda, Ford, Fiat.

Am 14. September 2006 trafen sich den Papieren zufolge Vertreter von Audi, BMW, Daimler, VW, um über SCR-Funktionen zu reden. SCR bezeichnet die Abgasbehandlung mit Harnstoff (AdBlue) bei Dieselfahrzeugen, um Stickoxidmengen zu verringern. „Die vorgeschlagene Adaption ist eine abgestimmte (VW, Audi, DC und BMW) Basis“, heißt es in dem Papier zu einem Punkt. BMW hat den Einsatz derartiger Methoden bisher immer dementiert.

Drei Jahre später ist in einer Präsentation von „Alternativer Vorsteuerung“ die Rede. Dort wird auch eine zusätzliche „Akustik Funktion“ erwähnt, „welche zwischen Normalbetrieb und Abgasmeßzyklus unterscheiden kann“. Und weiter: „Es besteht die Möglichkeit, dass diese Applikation Auswirkungen auf die Einhaltung behördlicher Vorschriften haben kann.“ Etwas weniger schwurbelig formuliert: Die Funktion ist illegal. Mit Akustik hat sie übrigens nichts zu tun.

Auch Benzinmotoren betroffen

In einer internen Vorlage vom 2. Oktober 2015, der Abgasskandal war da gerade knapp zwei Wochen alt, listet Bosch insgesamt 44 verschiedene Abschalteinrichtungen für Harnstoff auf, einige mit dem Hinweis versehen „Reduzierung über Bauteilschutz hinaus“ oder „Mögliche Übertretung OBD-Vorschriften“. Die Liste legt auch nahe, dass nicht nur bei Diesel-, sondern auch bei Benzinmotoren getrickst wurde.

Die DUH hat die Unterlagen inzwischen der Staatsanwaltschaft Stuttgart übergeben. Bosch erklärte, die aufgebrachten Punkte seien nicht neu und allesamt aufgearbeitet. Das Verfahren gegen Bosch sei 2019 mit einem Bußgeldbescheid abgeschlossen worden. „Dabei hat die Staatsanwaltschaft festgestellt, dass die Initiative für Integration und Ausgestaltung von als unzulässig vorgeworfenen Softwarestrategien jeweils von Mitarbeitern anderer Unternehmen ausging.“ Bosch zahlte damals 90 Millionen Euro.

Die Umwelthilfe schätzt, dass weltweit immer noch 5 Millionen Dieselfahrzeuge mit Euro-5- und früher Euro-6-Norm unterwegs sind, in denen trotz aktualisierter Software immer noch Abschaltvorrichtungen laufen. Vor dem Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein klagt der Umweltverband wegen illegaler Software in 119 Fahrzeugmodellen. Resch kündigte weitere Klagen an. Ziel ist, dass das Kraftfahrtbundesamt als Zulassungsbehörde die Modelle stilllegt oder die Hersteller zwingt, sie zu reparieren und den Autobesitzern den Schaden vollständig zu ersetzen. Gute Chancen sieht die DUH, weil in der vergangenen Woche der Europäische Gerichtshof zugunsten des Verbands entschieden hat.

Mercedes-Benz wollte keine Stellungnahme abgeben. BMW wies die Vorwürfe zurück. VW geht nach einer ersten Überprüfung eigenen Angaben zufolge davon aus, dass die Dokumente keine neuen Erkenntnisse enthalten. (mit rtr)

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