Afghanistan verschärft Scharia: Wer frei von Schuld ist …

Es ist erschreckend zu sehen, mit welcher Brutalität die Machthaber in Afghanistan ihr Volk unterdrücken. Doch auch der Westen hat keine weiße Weste.

Viele Männer mit Turban

Mit Frauenrechten nichts am Turban – Taliban in Kabul Foto: Ebrahim Noroozi/ap

Mit ihrer Anordnung, nun Scharia-Körper- und -Amputations­strafen anzuwenden sowie auch bei Protest Hinrichtungen zu ermöglichen, setzt die Taliban-Führung einen neuen Tiefpunkt. Nach der beispiellosen Entrechtung von Frauen und Mädchen zeigt das Regime einmal mehr, dass ihm internationale Ächtung gleichgültig ist, auch für den Preis, dass es die Menschen im Land langfristig überlebenswichtige Entwicklungsgelder kostet.

Entrüstung über diese schrecklichen Bestrafungen ist mehr als angebracht, allerdings keine allzu leichte Erhebung darüber. Im Westen sollte man daran denken, dass man über Gräueltaten nicht erhaben ist. Gerade musste die britische Armee zugeben, dass sie bei Operationen im Afghanistankrieg mehr Kinder getötet hat als bisher bekannt. Gab es bei Kämpfen Tote, wurden in der Regel weitere Menschen verletzt, auch verbrannt oder anderweitig verstümmelt.

Für Familien, die solche Opfer zu beklagen haben, macht es keinen Unterschied, ob die daran Schuldigen bewusst gehandelt haben oder ob es ungewollt zu Opfern kam. Genauso spielt es für sie kaum eine Rolle, ob die Opfer in Kauf genommen wurden, ob die Täter zu einer parlamentarisch-demokratisch legitimierten Armee gehören oder einer selbstherrlichen Islamistentruppe.

Das gilt auch für die Bombardements 2009 in Kundus, angeordnet von einem Bundeswehrangehörigen, bei denen nachweislich Dutzende Zivilisten getötet wurden und deren Familien nie entschädigt wurden.

Unter denen, die sich nun im Exil über die barbarischen Taliban entrüsten, sind nicht wenige, die sich kürzlich noch in Regierungsverantwortung oder als Teil der Zivilgesellschaft für Hinrichtungen wirklicher oder vermeintlicher Taliban aussprachen, häufig nach durch Folter erzwungenen Geständnissen. Oder solche, die Bombardierung von Dörfern anordneten oder tolerierten, wenn sie nur in den von den Gegnern kontrollierten Gebieten lagen. An unseren Küsten waren davor Fliehende häufig nicht willkommen.

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Mitbegründer des unabhängigen Think Tanks Afghanistan Analysts Network Kabul/Berlin (https://www.afghanistan-analysts.org/en/). Abschluss als Diplom-Afghanist, Humboldt-Univ. Berlin 1985. Erster Afghanistan-Aufenthalt 1983/84, lebte und arbeitete seither insgesamt mehr als 13 Jahre dort, u.a. als Mitarbeiter der DDR-, der deutschen Botschaft, der UNO und als stellv. EU-Sondergesandter. Seit 2006 freischaffend. Bloggt auf: https://thruttig.wordpress.com zu Afghanistan und Asylfragen. Dort auch oft längere Fassungen der taz-Beiträge.

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