Erkältungswelle in Deutschland: Kinderkliniken am Limit

Schon vor Wochen warnten Kin­der­ärz­t:in­nen vor einem katastrophalen Herbst und Winter. Nun spitzt sich die Lage in Praxen und Kliniken zu.

Das Schild einer Notaufnahme

Vor allem die 0- bis 4-Jährigen kommen wegen RSV-Erkrankungen in die Rettungsstellen Foto: Julian Stratenschulte/dpa

BERLIN taz | Da ist die Lehrerin aus Berlin, die sich wundert, wo ihre Schü­le­r:in­nen bleiben: Am Montag fehlte die Hälfte in ihrer Klasse, am Dienstag war nur noch je­de:r Dritte da. Da ist die Mutter mit den fiebernden Kindern, die vergeblich versucht, die Kinderärztin zu erreichen, aber nur den Anrufbeantworter an die Strippe bekommt, welcher ihr von der völligen Überlastung der Praxis berichtet. Im Netz häufen sich landesweit die Berichte, dass Leh­re­r:in­nen und Er­zie­he­r:in­nen überproportional häufig ausfallen.

Aber es handelt sich, anders als in den letzten Jahren gewohnt, offenbar nicht um Anzeichen einer neuen Coronawelle, sondern um die anderen Erkältungskrankheiten. „Die Erkältungswelle schlägt früher ein, als wir es gewohnt sind“, sagt Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte.

Und Philippe Stock, Präsident der Gesellschaft für pädiatrische Pneumologie, wirbt bereits für eine Rückkehr zur Maskenpflicht. Die würde auch bei der aktuellen RSV- und Influenzawelle „definitiv helfen, die Infektionen zu begrenzen“, sagte Stock der Neuen Osnabrücker Zeitung.

RSV steht für Respiratorisches Synzytial-Virus. Es ist laut Robert-Koch-Institut ein weltweit verbreiteter Erreger akuter Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege, die der als Grippe bekannten Influenza ähneln. In der Allgemeinbevölkerung wurde RSV lange Zeit unterbewertet, kann aber vor allem für sehr kleine Kinder gefährlich werden.

Die stärkste RSV-Welle

Bei einer rückblickenden Untersuchung entdeckten Wis­sen­schaft­ler:in­nen, dass es seit 2011 in jedem Winter eine RSV-Welle gab, die vor allem die bis zu 4-Jährigen traf. Im Winter 2020/21 blieb die Welle aus – sie wurde komplett von Corona und Schutzmaßnahmen verdrängt.

Doch in diesem Winter kehren die eher üblichen Erkältungskrankheiten machtvoll zurück. Die beim RKI angesiedelte Arbeitsgemeinschaft Influenza schätzte, dass bereits in der 46. Kalenderwoche mehr als 8 Prozent aller in Deutschland Lebenden unter einer akuten Atemwegserkrankung litten. Das wären rund 7 Millionen Erkrankte – deutlich mehr als in den Vor-Corona-Zeiten.

Die tatsächlichen Ausmaße messen die For­sche­r:in­nen an der Zahl der Arztbesuche. Und dort wird klar, dass die Welle vor allem Kleinkinder unter 4 Jahren betrifft. Sie müssen rund viermal öfter wegen Atem­wegs­erkran­kun­gen behandelt werden als der Bevölkerungsschnitt. Auch bei den 5- bis 15-Jährigen hat sich die Zahl der Arztbesuche innerhalb der beiden letzten Wochen nahezu verdoppelt.

Kinderarzt Jakob Maske sieht im Moment täglich rund 150 Kinder in seiner Praxis: „Das ist nur noch Notfallmedizin.“ Für die meisten Kinder und Jugendlichen sei die aktuelle Welle an Infektionskrankheiten zwar belastend, aber nicht bedrohlich. Vor allem ältere Kinder mit normalen Erkältungssymptomen sollten sich zu Hause auskurieren.

Die Eltern bekommen eine Krankschreibung für bis zu einer Woche, ein Besuch in den überfüllten Praxen sei nicht nötig. Für Schule und Kita werden in den allermeisten Bundesländern bei nicht meldepflichtigen Erkrankungen keine Krank- oder Gesundschreibungen benötigt, hier reicht die Entschuldigung durch die Eltern.

Was tun bei unter 1-Jährigen

Wirklich gefährlich seien Viruserkrankungen wie RSV fast ausschließlich für unter 1-Jährige, die zum Teil mit Sauerstoff versorgt werden müssten, so Maske. Bei Fieber, insbesondere wenn es über mehrere Tage andauert, wenn das kranke Kind nicht mehr trinkt oder schlapp wirkt, wenn den Eltern etwas seltsam vorkomme, sollten sie sofort einen Arzt konsultieren. Und wenn sie dort nicht durchkommen, in die Notaufnahme fahren, rät Maske.

In den Kliniken allerdings sind die Zustände ebenfalls katastrophal, wie unter anderem der Geschäftsführer der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Florian Hofmann im ZDF berichtete. In weiten Teilen Deutschlands gebe es keine freien Krankenhausbetten für Kinder mehr.

Die Kinder müssten weite Strecken transportiert werden oder lägen tagelang in der Notaufnahme. Es gebe zu wenig Betten auf den Kinderstationen, und auch die könnten häufig aufgrund des Personalmangels nicht belegt werden. Eine Initiative der Berliner Kinderkliniken hatte schon vor Wochen davor gewarnt, dass die Einrichtungen die kommende Herbst-Winter-Welle nicht stemmen könnten.

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