Inklusives Performanceprojekt in Hamburg: Kollektiv statt konkurrierend

Humor hilft: Drei Tage lang beschäftigt sich das „Democratic Bootcamp“ in Hamburg mit den Hierarchien und Ausschlussmechanismen im Kulturbetrieb.

Musizierende Menschen auf einer kleinen Bühne, daneben ein bärtiger Mann mit weißen Engelsflügeln

Endlich alle Rollen übernehmen: Proben für das „Democratic Bootcamp“ Foto: Christian Martin

HAMBURG taz | Was haben „Wetten, dass …?“, „Wer wird Millionär?“ und so viele andere Gameshows gemeinsam? Tugenden der Vereinzelung und Konkurrenz, die der arbeitsteilige Kapitalismus hervorbrachte, werden in solchen TV-Formaten zur Unterhaltung für die ganze Familie. Es sind die Gottschalks und Jauchs unserer Gesellschaft, die als Showmaster allabendlich das Credo „The Winner Takes It all“ in die Köpfe von Millionen Zuschauenden hämmern. In Hamburg bringt das „Democratic Bootcamp“ nun eine ganz eigene Gameshow auf die Bühne – dabei herrscht nicht das Gesetz der Konkurrenz, sondern das des Kollektivs.

„Democratic Bootcamp mag etwas militärisch klingen“, räumt Jutta Schubert ein, aber letztlich drückt es genau aus, was das Ziel des Projekts ist: „Wir wollen dem Theater mit einer Intensität und Bestimmtheit demokratische Strukturen verleihen, die es schon lange nötig hat.“ Schubert ist Teil der Künstlerischen Leitung des Bootcamps und ansonsten Projektleiterin bei Eucrea. Das ist ein bundesweit aktiver Verein, der sich für die Teilhabe und Ausbildung von Menschen mit Behinderungen in Kulturbetrieben engagiert.

Im „Democratic Bootcamp“ steht nun die Auseinandersetzung mit den Arbeitsprozessen im Theater im Vordergrund. Es treffen acht unabhängige Theatergruppen aus ganz Deutschland und der Schweiz aufeinander. Darunter sind unter anderem die Hamburger Gruppe „Meine Damen und Herren“, die Berliner Gruppe „Theater Tikwa“ und das feministische Performance-Kollektiv „She She Pop“. Alle Gruppen haben untereinander Tandems ausgebildet, sodass jeweils zwei Kollektive miteinander eine Performance entwickelt haben. Am Ende treten diese vier Tandems in einer, eben, Gameshow an.

Schubert verweist auf die ­Hie­rarchien und Machtasymmetrien, die auch in Kulturbetrieben allgegenwärtig seien – und immer wieder zu Ausschluss und Diskriminierung führten. „Im Democratic Bootcamp wird demokratisch entschieden“, sagt Schubert. Und das ist keine Kleinigkeit: Jede kreative Entscheidung wird im Kollektiv ausgehandelt, also von insgesamt 30 Leuten. Statt einer Re­gis­seu­r*in gibt es eine künstlerische Leitung, die aus fünf Dra­ma­tur­g*­in­nen besteht.

„Die Show: Do bis Sa, 1. bis 3. 12., jeweils 20 Uhr, Hamburg, Kampnagel (auch als kostenloser Livestream). Tastführung (ca. 30 Minuten) für blindes und sehbehindertes Publikum: Sa, 3. 12., 18.30 Uhr

Während der Proben zu „Die Show“ ertönt eine verzerrte Stimme: Es ist die Gameshow selbst, die da aus dem Off spricht. Sie führt in der Inszenierung ein Eigenleben. Diese Show also, gespielt von Melanie Lux, wehrt sich mit aller Macht gegen die Kollektive; die versuchen schließlich, das Prinzip des Genres, also den eingangs erwähnten Wettbewerb, auf den Kopf zu stellen.

Demgegenüber offenbart die Show ihren narzisstischen, boshaften Charakter: Immer wieder stellt sie die Theaterleute vor Herausforderungen; schließlich sieht sie sich auch in einer Konkurrenz – zu Spielleitergrößen wie Thomas Gottschalk. Die Gameshow selbst wird so zum leibhaftigen Antagonisten des kollektiven Arbeitens.

Die Theatertruppen antworten auf die Gängelung mit anspruchsvollen Performances, welche das ganze Spiel ad absurdum führen. „Meine Damen und Herren“ etwa verkleiden sich als Haushaltsgeräte, „die auf der Bühne lebendig werden“, sagt die Schauspielerin Melanie Lux. „Sie reden dann über ihre jeweiligen Aufgaben, die sie im Alltag haben.“ So findet die Reflexion über die Arbeitsprozesse auch eine szenische Umsetzung. Lux, selbst Teil von „Meine Damen und Herren“, ist am „Democratic Bootcamp“ als Dramaturgin beteiligt.

„Die Idee zu dem Projekt erwuchs aus dem Bedürfnis vieler Menschen mit Beeinträchtigungen heraus, die im Theater verschiedene Rollen übernehmen wollen, was ihnen aber oft verwehrt bleibt“, sagt Schubert. „Daher wollten wir schauen, wie verschiedene Theaterkollektive arbeiten.“ Außerdem gehe es darum, neue Wege für kreative Prozesse insgesamt zu eröffnen.

Eine Methode, demokratisch kreativ sein zu können, sei der Humor: „Ohne Humor geht gar nichts“, sagt Melanie Lux. Und selbst wenn es hinter der Bühne auch schon mal Streit gebe, funktioniere die demokratische Arbeitsstruktur erstaunlich gut.

Neben „Die Show“ wird es auf der dreitägigen Veranstaltung noch ein Trainingslager sowie eine „Democratic Disco“ geben. Im Rahmen des Trainings­lagers sollen in Form eines Symposiums verschiedene Themen rund um das Thema kollektives Arbeiten kritisch erarbeitet werden.

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