kritisch gesehen: „im menschen muss alles herrlich sein“ in hamburg
: Auf Möbelbergen

Ein Turm an Möbeln steht auf der ansonsten ziemlich leeren Bühne: Stühle, ein Schrank, auch eine Couch. Der Hausstand Auswandernder, vorbereitet für den Container? Oder musste jemand eilig los, fliehen vielleicht, und ließ den sperrigen Krempel zurück?

Es ist ein Stoff, wie er passender nicht sein könnte, der da vor einem Monat auf die Nichtbühne der Altonaer Nebenspielstätte des Hamburger Thalia-Theaters kam; knapp vor der Inszenierung in Magdeburg, Premiere am vergangenen Samstag – die sicher nicht die letzte bleiben wird. Ja, ein passender Stoff, diese Geschichte um zwei Mütter und ihre Töchter, Kontingentflüchtlingsdasein in der ostdeutschen Provinz und, davor, das Zerbröseln der Sowjetunion; die ja gerade nicht nur in ein bis heute unter imperialen Fieberschüben leidendes Russland überging, sondern auch: die Ukraine.

Geschrieben hatte Sasha Marianna Salzmann die Vorlage, bevor der lange schwelende Krieg eskalierte: Spät im vergangenen Jahr erschien „Im Menschen muss alles herrlich sein“, brachte Salzmann den Hermann-Hesse-Literaturpreis 2022 ein, den der Literaturhäuser, auch auf der Buchpreis-Longlist stand der Roman. Für das Thalia hat die Au­to­r*in selbst eine Bühnenfassung geschrieben, mit Regisseur Hakan Savaş Mican verbindet sie langes gemeinsames Arbeiten.

Vier Frauen also, einen Typen gibt es auch, er stellt mehrere Männer dar, dazu Musik, live gespielt und gesungen: Es ist eine Großstadt-Generationenkomödie vor dem Hintergrund großer Geschichte, politisch interessiert und kein bisschen didaktisch; mit Zutaten wie der clubbenden Tochter, die sich in die tätowierte Türsteherin verguckt – aber etwa auch dem Großvater aus dem Donbass. So was klingt heute anders, aber der Krieg war dort ja auch 2021 schon nicht neu.

Die gut gelaunte Besetzung (Oda Thormeyer, Toini Ruhnke, Oana Solomon, Pauline Rénevier, Masha Kashyna und Stefan Stern) spielt gekonnt mit der dem Stoff innewohnenden Ambivalenz. Wer das Burleske und, gleich darauf, das Traurigkeit als irgendwie typisch osteuropäisch rubriziert, legt damit wohl vor allem eigene starre Vorstellungen offen (und am Ende sind auch gehörig die Möbel gerückt). Alexander Diehl

Nächste Vorstellungen: Di, 29. 11. (ggf. Restkarten); 14., 21. + 30. 12., Hamburg, Thalia Gaußstraße