BKA-Zahlen zu Gewalt gegen Frauen: Dreizehn Opfer jede Stunde

Im vergangenen Jahr gab es weniger angezeigte Fälle von Gewalt durch (Ex-)Partner als im ersten Coronajahr 2020. Entwarnung bedeutet das nicht.

Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus stellen die Sonderauswertung der BKA-Zahlen vor

Körperverletzung, Vergewaltigung, Mord: Die Ministerinnen Faeser und Paus haben erschreckende Zahlen vorgestellt Foto: Metodi Popow/imago

BERLIN taz | Jede Stunde im Jahr 2021 wurden durchschnittlich 13 Frauen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Insgesamt waren es 143.016 statistisch erfasste Fälle, in denen ein (Ex-)Partner Gewalt ausübte oder es versuchte. Diese Zahlen stellte das Bundeskriminalamt (BKA) gemeinsam mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Frauenministerin Lisa Paus (Grüne) am Donnerstag anlässlich der kriminalstatistischen Auswertung zur sogenannten Partnerschaftsgewalt vor. 80,3 Prozent der Opfer sind weiblich, 19,7 Prozent männlich, andere Geschlechter wurden nicht erfasst. Kategorien sind vorsätzliche einfache Körperverletzung, Bedrohung, Stalking, Nötigung, gefährliche Körperverletzung, Vergewaltigung sowie Mord und Totschlag.

Dabei geht die Zahl der Opfer um 3 Prozent zurück. Vergleicht man die Opferzahlen allerdings mit denen vor fünf Jahren, ist ein Anstieg von 3,4 Prozent zu verzeichnen. Das erste Coronajahr 2020 war bislang ein Rekordjahr. Während der Coronalockdowns wurde oftmals von häuslicher Gewalt als „Schattenpandemie“ gesprochen.

Die Zahlen des BKA stellen lediglich das sogenannte Hellfeld dar – also alle Fälle, die angezeigt wurden. Petra Söchting, Leiterin des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“, verweist darauf, dass für viele Frauen nicht die polizeiliche Erfassung, sondern die akute Hilfeleistung an erster Stelle steht: „Wir wissen, dass ein anonymer Kontakt ein wichtiger erster Schritt ist“, sagt Söchling. 54.000 Anrufe hat das Hilfetelefon 2021 beantwortet.

Der Tag Weltweit ist jede dritte Frau von Gewalt betroffen. Jahrzehntelang haben Menschenrechtsorganisationen auf sexualisierte und häusliche Gewalt, Femizide, Zwangsprostitution oder Genitalverstümmelung aufmerksam gemacht. 1999 etablierte die Generalversammlung der Vereinten Nationen einen Tag, der der Beseitigung von Gewalt gegen Frauen gewidmet ist: den 25. November. Jedes Jahr soll das öffentliche Interesse auf Gewalt gegen Mädchen und Frauen gelenkt werden, zudem soll es um Strate­gien zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gehen.

Die Farbe Orange Die Vereinten Nationen haben auch die Kampagne „Orange the World“ ins Leben gerufen. Die Farbe Orange soll eine Zukunft ohne Gewalt gegen Frauen symbolisieren. In vielen Städten weltweit, darunter auch in 122 deutschen wie München, Berlin, Speyer oder Wetzlar, werden am 25. November Gebäude und Denkmäler in Orange beleuchtet, finden Veranstaltungen, Lesungen und Filmvorführungen statt. Prominente tragen als Zeichen von Solidarität orange Armbänder oder unterstützen Anti-Gewalt-Kampagnen in sozialen Medien. Für Projekte, die gewaltbetroffene Frauen in 140 Ländern unterstützen, kann zum Beispiel unter www.gewalt-stoppen.org an den „UN Trust Fund to End Violence against Women“ gespendet werden. (taz)

Laut der Dunkelfeld-Studie des BKA von Anfang November wird sexualisierte Gewalt nur in 1 Prozent der Fälle angezeigt. Die Innenministerin wies auf die geringe Anzeigebereitschaft bei „Sexualdelikten“ hin: „Deshalb möchte ich allen von Gewalt Betroffenen sagen: Sie sind nicht allein“, so Faeser. „Wenn Sie Gewalt erleben, dann bringen Sie das bitte zur Anzeige. Nur so können Täter zur Rechenschaft gezogen werden.“

Die Anwältin Asha Hedayati schrieb auf Twitter: „Viele haben kein Vertrauen in die ­Polizei, weil sie selbst oder Freun­d*in­nen und Bekannte bereits die Erfahrung machen mussten, dass sie nicht ernst ­genommen werden, dass sie misogyne Fragen beantworten mussten und dass es zur Täter-Opfer-Umkehr gekommen ist.“

Auch gibt es in Deutschland nicht genügend Schutzräume für Frauen, die von Gewalt betroffen sind: Deutschland setzt die Istanbul-Konvention nicht um, die zum Schutz der von Gewalt betroffenen Frauen beitragen soll. Die Bundesregierung hatte die Konvention zwar 2018 ratifiziert, setzt einzelne Maßnahmen allerdings nicht um. 2018 noch hatte die Bundesregierung Vorbehalte gegenüber von Gewalt betroffenen Geflüchteten und deren Aufenthaltsstatus.

Die neue Bundesregierung zog Ende Oktober diesen Vorbehalt zurück, sodass Gewalt gegen Frauen aufgrund des Geschlechts als Grund für die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz gilt. Eine Maßnahme wurde bereits umgesetzt: Seit dem 1. November gibt es am Deutschen Institut für Menschenrechte eine unabhängige Bericht­erstattungsstelle für geschlechtsspezifische Gewalt.

Dunkelfelder-Studien gehen davon aus, dass rund 25 Prozent der Frauen zwischen 16 und 85 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben Partnerschaftsgewalt erleben. Mit dem Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ gibt es unter der kostenlosen Telefonnummer 08000 – 116 016 Unterstützung in allen Fällen von Gewalt gegen Frauen.

Die Istanbul-Konvention sieht auch vor, dass genügend Plätze in Frauenhäusern zur Verfügung stehen müssen. Konkret sind es 2,59 Betten für eine Frau und ihre Kinder, die pro 10.000 Ein­woh­ne­r:in­nen gefordert werden. Laut der Zentralen Informationsstelle autonomer Frauenhäuser wären das 21.429 Plätze. Momentan gibt es 6.500, viele sind nicht barrierefrei. Der Europarat attestierte Deutschland deshalb Anfang Oktober Defizite beim Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt. Die Frauenhausplätze seien „insgesamt sichtbar und spürbar zu niedrig“, sagt auch Frauenministerin Lisa Paus (Grüne).

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