Prozess gegen frühere KZ-Sekretärin: Bewährungsstrafe gefordert

Über ein Jahr läuft die Verhandlung gegen eine 97-jährige ehemalige KZ-Sekretärin. Nun forderte die Staatsanwaltschaft eine Jugend-Bewährungsstrafe.

Die Angeklagte Irmgard F. (l) sitzt zu Beginn des Prozesstages neben ihren Anwälten Foto: Marcus Brandt/dpa

BERLIN taz | Zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen Beihilfe zum Mord im KZ: So lautet die Strafforderung der Staatsanwaltschaft gegen eine ehemalige Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig (heute Gdansk). In dem Prozess vor dem Landgericht Itzehoe trug Staatsanwältin Maxi Wantzen in ihrem Plädoyer zur Begründung vor, die heute 97-jährige Angeklagte habe sich der Beihilfe zum heimtückischen und grausamen Mord in mehr als 10.000 Fällen schuldig gemacht.

Nach Überzeugung der Anklage hat Irmgard F. mit ihrer Schreibarbeit in der Kommandantur des KZ dafür gesorgt, dass der Lagerablauf aufrecht erhalten werden konnte. Sie sei durch ihre Arbeitsbereitschaft eine wichtige Unterstützung des Lagerkommandanten und seiner Adjutanten gewesen.

Irmgard F., so die Staatsanwältin, habe als einzige Sekretärin des Kommandanten von den lebensfeindlichen Bedingungen und den Morden im KZ wissen müssen. Sie habe den Rauch beim Verbrennen der Leichen im Krematorium und auf einem Scheiterhaufen sehen können. Zwar habe sie das eingezäunte Lager selbst nicht betreten. „Das war aus meiner Sicht nicht erforderlich, um Kenntnis von den Massenmorden zu haben“, sagte Wantzen.

Seit einem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom September 2016 ist eine Verurteilung von KZ-Bediensteten auch dann möglich, wenn diesen kein individueller Mordvorwurf nachgewiesen werden kann. Es genügt, wenn diese mit ihrer Arbeit das mörderische Tun in einem Lager unterstützten.

Die vergleichsweise geringe Strafe entspricht exakt einem Urteil, dass vor gut zwei Jahren in einem anderen Stutthof-Prozess verhängt wurde. Das Landgericht Hamburg hatte im Juli 2020 den ehemaligen KZ-Wachmann Bruno D. ebenfalls zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Flucht vor dem Prozess

Wie bei D. wird auch in dem Itzehoer Verfahren das Jugendstrafrecht verwandt. Irmgard F. war zum Zeitpunkt der ihr vorgeworfenen Taten erst 18 und 19 Jahre alt. Sie hat sich in ihrem Prozess bisher kein einziges Mal zu den Vorwürfen geäußert. Allerdings machte sie zu Beginn des Verfahren im September 2021 mehr als deutlich, was sie von dem Verfahren hält: Damals tauchte die in einem Seniorenheim lebende Frau nicht im Gerichtssaal auf, sondern entzog sich dem Prozess durch eine Flucht mit dem Taxi an die Hamburger Stadtgrenze. Dort wurde sie noch am gleichen Tag von der Polizei gefasst und kam wegen drohender Fluchtgefahr anschließend kurzzeitig in Untersuchungshaft.

Irmgard F. arbeitete von Juni 1943 bis zum April 1945 als sogenannte Zivilangestellte in der KZ-Kommandantur. In Vernehmungen vor dem Prozessbeginn hatte sie davon gesprochen, für die „Wehrmacht Danzig“ gearbeitet zu haben. Ein historischer Sachverständiger in dem Verfahren widersprach dieser Version des Tatgeschehens.

Anfang November hatte das Gericht die Gedenkstätte Stutthof in Polen besucht und dabei auch das frühere Gebäude der Kommandantur besichtigt. Dem Protokoll dieses Ortstermins zufolge habe die Angeklagte damals beim Blick aus dem Fenster des Geschäftszimmers das sogenannte Neue Lager sehen können, zu dem auch das „Judenlager“ mit besonders furchtbaren Haftbedingungen gehörte. Ähnlich war die Aussicht aus dem Raum des KZ-Kommandanten Werner Hoppe. Der Blick aus einem dritten Raum, der in der NS-Zeit als Magazin diente, ließ die Baracken des Alten Lagers, das Krematorium und die Vergasungsanlage erkennen.

Der Prozess wird in der nächsten Woche mit den Plädoyers der Nebenklage fortgesetzt. Mit einem Urteil ist für das Jahresende zu rechnen. Die Anklage äußerte die Vermutung, dass dies das letzte Verfahren gegen einen mutmaßlichen NS-Täter sein könnte. Doch im bayerischen Coburg ermittelt die Staatsanwaltschaft derzeit gegen einen Wachmann des KZ Ravensbrück.

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