Präventivgewahrsam für Klimaaktivisten​: Die bayerische Art

Bayern greift hart durch: Wer sich hier auf die Straße klebt, landet oft direkt im Knast. Möglich macht es ein noch immer umstrittenes Gesetz.

Blockade von Aktivist:innen auf einer Straße.

Trotz Präventivhaftandrohung: Blockade der Letzten Generation in München am 21. November Foto: Lennart Preiss/dpa

MÜNCHEN taz | Es ist eine klebrige Angelegenheit. Immer wieder haben sich in der jüngeren Vergangenheit Klimaaktivisten in Bayern auf vielbefahrenen Straßen festgeklebt oder öffentlichkeitswirksame Attacken auf Kunstwerke verübt. Darin unterscheidet sich der Freistaat nun nicht sonderlich von anderen Bundesländern, doch der Umgang mit den zumeist jungen Demonstrantinnen und Demonstranten ist ein anderer.

Montag vorvergangener Woche am Stachus. Eigentlich heißt der Platz mitten in der Stadt – auf halben Weg zwischen Marienplatz und Hauptbahnhof – Karlsplatz, aber weil hier mal im 18. Jahrhundert ein Mathias Eustachius Föderl, den alle nur Eustach nannten, ein Wirtshaus hatte, nennen heute den Platz alle nur Stachus. Man ist halt traditionsbewusst in München. Es ist Vormittag. Die Arbeitswoche beginnt. Der Verkehr rauscht auf dem Altstadtring am Stachus vorbei. Noch.

Doch dann zwingen fünf Aktivisten der Bewegung Letzte Generation die Autofahrer anzuhalten, drei von ihnen kleben sich vor den Fahrzeugen mit je einer Hand auf der Fahrbahn fest. Die Polizei ist kurz darauf vor Ort, doch bis sie die Hände gelöst und die Straße freigegeben hat, vergehen anderthalb Stunden. Die Aktivisten, darunter auch die 18-jährige Maria Braun, erwartet nun nicht nur ein Strafbefehl wegen Nötigung im Straßenverkehr und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, sie werden gleich festgenommen und in die Münchner Haftanstalt Stadelheim gebracht. Präventivgewahrsam nennt sich die Maßnahme, sprich: Hiermit soll lediglich verhindert werden, dass sich eine mühsam von der Straße entfernte Demonstrantin am nächsten Tag gleich wieder wo festklebt.

30 Tage lang können Menschen in Bayern weggesperrt werden, um vermutete Straftaten oder schwere Ordnungswidrigkeiten zu verhindern. Die Haft kann danach sogar noch einmalig um weitere 30 Tage verlängert werden.

Söder beruft sich auf den Volkswillen

Ein Schicksal, das die fünf durchaus einkalkuliert hatten. Denn nur wenige Tage zuvor hatten zwölf Gleichgesinnte an derselben Stelle mehr oder weniger die gleiche Aktion durchgeführt und waren dafür für 30 Tage in Polizeigewahrsam geschickt worden. Maria Braun lässt sich denn kurz vor der eigenen Festnahme auch mit den Worten zitieren: „Ich werde mich auch von Drohungen mit 30 Tagen Gefängnis nicht einschüchtern lassen. Mein Leben und das Leben meiner ganzen Generation steht auf dem Spiel.“ Andere, so fordert die junge Frau, sollten nun ihren Platz auf der Straße einnehmen.

Im Fall der Schülerin werden es dann zwar nur sechs Tage Haft sein, aber insgesamt sind es über 30 Aktivisten, die die bayerische Polizei in den vergangenen Wochen in Präventivgewahrsam genommen hat – zum Teil für 30 Tage. Einer von ihnen, ein 47-jähriger Umweltingenieur, trat vor mehr als einer Woche in Hungerstreik. Es ist das Vorgehen der bayerischen Polizei, das eine Diskussion wieder aufkochen lässt, die hierzulande schon seit fünf Jahren am Köcheln ist. 30 Tage Haft für eine Verkehrsstörung?

Nun hat ein beherztes Zugreifen in Bayern eine lange Tradition. Man erinnert sich etwa an den Polizeikessel während des Weltwirtschaftsgipfels in München 1992: Damals waren zu laute Demonstranten stundenlang von der Polizei eingekesselt und dann zum Teil recht unsanft festgenommen worden. Viele verbrachten die Nacht in der Zelle – unrechtmäßig, wie ein Gericht später feststellte. Max Streibl, damaliger Ministerpräsident, verstand die Aufregung nicht: „Wenn einer glaubt, er muss sich mit Bayern unbedingt anlegen und er muss stören – dass wir dabei auch dann manchmal etwas härter hinlangen oder durchgreifen, das ist auch bayerische Art.“

Dieses etwas folkloristische Verständnis von Recht und Ordnung würde heute vielleicht selbst in CSU-Kreisen nicht mehr ganz so unverblümt artikuliert werden, findet sich aber nach wie vor in der vielbeschworenen DNA der Partei, die seit 65 Jahren Bayern regiert. Bei Streibl-Nachfolger Markus Söder klingt das dann etwa – wie hier in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen – so: „Ein Rechtsstaat muss eine klare Linie haben, wenn es um Leib und Leben geht oder um Eigentum und Sachbeschädigung. Wer Kunstwerke verunstaltet oder Rettungsfahrzeuge blockiert und damit indirekt Leben gefährdet, überschreitet eine Grenze.“ Söder fordert härtere Strafen – auch Haftstrafen – gegen die Aktivisten und sieht das bayerische Vorgehen durch den Volkswillen legitimiert: „Die große Mehrheit der Deutschen hält Straßenblockaden für falsch.“

„Ich finde es nervig, dass nur noch über die Form des Protests geredet wird“

Gleichzeitig gibt es aber auch Verständnis für die Aktivisten. Von unterschiedlichster Seite, zum Beispiel auch Kirchenvertretern. „Ich bewundere diese Leute unendlich für ihren Mut und ihre Selbstlosigkeit“, sagt etwa der Nürnberger Jesuitenpater Jörg Alt. Und der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm setzt noch eins drauf: „Ich glaube, dass es wichtig ist, die Dringlichkeit des Themas wo immer möglich und mit welchen Mitteln auch immer möglich sichtbar und deutlich zu machen.“ Mit welchen Mitteln auch immer? Den Bischof hat man bislang zwar noch nirgends kleben sehen, aber in der verbalen Radikalität übertrifft er die meisten Angehörigen der Bewegung Die Letzte Generation noch, die stets auf die Gewaltfreiheit ihrer Aktionen verweisen.

Auch Katharina Schulze hat Verständnis für die Aktivisten – obwohl sie deren Klebereien für kontraproduktiv hält. „In der Zielsetzung ‚Mehr Klimaschutz‘ bin ich ganz d’accord“, sagt die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, „ich glaube aber nicht, dass diese Form des Protests der Sache dient.“ Kreativer Protest sei zwar gut und wichtig, um Druck auf die Parlamente zu machen, aber dafür gebe es im Rahmen des Erlaubten genügend Möglichkeiten. Letztlich müsse es in einer Demokratie doch darum gehen, mit Argumenten im Diskurs Mehrheiten hinter der eigenen Position zu versammeln. „Ich finde es auch nervig, dass jetzt wieder nur endlos über die Form dieses Protests geredet wird und nicht über das eigentliche Thema: Wie schützen wir das Klima?“

Das andere aber ist der jetzige Umgang des Staates mit den Aktivisten: Dass jetzt Menschen auf Grundlage des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) für bis zu zwei Monaten weggesperrt werden, dafür hat Schulze kein Verständnis. Das Gesetz wurde vor fünf Jahren auf den Weg gebracht und ist das Instrument, mit welchem neuerdings gegen die Klimaaktivisten vorgegangen wird. „Es zeigt sich jetzt, dass die Tausenden von Menschen, die 2018 in Bayern gegen das PAG auf die Straße gegangen sind, das richtige Grundgefühl hatten.“ Ein breites Bündnis von FDP bis Marxistisch-Leninistische Partei hatte damals gegen das Gesetz demonstriert.

Verstoß gegen Artikel 102 der bayerischen Verfassung?

Immerhin war das Gesetz nach diesen Protesten und der Überprüfung durch eine Kommission an manchen Stellen wieder entschärft worden. Für den Präventivgewahrsam hieß das, dass die sogenannte Unendlichkeitshaft zurückgenommen wurde. Ursprünglich hätten Menschen, die nach Ansicht der Polizei eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit planen, für drei Monate inhaftiert werden können, und diese Präventivhaft hätte dann beliebig oft um weitere drei Monate verlängert werden können.

Aber auch mit der derzeitigen Präventivhaft von bis zu zwei Monaten, die schon für drohende Ordnungswidrigkeiten verhängt werden dürfe, stehe Bayern allein auf weiter Flur, kritisiert Schulze. In keinem anderen Bundesland gebe es vergleichbare Regelungen. Dass jetzt auch noch Berlins sozialdemokratische Innensenatorin Iris Spranger fordert, sich an Bayern ein Beispiel zu nehmen und die Präventivhaft zu verlängern, hält die Grünen-Politikerin für „Quatsch“.

Auch unter Juristen ist das Gesetz umstritten. So strengte eine Gruppe von Jurastudentinnen und -studenten um die Lehrbeauftragten Isabel Feichtner, Markus Krajewski und Martin Heidebach schon 2018 eine Popularklage vor dem obersten bayerischen Gericht an. Die Popularklage ist eine bayerische Einzigartigkeit: Hier hat jeder Bürger das Recht gegen ein Gesetz zu klagen, wenn er der Ansicht ist, dass es nicht mit der Verfassung vereinbar ist. Eine persönliche Betroffenheit muss er nicht nachweisen.

62 Seiten umfasst das Schriftstück, in dem die Verfasser darlegen, wieso das Gesetz ihrer Beurteilung nach gegen die Bayerische Verfassung verstößt. Da geht es um den Begriff der „drohenden Gefahr“, Überwachungsbefugnisse, aber eben auch um die umstrittene Präventivhaft. Diese verletze Artikel 102 der Verfassung, der die Freiheit der Person garantiere.

„Der Gedanke des Gesetzes wird auf diese Weise pervertiert“

Wie das Instrument der Präventivhaft jetzt angewandt wird, vergrößert die ohnehin schon große Skepsis der PAG-Kritiker noch einmal. „Ich finde das, vorsichtig formuliert, extrem problematisch“, sagt Krajewski, der den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg innehat.

Dabei lehnt Krajewski eine Präventivhaft nicht grundsätzlich ab. „Ich gebe meinen Studentinnen und Studenten da immer ein Beispiel: Wenn ein Mann mit dem Messer vor der Wohnung seiner Ex-Frau steht und sagt: ‚Ich bring dich um!‘, dann muss ihn die Polizei natürlich erst mal aus dem Weg schaffen.“ Da sei eine Präventivhaft von 48 Stunden, wie in den meisten Bundesländern üblich, völlig angemessen. In der Zeit könne dann beurteilt werden, wie man weiter verfahre und für die Sicherheit der Frau sorge.

Aber 30 Tage? Und das für eine gewaltfreie Protestaktion? „Der Gedanke des Gesetzes wird auf diese Weise pervertiert.“ Terroranschläge, Amokläufe und Stalking – das waren die Beispiele, mit denen Ministerpräsident Söder bei der Einführung des Gesetzes dessen Notwendigkeit begründete. Stattdessen kommt es nun zur Anwendung gegen Klimaaktivisten.

Dabei, so Krajewski, „ist ja noch nicht einmal geklärt, dass das, was die Aktivisten da machen, überhaupt eine Straftat oder eine schwerwiegende Ordnungswidrigkeit ist.“ Mit der Präventivhaft, die ja nur der Verhinderung solcher Taten dienen könne, nehme die Polizei die Antwort auf diese Frage einfach mal vorweg.

Innenminister Herrmann droht „Klima-Chaoten“

Im Raum steht natürlich der Vorwurf der Nötigung. Das sei aber ein sehr spezieller Straftatbestand, erklärt der Jurist. Anders als bei anderen Straftaten müsse bei der Frage, ob eine Nötigung vorliege, auch das Motiv des Täters berücksichtigt werden. Und da diese Aktionsformen völlig neu seien, müssten hier auch erst einmal entsprechende Urteile abgewartet werden.

Abwarten jedoch ist nicht das, was der bayerischen Staatsregierung derzeit vorschwebt. „Der Rechtsstaat darf sich nicht von den Klima-Chaoten an der Nase herumführen lassen“, stellt Innenminister Joachim Herrmann klar. „Wenn die Täter dann auch noch selbst ankündigen, zeitnah weitere Aktionen durchzuführen, müssen sie mit einer Gewahrsamnahme rechnen, um Wiederholungstaten zu verhindern.“

Es ist wieder ein Montagvormittag, als sich diese Woche erneut Aktivisten in München auf der Straße festkleben, diesmal auf der Luitpoldbrücke, direkt unter den Augen des Friedensengels. Sie seien vorläufig in Gewahrsam genommen worden, teilt die Polizei wenige Stunden später mit. Nach dem Polizeikessel von 1992 hatte Streibl erklärt: „Jeder muss wissen, wenn er nach Bayern kommt, dass er es eben mit Bayern zu tun hat.“

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