Populistische Strategie gegen Clans: Staatlich verordneter Tunnelblick

Laut einer Studie sind viele Gewerbekontrollen in Berlin oft nur Vorwand für Razzien gegen migrantische Läden. Das ist rassistisch – und ineffizient.

Eine Person bläst Rauch aus ihren Mund

Eigentlich Orte der sozialen Kontemplation, in Berlin immer öfter ­Zielscheiben für Razzien: Shishabars Foto: imago

Wie problematisch die Strategie gegen die sogenannte Clan-Kriminalität in Berlin ist, zeigt eine aktuelle interne Studie. Sie wurde von der Berliner Senatsverwaltung in Auftrag gegeben und liegt der taz exklusiv vor.

In der geleakten wissenschaftlichen Untersuchung der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) kommen Be­am­t*in­nen der Polizei und der Bezirksverwaltungen zu Wort, die frei von der Leber von ihrem Frust über die landesweit bekannten Razzien sprechen, die vermeintlich kriminelle und ethnisch definierte Großfamilien in den Fokus nehmen.

Eine ähnliche Politik wird auch in Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen schon seit Jahren unter fast allen in den Parlamenten und Landesregierungen vertretenen Parteien gepflegt. Statistisch betrachtet, fand in den vergangenen Jahren pro Tag mindestens eine solcher Razzien in Deutschland statt – stets medial, un­kritisch und polemisiert begleitet.

Neben dem rassistischen Blick, dem diese Strategie zugrunde liegt, zeigt die Studie vor allem eins: Die bisherige Law-and-Order-Politik ist ineffektiv. Sie lädt sogar Kriminelle ein, ihre Machenschaften weiter im Verborgenen zu verfolgen. Wie kann das sein?

Eine Berliner Be­am­t*in umschreibt in der Studie das Problem etwas bürokratisch, aber präzise derart: „Es gibt Vollzugsprobleme im Gewerberecht.“ Denn in Berlin werden Gewerbekontrollen als Türöffner benutzt, um die genannten Razzien überhaupt verdachtsunabhängig durchführen zu können.

Hoffen auf Drogen oder Waffen

Das funktioniert so: Mit dem Vorwand, zum Beispiel lebensmittelrechtliche Standards in einem Gewerbe mit mutmaßlicher Clan-Zugehörigkeit kontrollieren zu wollen, verschafft sich die Polizei und/oder die Bezirksverwaltung manchmal mit Hunderten Beteiligten Zutritt zu einem Laden – und hofft dann darauf, was ganz anderes zu finden. Drogen oder Waffen zum Beispiel.

Aus der Studie geht allerdings hervor, dass bei den genannten Razzien häufig wenig bis gar nichts gefunden wird. In Kombination mit einem Personalmangel im Bereich Gewerbekontrollen ist daher vor allem eins zu konstatieren: Viele Gewerbe (meist jene, die eben nicht von migrantisierten Menschen geführt werden) bleiben unkontrolliert. Dort tauchen die Behörden selten bis gar nicht mehr auf, weil sie dafür schlicht keine Kapazitäten mehr haben.

Doch dabei stellt sich die Frage: Wie viele Alfons Schuhbecks können in der Hauptstadt und darüber hinaus eigentlich ungestraft in ihrem Gewerbe heikle Daten manipulieren, Steuern hinterziehen, Straftaten begehen?

Der Sternekoch Alfons Schuhbeck wurde erst vor wenigen Wochen von einem Gericht verurteilt, weil er Kassen und Einnahmen in seinen prestigeträchtigen Restaurants in München manipuliert und dadurch Steuern in Millionenhöhe hinterzogen hatte.

Gewerbekontrollen sind eigentlich für die Aufdeckung solcher Fälle gedacht. Doch sie können nicht durchgeführt werden, wenn sie sich auf kleine Shisha-Bars, Frisörläden oder Spätis konzentrieren, allein weil dort „Araber“ hinter dem Tresen stehen.

Abgesehen davon, dass diese performative Sicherheitspolitik laut einem Rechtsgutachten in der besagten Studie gesetzwidrig ist, können sich weite Teile der organisierten Kriminalität in Deutschland darauf verlassen, dass sich die Sicherheitsbehörden zusammen mit Ordnungs-, Finanz- oder Eichämtern mit der Produktion von politisch gewollten Fernsehbildern beschäftigen.

Populistische Politik

Po­li­ti­ke­r*in­nen wie der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel oder seine Vorgängerin im Amt, Franziska Giffey, stellen sich gerne vor Kameras und zeigen Präsenz, während Dutzende von Po­li­zis­t*in­nen und Be­am­t*in­nen im Hin­tergrund durch die Bilder huschen.

Diese populistische Politik stigmatisiert migrantische Läden und ihre Be­sit­ze­r*in­nen pauschal, viele von ihnen haben nachweislich nichts mit Kriminalität am Hut. Dafür müssten Jour­na­lis­t*in­nen lediglich nach den Razzien bei der Polizei nachfragen, was eigentlich bei den vorgeschobenen Gewerbekontrollen gefunden wurde.

Meist lautet die Antwort wie schon beschrieben: wenig bis nichts. Nur die wenigsten Medien liefern diese Informationen nach.So entsteht – vor allem mit den verbreiteten Fernsehbildern – in der Bevölkerung ein auf sehr vielen Ebenen falscher und verzerrter Eindruck. Ganze Bezirke und Stadtteile werden mit dieser Strategie gebrandmarkt, die Lebensqualität und das Sicherheitsgefühl der An­woh­ne­r*in­nen dort beeinträchtigt.

Und vor allem bringt dieser rassistische Blick auch eine große Gefahr mit sich: migrantische Läden und Orte werden – im Zuge der Clan-Debatten auf Parteitagen, in Talkshows und Boulevardmedien – von Rechtsextremisten als Ziel ausgemacht.

Das zeigt zum Beispiel der Alltag in Berlin-Neukölln. Hier hat jahrelang eine rechtsextreme, organisierte Bande ihr Unwesen getrieben und die Menschen in Angst und Schrecken versetzt, ohne dass sie von den Sicherheitsbehörden daran gehindert wurde.

Das zeigt auch sehr schmerzhaft das Attentat von Hanau, wo der rechtsextreme Terrorist nicht zufällig eine Shisha-Bar ins Visier genommen und dort mehrere migrantisierte junge Menschen gezielt getötet hat. Diese rassistische und ineffektive Symbolpolitik hat weitreichende Konsequenzen.

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