Gegengewicht zu Dürer

30 Künstler/30 Räume Vier Institutionen für zeitgenössische Kunst haben sich in Nürnberg für ein Ausstellungsprojekt zusammengetan und zeigen ein anderes Gesicht der Stadt

Von dem Gemeinschaftsprojekt der Nürnberger profitieren vor allem auswärtige Besucher

VON BRITTA PETERS

Freundlich bittet Christian die Veranstalter, den psychedelischen Sound einer Installation etwas herunterzuregeln: „Ihr wisst ja, dass ich eine Macke habe.“ Spricht’s und stellt sich in die Ecke des Ausstellungsraums, mit dem Gesicht zur Wand. Dort bleibt er eine halbe Stunde stehen, bis sein Kollege ihn ablöst. Beide, 35 und 40 Jahre alt, leiden an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und gehören zu den mittlerweile 300.000 Kriegsveteranen in Deutschland. In Christians Fall sind es vor allem Geräusche, die als sogenannte Trigger einen Flashback der traumatischen Erfahrungen auslösen.

Bewusst hat er sich für ein Mitwirken an Santiago Sierras Performance „Veteran facing the corner“ entschieden, die im Rahmen der Ausstellung „30 Künstler/30 Räume“ durch die vier beteiligten Ausstellungshäuser tourt. Sierra, bekannt dafür, Themen wie Armut und Entlohnung durch spektakuläre Aktionen im Kunstkontext zu platzieren, verhilft dem verdrängten Leid der Soldaten zu Öffentlichkeit. Der häufig gegen ihn erhobene Vorwurf, er würde Menschen entwürdigend zur Schau stellen, greift in diesem Fall schon deshalb zu kurz, weil die Beteiligten ihre eigene Situation seit Jahren qualvoll reflektieren. Um gesellschaftlich zur Kenntnis genommen zu werden, machen sie ihr Schattendasein sichtbar.

Die gelungene Performance von Sierra gehört zu den wenigen Arbeiten, der von den vier großen Nürnberger Institutionen – Institut für moderne Kunst, Kunsthalle, Kunstverein und Neues Museum – initiierten Ausstellung, die die thematische gesetzte „Raum“-Blase explizit politisch füllen. Der überwiegende Teil besteht aus mehr oder weniger komplexen Installationen und Raumbildern.

Ein buchstäbliches Verständnis von Raum kommt zum Glück weniger zum Tragen. Denn dass ein formalistischer Zugang schnell zur langweiligen Dekoration gerät, lässt Christine und Irene Hohenbüchlers Installation im Neuen Museum erahnen: Sie spannen mit Stoffbahnen und bezogenen Kissen den Raum auf. Der kollektive Fertigungshintergrund der Objekte ist dem Resultat dabei ebenso wenig anzusehen wie die Tatsache, dass die Schaumstoff-Kuben durch die Zuschauer bewegt werden dürfen.

Das zukünftige Museum

2012 feiert Nürnberg das „Jahr der Kunst“. Die Idee zum gemeinsamen Projekt der vier Ausstellungshäuser entstand jedoch wesentlich früher und unabhängig von Begehrlichkeiten des Stadtmarketings. Der selbstbewusste Auftritt der zeitgenössischen Kunst soll vielmehr ein Gegengewicht schaffen zum endlosen Dürer-Taumel der Stadt, wie er sich in der gerade eröffneten Dürer-Ausstellung zeigt. Und er soll von einem „anderen Nürnberg“ berichten, das sich nach dem Krieg nur mühsam aus dem von den Nazis erzeugten, kulturellen Vakuum herausgebildet hat. Zu den entschiedenen Verfechtern für kulturelle Offenheit und internationalen Austausch gehörte in den 1970er auch Dietrich Mahlow, Gründungsdirektor der Kunsthalle.

Mahlows Vision eines zukünftigen Museums für zeitgenössische Kunst sah von Künstlern selbst gestaltete Ausstellungsräume vor und wollte sich mit Multifunktionsflächen performativen Kunstformen, wie dem Happening, gegenüber öffnen. Mit dem Ausstellungstitel, einem Zitat aus Mahlows Konzept für ein „dynamisches und wandlungsfähiges Museum“, erweisen die Verantwortlichen ihm die Ehre.

Vor allem der Kunstverein und das Institut für zeitgenössische Kunst bemühen sich, dabei durch Projekte im öffentlichen Raum und Performances den institutionellen Charakter der Schau zu öffnen. Trotzdem, die von Mahlow geforderte Nähe zum Alltag prägt die Ausstellung eher marginal. Sein zweites großes Thema, der Unterschied zwischen von Künstlern gestalteten Räumen und standardisierten Ausstellungsdisplays, lässt sich jedoch im Vergleich zwischen Kunsthalle und Neuem Museum sehr gut nachvollziehen.

In den verschachtelten Räumen der Kunsthalle liegt der Schwerpunkt auf verschrobenen Innenwelten, fast alle Installationen wurden durch die Künstler vor Ort aufgebaut. Sich am Ende des Parcours an Michael Beutlers zeltartigem Gebilde vorbeizuquetschen, um schließlich vor Max Friesingers „Kopfbahnhof“ zu landen, ist ein Vergnügen. Die Ausstellungssituation im Neuen Museum dagegen reduziert die Üppigkeit im Werk des Aktionskünstlers John Bock auf einen Monitor an der Wand und ein hoch an die Decke gehängtes Gebinde, das sich jeder Betrachtung entzieht.

So richtig behaupten kann sich in der 1999 fertig gestellten Halle nur die Installation „S.h.e.“ von Rosemarie Trockel. Ihre verstörende Ambivalenz macht sie gegenüber der antiseptisch-aufgeräumten Umgebung immun. Und so profitieren von dem Gemeinschaftsprojekt der Nürnberger vor allem auswärtige Besucher: Sie bekommen nicht nur einige sehr gute Arbeiten zu sehen, sondern erhalten auch einen aufschlussreichen Einblick in das Profil der unterschiedlichen Institutionen.

■ „30 Künstler/30 Räume“. Noch bis zum 17. 6. Informationen unter www.30kuenstler-30raeume.de/