Die Wahrheit: Iwan der Schreckschrauber

„Man hält uns für Schwächlinge“: Die Geldeintreiber der berühmt-berüchtigten Firma Moskwa Inkasso fürchten um den guten schlechten Ruf der Russen.

Cartoon mit Yoga für Inkasso-Unternehmen.

Illustration: Paul Amsel

Früher war es viel einfacher. Wenn der Russe kam, haben die Leute sofort pariert“, knurrt Iwan der Schreckliche, der mit bürgerlichem Namen Waldemar Prempel heißt. Prempel ist eigentlich gar kein Russe, sondern spätausgesiedelter Kasache mit deutschem Deportationshintergrund. Aber diese Unterschiede galten wenig im Ruhrgebiet der frühen achtziger Jahre, in dem Waldemar Prempel aufgewachsen ist. Schon im Kindergarten war Waldemar einfach „der Russe“ oder „der Iwan“.

Waldemar Prempel hat sich in sein Schicksal gefügt, mittlerweile hat sich der dreifache Familienvater ein mindestens fünfschrötiges Aussehen zugelegt: baumstammdicke Bizeps, eine auf Hochglanz polierte Glatze, Tätowierungen in kyrillischer Schrift, einen schwarzen Lederblouson und eine silberne Überkronung seiner Frontzähne, die hierzulande als typische Arbeit sowjetischer Zahnärzte gilt. In der Tat hat sich Prempel die metallisch blitzenden Grillz jedoch bei einem USA-Urlaub zugelegt und ordnungsgemäß als Arbeitsbekleidung von der Steuer abgesetzt.

Einigermaßen echt hingegen ist sein slawisch eingefärbtes Deutsch, das die sorgsam kuratierte Erscheinung als russischer Geldeintreiber „Iwan der Schreckliche“ abrundet. Als solcher hat Prempel die Weltpresse im Stammsitz des traditionsreichen Dienstleisters Moskwa Inkasso in Trockenscheidt bei Lüdringhausen versammelt, um seinem Ärger über die prekäre Lage der Russendarsteller im Finanzgewerbe Luft zu machen.

Die Luft im Bürocontainer im Gewerbegebiet zwischen Tierheim und Gebrauchtwagenhandel ist zum Schneiden dick. Auf den Monoblockstuhl neben uns kaut ein Hooligan vom Branchenblatt Der Prügelknabe gelangweilt an einem Totschläger, ein Feuilletonist der Zeit schreibt eifrig mit mit einem willfährigen Artikel hofft er, die Spielschulden bei Iwan zu tilgen, die sich in den Jahren seiner Scrabble-Abhängigkeit angehäuft hatten.

„In der Branche sind wir alle ehrbare Knochenbrecher, da gibt es keine weißen Schafe“, poltert Prempel, der sich selbst als „unpolitischen Haudrauf“ bezeichnet, und zerquetscht mit bloßer Hand erst eine rohe Kartoffel, dann einen Ziegelstein und schließlich eine Billardkugel. „Aber wenn auf höchster Ebene Zweifel an der russischen Durchsetzungsfähigkeit gesät werden, sind auch wir irgendwann machtlos“, ruft der Inkassounternehmer.

Nimbus als Superschurke

Seit Moskaus ehemals unbesiegbare Armee in der Ukraine in die Defensive geraten ist, hat das Russenbild seinen Schrecken verloren. Die eilig eingezogenen russischen Provinzler erregten in ihren abgeschabten Uniformen zuletzt beinahe Mitleid. Auch Putins persönlicher Nimbus als Superschurke hat gelitten. Nicht einmal mehr ein zünftiger Atomerstschlag wird dem zuletzt verzagt wirkenden Gewaltgreis noch zugetraut, das haben erhitzte Einzelmeinungen auf Twitter ergeben. Den chronisch zahlungsunfähigen Schuldnern von Moskwa Inkasso erschien eine atomare Apokalypse zwar immer als Alternative zu ihren Scheißleben, aber von militärischen Verlierern wollen sie sich deswegen noch lange nicht zusammenschlagen lassen. Russland hat seine Eskalationsdominanz verspielt, und Iwan ist der Leidtragende. Moskwa Inkasso wird kaum noch ernst genommen.

„Man hält uns für Schwächlinge!“, schäumt er. „Immer häufiger werden wir zur Kapitulation aufgefordert, kaum dass wir irgendwo die Tür eingetreten haben. Wie soll denn so eine vertrauensvolle Atmosphäre der Einschüchterung und Angst entstehen?“

Auch auf Gegenwehr treffen Iwan oder seine Kollegen immer häufiger. „Da wird in den USA angerufen, und am nächsten Tag steht beim Kunden im Garten ein Raketenwerfer gegen den bösen Russen“, sagt der Geldeintreiber, der die teuren Waffensysteme allerdings gern in Zahlung nimmt.

Besonders zu schaffen machen dem sensiblen Berufsschläger jedoch die selbst ernannten Russlandversteher. „Neulich war ich auf Hausbesuch bei einer Professorin, die intellektuell und auch sonst über ihre Verhältnisse gelebt hat. Jedenfalls waren da einige Schulden aufgelaufen. Die Dame hat sich selbst einen Finger gebrochen, noch bevor ich überhaupt den Mund aufmachen konnte. Und dann hat sie der Nato die Schuld gegeben.“

Auch anderswo wird über den guten schlechten Ruf der Russen diskutiert. „Am ungebrochen aggressiven Verhalten Moskaus hängen zahlreiche Arbeitsplätze“, erklärt uns Mick Garschin. „Neben den Geldeintreibern ist besonders die altehrwürdige Gilde der russischen Filmbösewichte von einer erfolgreich angeschobenen Dämonisierung abhängig.“

Der Münchener ist Zelluloid-Russe in dritter Generation. Seine Großmutter wurde wegen ihrer hohen Wangenknochen schon im Jahr 1963 final zur Russin gecastet und in dem Streifen „Liebesgrüße aus Moskau“ an der Seite Lotte Lenyas erstmals von James Bond erschossen, Garschins Vater starb den Filmtod im Jahr 1995 zuletzt unter einem von Bond gekaperten Panzer.

Klassiker unter Bösewichten

Auch Mick ist gut im Geschäft. Nachdem die Araber ihren Schurkenkredit im Arabischen Frühling weitgehend verspielt hatten, kam kaum ein Film mehr ohne den Klassiker des fiesen Russen aus. „So gut war die Geschäftslage seit den seligen Tages eines Ivan Drago nicht mehr“, gibt Garschin zu. „Aber wenn Putin in der Ukraine nicht bald liefert, werden die prestigeträchtigen Antagonistenrollen wieder anderswo besetzt. Natürlich geht bei uns die Angst um, dass die Chinesen bald alles übernehmen. Nordkorea hat sich ja schon ganz böse breitgemacht.“

Einmal im Monat treffen sich die Fantasie-Russen in einem Bochumer Borschtsch-Lokal, um über ihre Ängste zu sprechen. Am schlechten Russentisch ist man sich einig: Ob Mafioso aus Tomsk, Waffenschieber aus Omsk, Mädchenhändler aus Pinsk, sadistischer Killer aus Bratsk oder Evil Scientist aus Atomsk, noch kommt kaum ein Drehbuch ohne Ural-Unhold aus, doch künftig könnte der Hauch des Bösen noch weiter im Osten wehen.

„Kasachstan liegt ja gleich hinter der Chinesischen Mauer“, erzählt Schuldeneintreiber Prempel über sein Geburtsland, das in der Tat ans Reich der Mitte grenzt. In Hamburg hat er mit Peking Inkasso bereits einen Ableger seiner Firma mit chinesischem Bedrohungsszenario gegründet, sich einen Fu-Manchu-Bart wachsen lassen und das alte Nunchaku genannte Schlagwerkzeug abgestaubt. Dazu hat der Inkasso-Chef ein paar Brocken Straßen-Mandarin aufgeschnappt.

Die Aussprache geht dem sprachbegabten Prempel leicht über die Lippen, bloß mit den bildhaften Formulierungen hat er seine Mühe. „Der Fluss umfließt den Berg so lange, bis der Bambus die Jade freigibt“, übt er eine traditionelle Drohung aus dem Finanzmilieu und stutzt. „Bin ich jetzt der Fluss oder der Bambus?“

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