Geo-Engineering gegen den Klimawandel: Eine Billion für einen Sonnenschirm

Marco Fuchs baut Satelliten. Jetzt lässt er prüfen, ob Sonnensegel im All die Erderhitzung bremsen könnten.

Portrait von Marco Fuchs

Marco Fuchs ist Chef des Satelliten-Fabrikanten OHB Foto: Kay Michalak /Fotoetage

BREMEN taz | Wer hat das schon, ein eigenes Raumfahrtunternehmen, mit Tausenden Ingenieuren, die man einfach fragen kann, wenn man wissen will, ob die sich verstörend schnell aufheizende Welt vielleicht aus dem All zu retten sein könnte? Also erst mal nur ganz hypothetisch? Elon Musk, klar, aber der hat gerade anderes zu tun. Und dann gibt es noch Marco Fuchs, Erbe und Vorstandsvorsitzender des Satellitenkonzerns OHB in Bremen.

Wenn davon die Rede ist, dass es nun doch wirklich zu langsam vorangeht mit dem Klimaschutz, und darüber nachgedacht wird, ob vielleicht doch anderes, mehr, nötig sein wird als Energiewende, Nachtzüge und Elektroautos, dass die Menschheit sich „Zeit kaufen“ muss, dann fällt zuletzt – nicht oft, aber doch öfter – ein Begriff: Geo-Engineering.

Geo-Engineering ist das Schmuddelkind des Klimaschutzes. Niemand will damit etwas zu tun haben. Also fast niemand. Bäume pflanzen, das sei doch letztlich auch Geo-Engineering, sagt Fuchs. Aber die meisten verstehen anderes darunter: Großflächige Eingriffe in die Atmosphäre und das Klima, mit Technologien, die bisher unfassbar teuer (Treibhausgas-Entnahme aus der Atmosphäre) oder unzureichend erforscht sind (reflektierende Partikel am Himmel, die das Sonnenlicht zurückwerfen). Oder mit Werkzeugen, die es so noch gar nicht gibt. Wie die Space-based Solar Shields, große Segel, die an Satelliten im Weltall aufgespannt werden, um die Sonnenstrahlen abzuhalten. Das ist es, was Marco Fuchs prüfen lässt. Die Idee: Wenn weniger Sonnenstrahlung in die Atmosphäre gelangt, gibt es auch weniger Erderhitzung.

Segel zwischen Sonne und Erde

Fuchs hat seine Firma von seinen Eltern geerbt, OHB ist ein Familienunternehmen. Fuchs' Vater war Raumfahrtingenieur. 1981 kaufte er Anteile an der Otto Hydrau­lik Bremen, einem kleinen Elektro-Zulieferer für die Bundeswehr mit damals fünf Mitarbeitern. Später baute OHB Satelliten für die Bundeswehr, das EU-Navigationssystem Galileo, rüstete die Internationale Raumstation ISS aus. Jüngst stieg die Firma in den Raketenbau ein. 2025 will OHB den ersten kommerziellen Mond-Shuttle Europas starten. Der Konzern macht heute eine Milliarde Umsatz im Jahr, hat 3.000 Mitarbeiter an 15 Standorten.

Der größte liegt am Nordrand Bremens. Durch das Firmengelände fließt die Kleine Wümme, nach hinten liegen Schrebergärten, vorne die Universität. In Montagehallen wird der Plato-Satellit gebaut, der ab 2026 erdähnliche Planeten finden soll. Fuchs' Büro ist in einem blauen Glasbau. Aus den Fenstern sieht man auf die norddeutschen Wiesen, die an diesem Tag Ende Oktober nass, kühl und nebelverhangen sein müssten. Tatsächlich sind es 23 Grad und die Leute radeln im T-Shirt nach Hause. „Das ist ja meine Kernthese: Es ist viel schlimmer, als man denkt“, sagt Fuchs.

Die Idee, die Erde zu verschatten, um weniger Erderhitzung zu erreichen, ist nicht neu. Wirklich konkretisiert aber hat sie erst Fuchs. 2019 veranstaltete er in seinem Satellitenkonzern OHB ein „Innovationsforum“, 2020 startete die erste Studie. 2021 initiierte OHB ein Kompetenznetzwerk mit acht Einrichtungen in fünf Ländern. Alles Vorbereitungsarbeit.

Die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre ist seit Beginn der Industrialisierung um fast 50 Prozent angestiegen. Zwei Prozent der Sonnenenergie abzuhalten würde reichen, um selbst eine noch deutlich höhere Erwärmung zu neutralisieren, sagt Pia Bausch, die den Forschungsverbund für OHB leitet.

Abhalten sollen die Strahlen ultradünne Folien, die mit Raketen ins All geschossen und von Satelliten am sogenannten Lagrange-Punkt entfaltet werden. Dieser Punkt liegt rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Viermal so weit wie bis zum Mond. Für die Raumfahrt ist das keine Entfernung. „Da kann man ganz normal hinfliegen, das ist nicht schwer“, sagt Fuchs.

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Am Lagrange-Punkt sind Anziehungskraft von Erde und Sonne gleich groß. Objekte können mit wenig Energieeinsatz dort verbleiben. Und vergleichsweise kleine Schilde können von dort auf der Erde große Flächen beschatten. Zu erkennen wäre davon kaum etwas.

Irgendwann wird Geld keine Rolle spielen

Genau beziffern kann die Kosten dafür niemand. Dass sie über einer Billion Euro liegen würden, halten die For­sche­r:in­nen für wahrscheinlich. Die Spar-Variante sieht vor, nur den Bereich über den Polen zu verschatten. So könnte das besonders gefährliche Abschmelzen des Eises eingedämmt werden. Die Folien gibt es schon im Labor, die Satelliten ließen sich wohl bauen, die Raketen müssten noch entwickelt werden. Ein paar Jahrzehnte dürfte alles dauern. Und würde selbst in der Spar-Variante Milliarden kosten. Zeit, die wir nicht haben und Geld, das für anderes gebraucht wird?

Fuchs glaubt: „Irgendwann wird der Punkt erreicht sein, an dem Geld eigentlich keine Rolle mehr spielt, weil es dann wirklich darum geht, ob das Land, in dem wir jetzt gerade wohnen, noch so ist, dass da Menschen leben können.“

Ein Problem dabei: Selbst wenn es gelänge, einen solchen Schirm zu finanzieren und aufzuspannen, weiß niemand, ob die Verschattung womöglich auch andere unerwünschte Effekte hätte. Wären diese ausgeschlossen, könnte man am Lagrange-Punkt auch einfach künstliche Aerosole freisetzen, schwebende Partikel, die ebenfalls für Verdunklung sorgen würden. Das wäre ungleich billiger. Aber sollte sich herausstellen, dass es nachteilige Folgen gibt, ließen sich die Partikel nicht so leicht aus dem Weltraum entfernen. Also müssen es Satelliten sein.

Das Umweltbundesamt ist skeptisch. „Durch Geo-Engineering droht ein Paradigmenwechsel in der Klimaschutzpolitik, der die bisherige Einigkeit, dass Minderungsmaßnahmen in erheblichem Ausmaß erforderlich sind, in Frage stellt“, steht in einer Handreichung mit dem Titel „Geo-Engineering – Wirksamer Klimaschutz oder Größenwahn?“. Es bestehe die Gefahr, die Treibhausgasminderung zu vernachlässigen, weil vermeintliche Rettungsschirme zur Verfügung stünden. Schließlich sind Wege für wirksamen Klimaschutz bekannt – es mangelt vor allem in der Umsetzung. Die Hoffnung, irgendwann komme die geniale technische Lösung, könnte davon abhalten, heute zu handeln.

Hinzu kommt: Bestimmte Regionen der Erde könnten negativ beeinflusst werden, während andere von der Methode stark profitieren. Die Frage eines globalen Aushandlungsrahmens ist ungeklärt.

Fuchs weiß das alles, er sieht die Risiken. „Man darf nicht den Eindruck vermitteln, es gäbe andere Möglichkeiten als den CO2-Ausstoß zu drücken, weil sonst das Risiko besteht, dass man da nichts macht“, sagt er. „Aber der Ansatz ohne Geo-Engineering hat halt das Risiko, dass es am Ende nicht reicht.“ Und wer wisse denn heute, ob nicht schon eine 1,7- Grad-Erwärmung viel gravierendere Folgen hätte, als man dachte?

Wie sehr darf der Mensch eingreifen?

Marco Fuchs erzählt von der Meeresbiologin Antje Boetius, mit der er befreundet ist. Die leitet das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, eins der wichtigsten Polarforschungsinstitute der Welt. Im Oktober 2020 kehrten Forscher des Instituts von einer Expedition in der Arktis zurück. Sie hatten den Eisrückgang untersucht. „Danach sagte sie mir: Wir haben es viel zu höflich und milde kommuniziert. Das Abschmelzen ist viel schlimmer, als wir gedacht haben.“

Fuchs lässt also eine Projektgruppe bei OHB zu Geo-Engineering forschen. Seit April 2021 trifft sich das von ihr angestoßene Kompetenznetzwerk. Konkrete Projekte gibt es noch nicht, es wird sondiert.

Fuchs möchte Geo-Engineering breiter diskutieren. „Die Menschen haben eine quasi-religiöse Überzeugung, dass sie nicht in die Schöpfung eingreifen dürfen“, sagt er. „Die Konservativen sagen, das lassen wir lieber den lieben Gott machen. Und die Progressiven sagen, ohne Verzicht geht es ja doch nicht. Lasst uns mal lieber alle verzichten.“ Tatsächlich greife der Mensch aber permanent in die Schöpfung ein. „Und wir erhalten sie dabei nicht. Ganz im Gegenteil.“

Fuchs' Familie stammt aus Südtirol. Seit seiner Kindheit fährt er im Sommer ans Stilfser Joch. Auf den Gletschern dort konnte man auch im Sommer Skifahren. Er selbst habe das nie gemacht, sagt Fuchs. Aber es ging. Jetzt nicht mehr. Dieses Jahr war es erstmals zu nass. „Jetzt könnte man sagen: Egal, dann gibt's halt keine Gletscher mehr.“ Vielleicht würden sich auch Leute freuen, wenn die nervigen Lifte weg sind. „Aber wenn man nachdenkt, dann wird doch klar: Das ist doch alles nicht gut.“ Fuchs sympathisiert mit Fridays for Future. Er mag ihre Zuspitzung und dass sie nicht immer höflich bleiben. Aber Fridays for Future sympathisiert nicht so sehr mit Fuchs' Lösungsweg. Geo-Engineering lenke nur ab, sagen Ak­ti­vis­t:in­nen.

Wenigstens prüfen müsse man das Ganze, findet Fuchs. „Ich will keinen Auftrag dafür. Ich will verstehen, ob das geht“, sagt er. Das klingt schon weniger nach Größenwahn. Vielleicht eher nach Notwehr.

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