Chiles Polizei zu Besuch in Hamburg: Gärtnern lernen beim Bock

Ausgerechnet die Hamburger Polizei soll mit Carabineros „deeskalative Einsatzstrategien“ üben. Beide Polizeien stehen bislang eher für Konfrontation.

Eine Frau in blauer Polizeiuniform steht links neben Bürgermeister Peter Tschentscher, rechts neben Tschentscher steht ein Mann in grüner Uniform

Eine Polizei-Pressesprecherin und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) mit einem Carabinero Foto: Senatspressestelle

HAMBURG taz | Pünktlich zum 20. Jahrestag der eskalierten, gewaltsamen Räumung des Bauwagenplatzes Bambule sind am Freitag vergangener Woche sieben chilenische Carabineros in Hamburg angekommen. Sie wollen sich mit Ver­tre­te­r*in­nen der damals dafür verantwortlichen Hamburger Polizei im Rahmen eines Kooperationsprojektes über „deeskalative Einsatzstrategien“ austauschen.

Die Räumung der Bambule unter Innensenator Ronald Schill (Partei Rechtsstaatliche Offensive) am 4. November 2002 war ein tiefer Einschnitt in der Hamburger Protestgeschichte, gerade weil die Polizei auf Härte statt auf Deeskalation setzte. Wochenlang kam es nach der Räumung zu großen Demonstrationen, die Schill mit aller Macht polizeilich zu verhindern versuchte. Immer wieder kam es dabei auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Die Ereignisse um die Bambule gelten als Beginn der berüchtigten „Hamburger Linie“: Wo Protest gefährlich erscheint, wird eine resolute Drohkulisse aufgebaut. Immer wieder sind deshalb in Hamburg Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Protestierenden eskaliert, zuletzt beim G20-Gipfel 2017.

Elf Tage lang werden die Carabineros in der Stadt sein. Unter anderem begleiten die Chilenen die Ham­bur­ge­r*in­nen bei Einsätzen. Am Samstag waren sie laut Polizei bei drei Demonstrationen dabei: am Sonntag und Dienstag beim HSV- und FC-St.-Pauli-Spiel.

Dass die Hamburger Polizei mit den Carabineros kooperiert, war im August bekannt geworden, als Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) während einer einwöchigen Reise nach Chile in ­Santiago Carabineros und sechs ihrer Kol­le­g*in­nen aus Hamburg besuchte, die gerade vor Ort waren. Ziel des deutsch-chilenischen Erfahrungsaustausches sei, „die Etablierung einer gesellschaftlich hoch akzeptierten, modernen, transparenten und Menschenrechte beachtenden Bürgerpolizei in Chile zu fördern“, schrieb der Senat dem CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Dennis Thering im September.

Chiles Präsident fordert Aufklärung

Inhalte des Austausches seien „Versammlungsrecht, Gefahrenabwehrrecht, deeskalatives Vorgehen in angespannten Einsatzlagen, Kommunikationskonzepte inkl. einer einsatzbegleitenden Kommunikation und einer Kommunikation über Social Media oder auch der Einsatz von Kommunikationsteams“, teilte die Polizei der taz mit. Die Bundesrepublik und die Länderpolizeien sähen eine „realistische Chance“, einen „wertvollen Beitrag zur Gewährleistung menschenrechtsfreundlicher Polizeiarbeit auch in angespannten Einsatzsituationen zu leisten“.

Die chilenischen Carabineros gelten als besonders brutales und korruptes Organ des chilenischen Sicherheitsapparates, berüchtigt für die gewaltsame Niederschlagung sozialer Proteste. Am 20. Oktober jährte sich zum dritten Mal der Beginn der Protestbewegung gegen die soziale Ungleichheit und Ausbeutung in Chile.

Die Demonstrierenden trugen in der chilenischen Hauptstadt Santiago ihren Zorn auf die Straße, dass sich in den vergangenen drei Jahren wenig verändert hat. Die Carabineros gingen mit Wasserwerfern und Tränengas gegen rund 25.000 Demonstrierende vor, die brennende Barrikaden errichtet hatten und Hauptstraßen blockierten.

Anlässlich des Jahrestages forderte Chiles neuer linker Präsident Gabriel Boric, seit März im Amt, eine Aufklärung der vor drei Jahren durch die Polizei verübten Gewalttaten: „In einer Demokratie ist es unabdingbar, dass Polizeigewalt untersucht und bestraft wird“, sagte Boric. Mehr als 30 Menschen waren bei den Protesten im Oktober und November 2019 bei Auseinandersetzungen mit der Polizei ums Leben gekommen. Auch Vergewaltigungen werden den Carabineros vorgeworfen.

Wie 2020 bekannt wurde, bat Chiles damaliger Präsident Sebastián Piñera noch im November 2019 mehrere europäische Regierungen um Unterstützung für die „Kontrollmechanismen der öffentlichen Ordnung“. Frankreich sagte angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen ab, Deutschland sagte zu.

Im Juni 2020 teilte die Bundesregierung mit, dass die chilenische Regierung entschieden habe, „einen umfassenden Reformprozess bei den Carabineros einzuleiten“, und Interesse an „deutscher Expertise bei der Unterstützung dieses Reformprozesses“ bekundet habe.

Hamburg ist verantwortlich fürs Model Deeskalation

Wie nun bekannt wurde, beteiligt sich die Hamburger Polizei seit dem Frühjahr 2021 gemeinsam mit den Landespolizeien Nordrhein-Westfalens, Baden-Württembergs und Berlins an einem auf mehrere Jahre angelegten trilateralen Kooperationsprojekt mit Chile und Kolumbien unter Führung des Bundesinnenministeriums (BMI) und des Auswärtigen Amtes (AA). Das geht aus der Antwort des Hamburger Senats auf eine Anfrage des Bürgerschaftsabgeordneten Deniz Celik (Die Linke) vom 1. November hervor.

In zwölf Modulen werde das Projekt umgesetzt, koordiniert durch den Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder beim Bundesinnenministerium (BMI), teilte der Senat mit. Das Land Hamburg verantworte dabei ausschließlich das Modul „Deeskalative Einsatzstrategien“.

Celik kritisiert, dass solch ein Projekt, wenn es glaubwürdig sein wolle, Menschenrechtsorganisationen einbeziehen müsse. Dass der Senat in seiner Antwort lediglich die Eckdaten des Projekts des Bundesinnenministeriums genannt habe, sei unbefriedigend.

„Es bleiben Fragen offen“, sagt Celik. Der Abgeordnete fragt sich, warum gerade die für ein konfrontatives Auftreten bekannte Hamburger Polizei die chilenischen Carabineros berät, die wiederum dafür bekannt seien, auf Abschreckung zu setzen. „Man macht den Bock zum Gärtner“, findet Celik.

Die Polizei versicherte der taz, sie sei „eine moderne und bürgernahe Großstadtpolizei, die das geltende Recht konsequent durchsetzt und dabei auf Kommunikation und Deeskalation setzt“. Bereits in der Ausbildung werde ein starker Fokus auf Kommunikation und Deeskalation gelegt.

Der nächste Austausch soll laut Polizei vermutlich im März kommenden Jahres wieder in Chile stattfinden.

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