Queere Ukrai­ne­r*in­nen in Deutschland: „Ich war alleine und verloren“

In der Ukraine tobt der Krieg, in der Hoffnung auf ein sicheres Leben fliehen Tausende. Doch für Queers ist die Flucht deutlich gefährlicher.

Menschen stehen mit ihren Autos in einem Stau

24. Februar 2022: Tausende Menschen fliehen aus Charkiw in der Ostukraine Foto: Antonio Bronic/reuters

BERLIN taz | „Ich hatte kein Leben in der Ukraine. Es war die Hölle. Und ich möchte mich nicht an die Zeit zurückerinnern.“ Das ist das Urteil von Rem. Sie ist 20 Jahre alt, Ukrainerin aus Odessa, studiert IT und sie ist eine trans* Frau. Das ist sie schon ihr Leben lang. Nur leben konnte sie nie, wie sie wollte. Zu groß war die Angst.

„In der Ukraine sind fast alle homophob und transphob“, sagt Rem. „Selbst meine Familie weiß nichts von meiner begonnenen Transition, nur enge Freundinnen und Freunde.“ Ein halbes Jahr vor dem Krieg beginnt Rem damit, sich die Haare wachsen zu lassen und sich ganz langsam mit dem Gedanken anzufreunden, bald vielleicht offen trans* leben zu können. Doch dann kommt der Krieg.

Auch für Rem ist klar, dass sie flüchten muss. Und sie befürchtet, dass ihre Flucht ganz anders verlaufen wird. In Deutschland finden zwar seit Kriegsbeginn jeden Tag viele Frauen aus der Ukraine eine Zuflucht. Doch für Rem wird die Flucht bis zu ihrer neuen Heimat eine etwas größere Herausforderung.

In ihrem ukrai­nischen Pass ist bis heute das Geschlecht eingetragen, das ihre Eltern ihr zugeteilt haben: männlich. Deshalb darf sie die Ukraine erst nicht verlassen, als der Krieg beginnt. „Vom ersten Tag an habe ich überlegt, wie ich hier wegkomme. Da war mir eigentlich schon klar, dass das auf legalem Wege nicht gehen wird.“

Flucht übers Feld

Die Soldaten an der Grenze weisen sie zurück. Rem hat Angst, sich als trans* zu erkennen zu geben, sie erlebt die Situation als sehr bedrohlich. „Es war sehr gefährlich, denn die ukrainischen Soldaten sind alle sehr transfeindlich.“ So schildert sie ihre Erfahrungen.

Sie dürfe das Land wegen ihres eingetragenen Geschlechts nicht verlassen, müsse wohl bald selbst kämpfen – so laute das Gesetz in der Ukraine. Mit solchen Aussagen wird sie immer wieder konfrontiert. „Wir sagen bei uns: Die Soldaten schenken dir ein Ticket für den Krieg, weil sie dich manchmal sofort in ein Ausbildungscamp schicken. Ich hatte Glück, dass ich sie davon abhalten konnte“, erinnert sich Rem.

Derweil sieht sie, wie andere junge Frauen das Land verlassen. Darunter auch Freundinnen, die ohne sie in Richtung Westen aufbrechen. Und das ganz legal. Zehn Tage nach Kriegsbeginn entscheidet sich auch Rem, über die sogenannte grüne Grenze zu fliehen. Sie rennt abends über ein Feld.

Rem nimmt durch ihre illegale Flucht eine hohe Strafe und Gefahren in Kauf. „Ich bin das Risiko eingegangen, weil es eine Chance war. Ich war bereit dafür zu sterben.“ Ihr Weg führt über die Republik Moldau schließlich nach Nürnberg, wo sie Freundinnen trifft, die dort zu ihrer Familie geflohen sind. Endlich wieder bekannte Gesichter, freut sich Rem. Doch die Freude währt nicht lange: Rem darf nicht bleiben. „Die Familien meiner Freundinnen hatten etwas dagegen“, berichtet sie. „Ich war alleine und verloren.“

Sparen für die Flucht

Rem liest im Internet von Hilfsorganisationen wie Quarteera, einer Organisation aus Berlin, die sich an russischsprachige Flüchtende aus der LGBTQ-Community richtet. Rem zieht mit Hilfe der Initiative zu einer Familie nach Berlin und kommt in Kontakt mit anderen queeren Geflüchteten, die ihre Probleme verstehen.

Und davon gibt es etliche. Svetlana Shaytanova aus dem Vorstand von Quarteera hofft auf mehr Unterstützung. „Politiker:innen geben Versprechen ab, dass sich die Situation für queere Flüchtende verbessern soll. Aber durch die Bürokratie dauert alles sehr lange“, sagt Shaytanova. „Viele Menschen, die mit Flüchtenden arbeiten, haben auch kein Verständnis für die besondere Situation von queeren Menschen. Sie haben oft noch ein zusätzliches Trauma erlebt.“

Es sind Erfahrungen, die auch Sasha gemacht hat. „In Mariupol soll ein Mann ein Mann sein. Das bedeutet: am besten in einer Fabrik arbeiten und mit den Händen etwas erschaffen. Viele Menschen dort sind homofeindlich.“ Das berichtet der 23-Jährige. Seine Eltern wissen ebenfalls bis heute nicht, dass er schwul ist. Und das soll am besten so bleiben, sagt Sasha. „Die würden das nicht verstehen. Ich habe schon immer eine Rolle gespielt.“

Einen Monat nach Kriegsbeginn macht sich der Kunststudent auf den Weg zu seiner Mutter auf die Krim, denn er will fliehen und braucht dabei ihre Unterstützung. Völlig ausgehungert kommt er dort an. Er verdient mit kleineren Jobs illegal Geld. Er spart, um sich die Flucht leisten zu können.

Todesangst an der Grenze

Als er später weiterzieht und in Donezk ankommt, trifft er seine beste Freundin. Sie weiß als eine von wenigen von seiner sexuellen Orientierung und sagt plötzlich Dinge wie: „Finde endlich eine Frau.“ Oder: „Deine Sexualität ist nur eine Phase.“ Sie sei pro Russland, erklärt Sasha. Und das ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird.

Immerhin: Sasha darf fliehen. Obwohl er ein Mann ist. Doch weil seine Heimatstadt damals von den Russen kontrolliert wird, kann ihm die Ukraine als jungem Mann nicht verbieten, das Land zu verlassen. An der Grenze zwischen Russland und Lettland angekommen, wird Sasha allerdings von tschetschenischen Truppen kontrolliert. Stundenlang halten sie ihn fest und fragen ihn aus.

„Das war der Moment, an dem ich wirklich Todesangst hatte“, sagt er. „Sie haben mich gefragt, warum meine Haare blond gefärbt seien und warum ich ein Ohrpiercing habe. Das hätten Männer schließlich nicht.“

Sasha wird außerdem gefragt, ob er „zu denen“ gehöre. Er sieht sich schon im Gefängnis oder im Arbeitslager, umso mehr, als er zuvor als ehrenamtlicher Helfer in einem Community-Center für LGBTQ in Mariupol arbeitete und viele schlimme Geschichten hörte. An der Grenze redet er sich damit heraus, dass er Kunst studiere: „So sehen wir Studierenden nun einmal aus, sagte ich.“ Er wolle weiter nach Polen und dort in Frieden sein Studium beenden. Die Grenzsoldaten lassen ihn schließlich passieren.

„Ich kann sein, wer ich will“

Sasha lebt jetzt in Köln und ist seit einigen Monaten mit seinem Freund zusammen. Die Menschen hier greifen ihn nicht für seine Sexualität an. Er ist glücklich, sagt er. Er wisse, dass es auch hier Homophobie gebe. Aber das sei kein Vergleich zur Lage in Mariupol.

Hilfe und Unterstützung hat Sasha von Anfang an beim Kölner Verein Rubicon bekommen, der für und mit queeren Menschen arbeitet. „Wir haben sofort ein Ukraine-Team eingerichtet mit russischsprachigen Mitarbeitenden“, sagt Tanya Parvez. Sie leitet im Rubicon die Gruppe Baraka, die sich zu kleineren Events trifft und zum Beispiel Erstausstattungen für Flüchtende organisiert.

Die Gruppe ist aber nicht nur offen für Flüchtende aus der Ukraine. „Wir wollen alle Menschen miteinander vernetzen, egal aus welchem Land“, so Parvez. Der Verein unterstützt auch bei bürokratischen Vorgängen und medizinischen Angelegenheiten. Dort hat Sasha Freun­d:in­nen gefunden. Jetzt lebt er bei einem schwulen Mann und sucht nach einer eigenen Wohnung.

Auch Rem sucht nach einer eigenen Wohnung. Sie wohnt nun in Berlin bei einer Familie und kann endlich offen als trans* Frau leben. „Ich bin hier viel freier. Ich kann sein, wer ich will.“ Aber auch in Berlin begegne ihr mitunter Feindlichkeit, berichtet sie, vor allem in den Ämtern. „Ich habe noch ein Foto aus einem anderen Leben in meinem Pass. Mir wird oft vorgeworfen, ich wäre jemand anderes.“

Als sie im Sprachkurs darum bittet, man solle sie mit ihrem Namen Rem ansprechen, verliert sie sogar ihren Platz. „Einen Monat durfte ich nicht mehr mitmachen.“ Wieso? Das weiß sie nicht. Man besteht zunächst darauf, dass sie mit ihrem Deadname angesprochen wird, also dem männlichen Geburtsnamen, den ihre Eltern ihr gegeben hatten.

Zurück in die Ukraine kann sie wohl nicht, sagt Rem. „Meine Eltern respektieren mein Leben so nicht. Ich glaube, ich habe keine Eltern mehr.“

Jetzt ist sie ohnehin erst mal in Deutschland und konzentriert sich auf ihre Transition. „Ich möchte Deutsch lernen und dann schnell einen Job finden, um meine Operationen zu bezahlen. Ich habe neue Freundinnen gefunden und ich glaube, ich kann mir hier ein neues Leben aufbauen.“

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