Bürgergeld scheitert im Bundesrat: Die Zeit drängt

Das Bürgergeld ist wie erwartet im Bundesrat gescheitert. Nun soll der Vermittlungsausschuss ran und bis Ende November einen Kompromiss finden.

Manuela Schwesig steht am Rednerpult, Hubertus Heil und andere Regierungsmitglieder hören ihr zu

„Auch ich habe erlebt, wie sich Arbeitslosigkeit anfühlt“, berichtet Manuela Schwesig im Bundesrat Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

BERLIN taz | Das Scheitern war vorprogrammiert und vorbereitet: Nachdem die unionsmitregierten Länder am Montag wie erwartet im Bundesrat ihre Zustimmung zum Bürgergeld verweigerten, wird sich nun der Vermittlungsaussschuss über die Sozialreform beugen. Das Gremium, in dem jeweils 16 Mitglieder aus Bundesrat und Bundestag sitzen, geht voraussichtlich kommenden Mittwoch auf Kompromisssuche.

Die Bundesregierung habe gleich am Montag entschieden, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um zu einer zügigen Lösung zu kommen, verkündete Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) nach der Abstimmung. Doch die Zeit drängt, betonte Heil: Bis Ende November müssten Bundesrat und Bundestag einem Kompromiss zugestimmt haben, damit die Reformen inklusive höherer Regelsätze ab Januar in Kraft treten könne.

Der Bundestag hatte das Bürgergeld vergangenen Donnerstag mit der Ampelmehrheit beschlossen. Dass es in der Länderkammer gestoppt wird, wo die Länder mit Unionsregierung eine Mehrheit haben, war aber absehbar. Die Union lehnt wesentliche Änderungen beim Bürgergeld ab. Etwa, dass die Jobcenter Bür­ger­geld­be­zie­he­r:in­nen im ersten halben Jahr nur noch eingeschränkt Leistungen kürzen dürfen. Auch die pandemiebedingt schon geltende Regel, dass Menschen auf Jobsuche zwei Jahre lang einen beträchtlichen Teil ihrer Rücklagen behalten und nicht in eine angemessen billige Wohnung umziehen müssen, findet die Union nun zu großzügig. Arbeiten lohne sich so nicht mehr, lautet ihr zentrales Argument.

Der SPD-geführten Ampelkoalition sind aber genau diese Verbesserungen wichtig, um Hartz IV endlich zu überwinden und dem Bürgergeld einen neuen Geist einzuhauchen, nämlich einen „Geist der Befähigung und Unterstützung, der Menschen nicht dem Generalverdacht aussetzt, faul zu sein“, wie Heil es am Montag im Bundesrat erneut formulierte. Die Union will zurück zu Hartz IV, die Ampel weg davon. Eine klassische Pattsituation.

Gesprächsbedarf über Wohnung und Schonvermögen

Eine klare Kompromisslinie deutete sich am Montag in der Bundesratssitzung noch nicht an. Für die SPD-geführten Länder warb unter anderem Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig für die Lockerung der Sanktionen und das jetzt geltende Schonvermögen und wurde dabei sehr persönlich. „Auch ich habe erlebt, wie sich Arbeitslosigkeit anfühlt“, sagte die Regierungschefin.

Ihr Vater, Schlosser von Beruf, war nach der Wende wie so viele Menschen im Osten arbeitslos geworden. Wenn Menschen unverschuldet in Arbeitslosigkeit rutschten, dann sei das eine bedrückende Zeit für Familien, so Schwesig. Gerade wenn Menschen hart gearbeitet hätten, sei es wichtig, dass sie dann nicht sofort ihr kleines Häuschen und das bisschen Rücklagen aufzehren müssten.

Doch die Union blieb hart. „Über die Vermögensanrechnung und die Angemessenheit der Wohnung haben wir Gesprächsbedarf“, so die baden-württembergische Arbeitsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut im Bundesrat. Auch die Lockerung der Sanktionen sah die CDU-Politikerin kritisch und begründete dies insbesondere mit fehlender Akzeptanz in der Bevölkerung. Ja, räumte Hoffmeister-Kraut ein, nur 3 Prozent der Langzeitarbeitslosen würden überhaupt sank­tioniert. Aber: „Es genügen Einzelfälle, um die Atmosphäre zu vergiften.“

Immerhin begrüßte die CDU-Ministerin die Ideen für Weiterbildung und Qualifizierung: Die Ampel will Menschen, die Abschlüsse nachholen oder neu machen, im Bürgergeld Zuschläge zahlen. „Es geht uns nicht um Blockade, sondern um konstruktive Zusammenarbeit“, blickte Hoffmeister-Kraut nach vorn.

Linke beim Bürgergeld auf Ampel-Kurs

Es war ausgerechnet ein Linken-Politiker, nämlich Thüringens Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff, der im Bundesrat noch einmal nachdrücklich für das Bürgergeld warb. Im Bundestag hatte sich die Linke als einstige Anti-Hartz-IV-Partei enthalten mit dem Argument, das Bürgergeld sei keine wirkliche Abkehr von Hartz IV. Nun appellierte Hoff an die Union, den Verbesserungen zuzustimmen und berief sich dabei ausgerechnet auf einen CDU-Politiker: auf Thüringens Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus nämlich, der schon 2006 ein solidarisches Bürgergeld vorgeschlagen hatte.

Da das Bürgergeld aber nun im Vermittlungsausschuss landet, hat auch die Linke noch einige Punkte aufzumachen: eine andere Berechnung der Regelsätze etwa, oder dass die Kosten für eine neue Waschmaschine wieder vom Jobcenter übernommen werden und nicht, wie derzeit, als Darlehen beantragt und abgestottert werden müssen.

Das Einschwenken der Linken auf das Bürgergeld der Ampel änderte nichts am Gesamtergebnis: Kein Land, in welchem die Union mitregiert, stimmte zu. Auch Baden-Württemberg, dessen Regierung von den Grünen angeführt wird, enthielt sich im Bundesrat.

Dass nur ein Land mit Unionsregierung das Bürgergeld dezidiert ablehnte, nämlich Bayern, deutete Arbeitsminister Heil indes hoffnungsvoll als „Zeichen von Kompromissbereitschaft“. Alle Seiten würden sich bewegen müssen, um zu einer Lösung zu kommen und bei gutem Willen gelänge das auch, prognostizierte Heil. „Ich bin kompromissbereit“, gab er die Richtung vor. Einen Plan B gebe es nicht. Sein Ziel sei weiterhin, das Bürgergeld zum 1. Januar 2023 einzuführen.

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