Konzert von Love Machine in Berlin: Meine Männerfantasien

Mit Wet Beard und Belly Show: Ein Auftritt der Band Love Machine im Urban Spree bezeugt Schwerstarbeit im Umgang mit toxischer Männlichkeit.

Die Band Love Machine post mit einer Schlange aus Stoff

Die Band Love Machine post mit einer Schlange aus Stoff Foto: Fredrike Wetzels

Irgendwann im Sommer lief mir ein sonniger Penis über den Weg. Ja, Sie haben richtig gehört, und so was gibt's nicht nur in Berlin, sondern sogar in Düsseldorf. Die dort ansässige Band Love Machine wagte es, sich den neuzeitlichen Anspruch, Männer sollen mal ihre Körper und Gefühle erkunden, auf eigene Weise anzueignen.

Denn was macht man, wenn man der toxischen Pädagogik des Patriarchats entkommen möchte und trotzdem Rocker ist? In ihrem Song Solar Phallus überwiegen statt Härte und Kraft Metaphern des fluiden Berauschenden: „Das Blut fließt in das Meer“. Applaus, Applaus!

Im Video lassen sie eine Frau lippensynchron den Text performen, während die Bandmitglieder in hautengen Glitzeranzügen zu sehen sind. Ich fühlte mich also eingeladen, meinen Männerfantasien nachzugehen und dieses Universum Love Machine auszukundschaften; um ein Universum handelt es sich, denn angefangen hat alles als Krautrockband, mit Songtiteln wie Sun Paradox, Starhship Traffic, Earth Again und To the Universe.

An einem Samstag im November stellten sie im Urban Spree in Berlin ihre neue Platte Alles OK vor. Neugierig betrachte ich das Publikum. Wie viel Spielraum hat man, Männlichkeit ästhetisch neu zu definieren? Wäre ich ein Mann, hätte ich gewiss einen Schnauzer… glaube ich.

Kriege, Konsum und Grenzregime

Die Männer der Love Machine gehen auf die Bühne und machen die Beine breit: Rocker, die Nerds spielen, die Hippies sein wollen,… oder andersherum. Zwar nicht barfuß, wie noch auf dem ersten Albumcover zu sehen, aber wer möchte schon in dunklen Kaschemmen die Bühne vorher staubsaugen, um nicht wie die kleine Meerjungfrau mit blutigen Füßen dazustehen.

Die neue Platte ist politischer, nicht mehr so verträumt psychedelisch wie zu ihren Anfängen, sondern endzeitdurchgedreht. Es geht nicht mehr um Sonne, Mond und Sterne, sondern um Kriege, Konsum und Grenzregime: „Zeit und Geld … wohin damit, wenn mir hier nichts gefällt.“

Endlich zieht der Sänger sein T-Shirt aus, lässt Kaskaden von Bier über sein Gesicht und den Rauschebart laufen und bietet uns eine Wet Beard und Belly Show. Man merkt, dass er sich ins Publikum hinein kuscheln möchte, als er sich auf dem bier-sintflutlichen Boden herum rollt.

Von allen guten Geistern verlassen

In ihrem Video zum Song Hauptbahnhof sehen wir einen Mann durch die von Sexshops beleuchteten Straßen laufen, einsam und verunsichert. Dabei wird nicht der Fehler begangen, eine Szene mit halbnackter Frau reinzuquetschen, um mit ein bisschen Sexyness die Stimmung zu heben, sondern unser Blick konzentriert sich auf den von allen guten Geistern des Patriarchats verlassenen Mann, den keine Frau mehr errettet.

Ohne ihre Videos, in denen Männlichkeit immer gebrochen ist, im Licht einer Rockhallen-Diskokugel, sind Gesten und Körpereinsatz der Band auf der Bühne immer noch Rockergesten.

Aber was soll man machen: Es ist nicht ihre Schuld, wenn man die Energie, die sie auf die Bühne bringen, unbedingt männlich liest. Bewundernd muss ich sagen, dass die Band elegant zwischen heiligem Krautrock-Ernst und Spinal Tap-Spassband hin- und herchargiert, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Sie hatten es nicht leicht mit einem von Corona eingerosteten Publikum und man wünscht sich die Band fast in einem kleineren Raum, ebenerdig, während Schweiß und Bier von Band zu Publikum hin- und herspritzt und am Ende von der Decke tropft. „I tried my best to beee, what you want me to beee“, schreit der Sänger am Ende wiederholt ins Mikro und man möchte ihm „Happy Wife, Happy Life“ mit Lippenstift auf den von Haaren wundervoll umrankten Bauch schreiben.

Also, ich als feministische Männerversteherin war bestens unterhalten und gebe das Prädikat: geil.

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Sarah Diehl lebt als Autorin und Aktivistin in Berlin und fühlt sich in der Politik ebenso zu Hause wie im Literarischen. Sie engagiert sich seit 15 Jahren im Bereich der internationalen reproduktiven Rechte und hat hierzu den preisgekrönten Dokumentarfilm Abortion Democracy - Poland/South Africa gedreht und ist Mitbegründerin der Organisation Ciocia Basia, die Frauen unterstützt, sichere Schwangerschaftsabbrüche zu bekommen. Zu ihren Veröffentlichungen zählen zahlreiche Essays und Kurzgeschichten in diversen Publikationen. Ihr Roman Eskimo Limon 9 handelt vom Culture Clash zwischen Israelis und Deutschen und ihr Sachbuch Die Uhr, die nicht tickt von der Abwertung der kinderlosen Frau als Druckmittel zur unbezahlten Care-Arbeit. Hier zum taztalk über ihr letztes Sachbuch "Die Freiheit, allein zu sein": https://www.youtube.com/watch?v=PrlpVDnVPAk

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