Beerdigungen in Benin: Schöner sterben

Der wichtigste Tag im Leben ist der Todestag – spottet man in Benin. Die Party ist pompös. Denn mit den Toten darf man es sich nicht verscherzen.

Ein Reventant in gelb und lila. Die Verkleidung sieht aus wie ein oben spitz zulaufender Haufen Stroh. Um den Revennt herum sind viele Männer. Der Boden ist orangener Sand. Im Hintergrund ein großes weißes Auto und ein paar Bäume.

.Geister des Todes: Schnell drehen sich die Revenants um sich selbst Foto: Katrin Gänsler

GBEFFA, GRAND POPO UND ADIARRA taz | Eigentlich ist Gbeffa ein kleiner verschlafener Fischerort im Südwesten Benins. Von Grand Popo, der nächst größeren Stadt, führt eine sandige Piste in das Dorf. Am Strand gibt es eine Bar und hier und da kleine, aus Holz gezimmerte Verkaufsstände, auf denen Tomaten, Seifen­stücke und Kochöl liegen. Ein paar verfallene Häuser erinnern noch an die französische Kolonialzeit.

Doch an diesem Samstagvormittag ist Gbeffa mit Autos und Minibussen zugeparkt. Durch die engen Gassen gibt es kein Durchkommen mehr. Hunderte Menschen sind aus ganz Benin angereist, um den Übergang von Anoumou Telesphore Akpla aus dem Diesseits ins Jenseits zu erleben.

Beerdigungen sind wichtige gesellschaftliche Ereignisse. Damit möglichst viele teilnehmen können, findet die eigentliche Beisetzung am Samstag statt. Doch schon in der Woche zuvor hat es Gottesdienste, Gebetszirkel und eine Totenwache gegeben. Ist ein Nachbar oder die Mutter einer Arbeitskollegin gestorben, gelten persönliche Beileidsbekundungen als selbstverständlich und im Gegenzug auch die Einladung zur Trauerfeier. Die von Akplan wird riesig.

Den Großteil seines Lebens hat der Geschäftsmann Akpla zwar in Gabun verbracht. In den zentralafrikanischen Ölstaat wandern zahlreiche West­afri­ka­ne­r*in­nen aus, um als Fahrer und Putzfrauen zu arbeiten oder tatsächlich das große Geld zu machen. Die letzte Ruhe gibt es aber nur in der Heimat. Gerade war der 72-Jährige zu Besuch in Benins Wirtschaftsmetropole Cotonou, wo er ein Haus hatte – da wurde er überraschend krank und starb. Die Leiche musste also nicht erst nach Hause geflogen und über Monate in einem Leichenschauhaus gekühlt werden. Das passiert oft, wenn Kinder in Europa arbeiten. Die Aufbewahrung ist manchmal teurer als die Monatsmiete für ein kleines Appartement.

Mit dem Sarg ins Elternhaus der Eltern

Akpla war Katholik, weshalb gleich drei Priester zur Beerdigungsfeier gekommen sind. Sie tragen cremefarbene Talare und sie gehören zur Familie. Der hellbraune Holzsarg mit dem Kreuz darauf wird durch Gbeffa getragen. Musiker, die auf Metallflöten spielen und Glocken und Trommeln schlagen, gehen voran, die Trauergemeinde zieht hinterher. Zwei Frauen halten Bilderrahmen mit Fotos von Akpla hoch, damit je­de*r sich an sein Gesicht erinnern kann.

Ziel sind zwei kleine Häuser, in denen die Eltern des Verstorbene einst aufgewachsen sind. In beiden wird der Sarg für einige Minuten aufgebahrt. Es gibt Gebete, Segenswünsche und immer wieder Sodabi, einen in Benin hergestellten hochprozentigen Palmwein. Den Sarg zu den Wohnorten der Vorfahren zu bringen, ist Teil der traditionellen Zeremonie, die überaus wichtig ist, sagt der Neffe Anges Acakpo: „Jetzt wissen alle im Dorf, dass er wirklich tot ist.“

Zur Tradition gehört es auch, als Opfergabe ein Huhn zu schlachten. Über dem Sarg mit dem Metallkreuz darauf beträufelt ein Voodoo-Priester den grauschwarzen Vogel zuerst mit Schnaps und schneidet ihm dann die Kehle durch. Das Blut tropft in den Sand. Um den Sarg herum tanzen die Revenants, die Geister des Todes. Sie sehen aus wie große bunte Baströcke und drehen sich immer wieder um sich selbst. Sie erinnern die Trauergemeinde daran, dass Tote und Lebende eine Gemeinschaft bilden. Die Menschen um sie herum stecken ihnen kleine Geldscheine zu. Wer sich unter den Gestellen verbirgt, lässt sich nicht erkennen. Manche Leute weichen ihnen fast verschreckt aus.

Benin gilt als Wiege des Voodoo. Bis heute bekennen sich etwa 12 Prozent der 13 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen offiziell zu der alten Religion, die vor allem im Süden verbreitet ist. Häufig vermischt sie sich mit dem Christentum, und viele Menschen praktizieren beides, auch wenn sie nicht öffentlich darüber sprechen. Voodoo-Anhänger*in zu sein, das gilt als altmodisch und unmodern.

Götter und Orakel

Der Begriff Voodoo stammt aus der Sprache Fon, die vor allem entlang der Küste gesprochen wird. Er bedeutet Gott oder Gottheit. „Voodoo ist eine Energie“, sagt Métard Dominique Bada. Er ist Linguistikprofessor an der Universität Abomey-Calavi und Religionskenner. Religionen würde das Zusammenleben regeln und ethische Prinzipien vermitteln. Beniner*innen, sagt Bada, seien sehr religiös.

Voodoo gilt als überaus praktische Religion. Wer eine konkrete Bitte hat, wendet sich an eine der Gottheiten – mitunter werden sie als Kinder des Schöpfergottes bezeichnet – und bringt ihr Opfer. Zu Mami Wata kommen beispielsweise Frauen, die nicht schwanger werden. Sie schenken ihr süße Getränke oder Parfum. Alkohol mag sie nicht. Wird die Bitte erhöht, ist eine zweite, kleinere Dankeszeremonie notwendig.

Drei Pfarrer in Talar stehen am Grab. Der Sarg ist vor ihnen aufgebart. Neben den Männern eine festlich gekleidete Frau mit einem Foto des Verstorbenen. Daneben weitere festlich gekleidete Person. Dahinter ein paar Männer.

Letzte Gebete auf dem Friedhof für Anoumou Telesphore Akpla Foto: Katrin Gänsler

Christentum und Voodoo haben eins gemeinsam. „In Benin wie auf dem ganzen Kontinent gilt: Die Toten sind nicht tot“, sagt Bada. „Man ist nur für eine bestimmte Zeit auf Erden, und das große Haus ist anderswo.“ Der Glauben an die Auferstehung und das ewige Leben prägt das Christentum; im Voodoo hingegen ist es zentral, die Ahnen zu verehren und den Kontakt zu ihnen zu halten. Bei wichtigen Fragen werden sie mithilfe eines Mediums befragt: Soll ich das Grundstück verkaufen? Sollen wir wirklich heiraten?

Eine weitere Möglichkeit, um mit den Ahnen in Kontakt zu treten, ist das Fa-Orakel, das Fa-Priester*innen deuten. Nachdem eine konkrete Frage gestellt wurde, werden zwei kleine Schnüre, an denen jeweils acht Kaurimuscheln oder Holzscheiben hängen, geworfen. Nur wer das Orakel jahrelang studiert hat, kann die Antwort deuten. Viele Menschen bitten aber auch täglich um den Segen der Vorfahren, etwa wenn sie morgens das Haus verlassen und zur Arbeit fahren. Auch Allerheiligen gilt als wichtiger Feiertag, an dem die Menschen sogar zu den Gräbern fahren. Sonst sind die wenig gepflegt. Denn die Toten sind ja überall.

Deren Wünsche müssen beachtet werden, ist Noël Agossou überzeugt. Er hat in Adjarra an der Grenze zu Nigeria ein Museum aufgebaut und sammelt seit Jahrzehnten Masken und Statuen aus West- und Zentralafrika. Auch um das Museum herum ist Voodoo allgegenwärtig. Hier wird Sakpata, der ­Pockengott, verehrt. Das weiße Tuch mit den schwarzen Punkten darauf erinnert an ihn. „Wir müssen uns an das halten, was uns jemand vor seinem Tod mit auf den Weg gibt“, sagt Agossou. Sonst könne der Geist keine Ruhe finden. In einem Fall hätten die Kinder ihren Vater nicht auf dem Familiengrundstück begraben, weil sie es lieber verkaufen wollten. Es folgten ein Unfall und Krankheiten. In Benin werden Unfälle und Unglück häufig damit erklärt, dass Regeln nicht beachtet wurden.

Rieselnder Sand

Der Trauerzug durch Gbeffa ist beendet und der Leichenwagen fährt den Sarg von Anoumou Telesphore Akpla auf den Friedhof von Grand Popo, wo die eigentliche Beisetzung stattfindet. Akplas Witwe, die fünf Kinder und deren Familien folgen. Alle tragen Kleider und Anzüge aus schwarzem Stoff mit weißen Blättern. Nichten und Neffen haben sich wiederum für einen Stoff aus Blau und Weiß entschieden. Die Farben und Muster symbolisieren Zusammengehörigkeit. Auch weiß so je­de*r sofort, wer welchem Familienzweig angehört.

Auf dem Friedhof sind noch einmal die katholischen Priester an der Reihe. Sie sprechen die letzten Gebete, bevor der Sarg in dem ausgehobenen Grab verschwindet. Für einen Moment ist von der großen Party nichts zu spüren, Ruhe kehrt ein, und die engsten Angehörigen trauern noch einmal. Sie lassen Sand auf den Sarg rieseln. Langsam wird das Loch zugeschaufelt.

Wer vorbeikommt, erhält Getränke, Fleisch und Reis – egal ob er den Toten kannte oder nicht

Am Strand von Gbeffa werden dagegen weiße Zelte aufgebaut, Plastikstühle und Tische aufgestellt. Ein Lkw liefert Kisten mit Softdrinks und Bier. Frauen kochen auf einem offenen Feuer. Die Familie hat zwei Hammel schlachten lassen. Musik dröhnt aus den Boxen. Feiern rund um die Beisetzung sind gleichzeitig ein Geschäftszweig, von dem Caterer, Schneider*innen, Disc­jockeys, Fo­to­gra­f*in­nen und Verleihfirmen leben.

Wer in Gbeffa vorbeikommt, erhält Getränke und einen vollen Teller mit Fleisch und Reis, egal ob er den verstorbenen Geschäftsmann Akpla kannte oder nicht. Wie viel Geld die Trauerfeier kostet, will niemand schätzen. Es sind vermutlich viele Tausend Euro. Die kostspieligen Beerdigungen stehen zunehmend in der Kritik. Gerade Hinterbliebene mit geringem Einkommen verschulden sich mitunter über viele Jahre. Métard Dominique Bada sagt jedoch: „Es geht auch um Wohltätigkeit“ und auch darum, jemandem ein gutes Ende zu bereiten.

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