„Der Krieg hat ukrainische Kunst in den Fokus gerückt“

Elizaveta German betreibt in Kiew die Galerie The Naked Room. Die ist jetzt in der Nome Galerie Gast, um die Qualität und Vielfalt der ukrainischen Kunstszene vorzustellen

Kunst in Sicherheit bringen und Interesse wecken: die Galeristin Elizaveta German aus Kiew Foto: Yevhen Nikifor

Interview Tom Mustroph

Die Nome Gallery in der Potsdamer Straße stellt ihre Galerieräume der Kiewer Partnergalerie The Naked Room zur Verfügung. Sehr unterschiedliche Arbeiten von insgesamt sieben Künst­le­r*in­nen werden in der Ausstellung „Restless Bodies“ präsentiert. Sie reichen von Fotografien aus den 1990er Jahren aus dem Donbass über Collagen mit Bildern aus forensischen Lehrbüchern bis hin zu Auseinandersetzungen mit dem Lemberger Pogrom 1941.

taz: Elizaveta German, die von Ihnen und Maria Lanko im Jahr 2018 gegründete Galerie The Naked Room zeigt derzeit viele Arbeiten in verschiedenen Städten Europas, auch in Berlin. Konnten Sie dabei auf etablierte Netzwerke zurückgreifen oder hat der Krieg nun zu diesem Interesse an Kunst aus der Ukraine geführt?

Elizaveta German: Meine Kollegin Maria Lanko und ich waren schon zuvor gut vernetzt. Wir hatten Residenzen, arbeiteten mit verschiedenen Institutionen zusammen und wir hatten geplant, im Jahr 2022 mit unseren Künstlern noch intensiver ins Ausland zu gehen und ihre Positionen dort zu vertreten. Dann begann die russische Invasion, und sie hat neben all den schrecklichen Dingen, die sie mit sich brachte, diesen Prozess der Internationalisierung extrem beschleunigt. Unsere Partner fragten uns, was sie für uns tun könnten, ob wir einen Platz zum Bleiben brauchten.

Und was sagten Sie ihnen?

Dass wir nichts für uns brauchten. Wir waren in Sicherheit, mehr oder weniger. Gut, meine Eltern und die meines Lebenspartners sind weiterhin in der Ukraine. Das macht uns natürlich verletzlich. Aber für uns selbst brauchten wir nichts. Wir wollten vor allem Unterstützung für unsere Künstler. Und das geschah dann auch. Wir hatten Ausstellungen in Warschau, Wien, Vilnius und München. Und jetzt haben wir die in Berlin.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Arbeiten für Berlin ausgewählt. Mir fiel auf, dass viele ältere Arbeiten dabei sind, manche gar aus den 1990er Jahren und sehr wenig ganz aktuelle Werke. Was war der Hintergrund?

Wir wollten direkte Bezüge zum Krieg vermeiden und die Perspektive auf Kunst aus der Ukraine nicht durch den Krieg bestimmen lassen. Wir wollten einen größeren Bogen schlagen, die Vielfalt und auch die Qualität der Arbeiten deutlich machen. Natürlich ist uns bewusst, dass der Krieg ukrainische Kunst neu in den Fokus gerückt hat. Und viele Künstler arbeiten auch jetzt während des Kriegs. Der Fotograf Alexander Chekmenev geht zum Beispiel in die frisch befreiten Gebiete und dokumentiert, welche Spuren die russische Besetzung hinterlassen hat. Aber dem Berliner Publikum wollten wir die Möglichkeit geben, Arbeiten kennenzulernen, die über den Kontext Krieg und die gegenwärtige Notsituation hinausgehen. Wir hoffen auch, dass das Interesse an ukrainischer Kunst wegen der Qualität der Arbeiten anhält und nicht allein vom Krieg gespeist ist. Und wir hoffen natürlich auf neue Sammler, die wir interessieren können. Wir wollen unsere Arbeit als Galeristinnen schließlich fortsetzen.

Alexander Chekmenev ist mit bemerkenswerten Arbeiten aus dem Donbass vertreten. In einem sieht man eine alte Frau, die vor einem weißen Tuch fotografiert wird. Im Hintergrund zieht sich ein ebenfalls sehr alter Mann auf einem Bett ein Hemd über. Was war das für eine Szene, die Chekmenev dokumentierte?

Es handelt sich um ein ikonisch gewordenes Foto. Chekmenev arbeitete in den 1990er Jahren für eine NGO, die Ukrainer und Ukrainerinnen, die nicht mehr so mobil waren, unterstützte, Passfotos für neue Pässe zu machen. Die alten sowjetischen Pässe waren abgelaufen und sie brauchten neue ukrainische. Chekmenev war damals für diese NGO tätig, und er hat neben den Passfotos auch die Situation festgehalten, nur für sich zunächst, noch nicht mit dem Gedanken eines künstlerischen Projekts. Erst viele Jahre später hat er die Fotos veröffentlicht.

Wie ist die Situation der Galerie jetzt? Konnten Sie sie geöffnet halten, selbst unter Kriegsbedingungen?

Sie ist geöffnet, aber nicht mit unserem Galerieprogramm. Kurz nach Ausbruch des Kriegs brachten wir die meisten Arbeiten nach Lwiw, weil sie dort sicher waren. Gut, relativ sicher, Angriffe gibt es auch dort. Wir wollten sie vor der Gefahr der drohenden Zerstörung schützen. Und auch unter Gesichtspunkten der Logistik war es gut, weiter im Westen zu sein. Die Arbeiten können von dort leichter für Ausstellungen ins Ausland transportiert werden. Die Galerieräume selbst haben wir dem Ukrainian Emergency Art Fund zur Verfügung gestellt. Die Institution unterstützt ukrainische Künstler. Sie hat ihr Büro in der Galerie und auch ein Archiv. Es geht darum, Arbeiten und Materialien zu retten und sie über Ausstellungen weiter zugänglich zu machen, die ebenfalls dort stattfinden. Die Galerie ist also auch in Kiew weiter voller Leben.

Nome Gallery, bis 18. November