Günstiger öffentlicher Nahverkehr: Ein Bärendienst für den Klimaschutz

Das 9-Euro-Ticket hatte viele Fans, bald kann man für 49 Euro im Monat den Nahverkehr nutzen. Doch für die Verkehrswende braucht es andere Maßnahmen.

Personen mit Fahnen und Schildern an einem Zug.

Die einen feiern das 9-Euro-Ticket, die anderen kritisieren das Konzept, Zug-Demo im Sommer 2022 Foto: Florian Boillot

Es leben nicht nur arme Menschen in Deutschland. Zum Glück geht es den meisten gut. Diese Tatsache wird jedoch schnell vergessen, sobald es um das eigene Lieblingsprojekt geht. Dann scheint es nur noch Benachteiligte zu geben, die dringend staatlich gefördert werden müssen. Diese seltsame Logik zeigt sich auch beim Nahverkehr. Im Sommer gab es das 9-Euro-Ticket, demnächst soll ein 49-Euro-Ticket folgen.

Bis heute wird geschwärmt, dass das 9-Euro-Ticket die „soziale Teilhabe“ ermöglicht hätte, weil alle BürgerInnen für billig Geld Busse und Bahnen besteigen konnten. Um Missverständnisse zu vermeiden: Es ist richtig, Arme zu subventionieren, damit auch sie ins Grüne fahren können. Aber im Sommer waren nicht nur Bedürftige unterwegs, denn insgesamt wurden in 3 Monaten 52 Millionen 9-Euro-Tickets verkauft.

Immerhin einen guten Grund gab es für den 9-Euro-Unsinn: Noch blöder war nämlich der „Tankrabatt“, der alle Autofahrer subventionierte – wobei die Besitzer von spritfressenden Luxuskarossen besonders sparten. Es war also nur gerecht, dass auch die ÖPNV-FahrerInnen vom Regierungswahnsinn profitierten.

Doch die 9-Euro-Fans bringen noch ein zweites Argument vor: Sie behaupten, dass der Billig-Fahrschein einen Beitrag zum Klimaschutz geleistet hätte, weil AutofahrerInnen auf Bahn und Bus umgestiegen wären. Richtig ist, dass viele Züge so überfüllt waren, dass Eltern mit Kinderwagen leider keinen Platz mehr fanden und auf dem Bahnsteig zurückblieben. Radfahrer konnten Ähnliches erleben. Aber für die Überfüllung sorgten nicht nur einstige Autofahrer – sondern auch klassische Bahnfahrer, die nun noch mehr Bahn fuhren, um ihr 9-Euro-Ticket auszunutzen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Jetzt soll also das 49-Euro-Ticket kommen. Den Staat wird es pro Jahr mindestens drei Milliarden Euro kosten, aber diese Riesensumme ist angeblich gut angelegt – um zumindest einige AutofahrerInnen in Busse und Bahnen umzulenken. Dieses Lockangebot dürfte funktionieren. Trotzdem ist es kein Klimaschutz, sondern behindert ihn sogar.

Das fatale Signal ist nämlich: Klimaschutz ist nur zumutbar, wenn er billig ist. Leider ist das Gegenteil wahr. Es wird sehr teuer, die gesamte Wirtschaft auf Ökostrom umzustellen. Auch der Nahverkehr ist nicht umsonst zu haben; Bahnen und Busse benötigen Personal, Energie und Infrastruktur.

Zudem dürfte der Autoverkehr gar nicht abnehmen, nur weil einige Pkw-Pendler in die Bahn umsteigen. Wenn die Straßen leerer werden und weniger Staus drohen, könnten viele Nochautofahrer verleitet sein, Extratouren zu planen. Dieser Bumerangeffekt ist altbekannt.

Das 49-Euro-Ticket krankt an dem Irrglauben, es würde reichen, den BürgerInnen „Angebote“ zu machen, damit der Klimaschutz vorankommt. Wahr ist jedoch das Umgekehrte: Man muss das Autofahren erschweren, indem es beispielsweise kaum noch öffentliche Parkplätze gibt. Dann steigen die Pkw-Nutzer automatisch um. Freiburg hat es vorgemacht: Dort kostet es jetzt bis zu 480 Euro im Jahr, sein Auto abzustellen. Natürlich sollten Bahnen und Busse attraktiv sein. Aber dieser Service kostet. Hilfen darf nur erhalten, wer wirklich arm ist – und nicht, wer sich künstlich arm rechnet.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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