Einwanderung von Fachkräften: Wer was kann, soll kommen dürfen

Die Ampel geht Arbeitsmigration an: Berufserfahrung soll mehr zählen, ein hier anerkannter Abschluss ist nicht mehr zwingend nötig.

Zwei Eisenbieger binden auf einer Baustelle in Nordrhein-Westfalen Moniereisengeflechte für die Armierung von Betonteilen.

Nicht nur Fachkräfte, sondern Arbeitnehmer mit Berufserfahrung werden gesucht Foto: IMAGO/Rupert Oberhäuser

Der junge Mann aus Sri Lanka hat drei Jahre auf Kreuzfahrtschiffen und in Hotels gearbeitet und einen Berufsabschluss aus seinem Heimatland. Der aber gilt in Deutschland nicht als gleichwertig mit hiesigen Abschlüssen. Er lernt Deutsch und hat hier Verwandte. Sein Cousin könnte ihm womöglich einen Job in einem Hotel hierzulande vermitteln – jedenfalls, wenn nächstes Jahr das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz kommt.

„Das Gesetz könnte eine Erleichterung für die Anwerbung von Arbeitskräften aus Drittstaaten sein“, sagt Sandra Warden, Geschäftsführerin beim Bundesverband des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), fragt man sie nach diesem Beispiel. „Das Mantra, dass wir nur Leute brauchen, die einen Berufsabschluss haben, der einem deutschen Abschluss gleichwertig ist, gilt so nicht mehr. Wichtig ist für uns auch die Arbeitserfahrung“, erklärt sie.

Ende Oktober hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Eckpunkte für das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz in die Abstimmung mit den Ministerien gegeben. Das geplante Gesetz erlaubt verschiedene neue Zugänge zum hiesigen Arbeitsmarkt: Zugewanderte mit einem Abschluss nach zweijähriger Berufsausbildung im Ausland und mehrjähriger Berufserfahrung sollen in Deutschland in ihrem Tätigkeitsfeld arbeiten können.

Dabei soll „eine Feststellung der Gleichwertigkeit des Abschlusses mit einem Referenzberuf in Deutschland nicht erforderlich sein“, heißt es im Eckpunktepapier. Mit dem neuen Gesetz würde zudem erleichtert, dass im Ausland ausgebildete Arbeitskräfte mit einer sogenannten „teilweisen“ Gleichwertigkeit erst einmal herkommen und dann eine Nachqualifikation machen können.

Flexibilität bei der Jobwahl

„Das ist eine attraktive Aussicht für die Leute, deren Ausbildung schon teilweise anerkannt ist“, sagt Anette Groschupp, stellvertretende Geschäftsführerin Unternehmensservice bei der Handwerkskammer Region Stuttgart. „Sie können sich dann zum Beispiel hier im elektrotechnischen Zentrum in Stuttgart nachqualifizieren, bis sie als Geselle anerkannt sind. Vielleicht machen sie sogar bis zum Meister weiter und gründen dann einen eigenen Betrieb.“

Wer schon über einen auch in Deutschland als gleichwertig anerkannten Abschluss verfügt, bekommt zudem mehr Flexibilität in der Jobwahl. Er oder sie darf „jede qualifizierte Beschäftigung“ in Deutschland ausüben, so das Eckpunktepapier. „Ein Stuckateur aus dem Kosovo könnte dann beispielsweise in Deutschland als Fachkraft auch im Stahlbetonbau arbeiten, sofern er bereits in seiner Heimat Berufserfahrung in diesem Bereich gesammelt hat“, sagt Groschupp.

Berufserfahrung zählt mehr, die Fixierung auf Zertifikate wird gelockert. Das macht Sinn in einer Zeit, in der sich Be­wer­be­r:in­nen vom Ausland aus via Internet bei Unternehmen bewerben und Personalchefs über Zoom die Kenntnisse und die vorherige Berufserfahrung im Ausland detailliert abfragen können.

Mit dem neuen Gesetz soll auch eine „Chancenkarte“ eingeführt werden, mit einem „transparenten, unbürokratischen Punktesystem“, so die Eckpunkte. Dabei zählen „Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug“ als Auswahlkriterien, heißt es in dem Papier.

Ilona Klein, Zentralverband des Deutschen Baugewerbes

„Wir brauchen Arbeitnehmer mit Berufserfahrung und nicht nur Fachkräfte.“

Im taz-Interview hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärt, dass Bewerber drei von vier Auswahlkriterien erfüllen müssten. Dies könnte bedeuten, dass auch Leute mit langjähriger Berufserfahrung, Sprachkenntnissen und Kontakten in Deutschland, aber ohne das Zertifikat eines Berufsabschlusses, zur Jobsuche nach Deutschland kommen dürfen, allerdings nur, wenn sie sich selbst finanzieren können.

Mit der Öffnung auch für angelernte Kräfte kommt das Gesetz der Wirtschaft entgegen. „Wir brauchen Arbeitnehmer mit Berufserfahrung und nicht nur Fachkräfte“, sagt Ilona Klein vom Zentralverband des Deutschen Baugewerbes. Zu den Helfertätigkeiten im Baugewerbe zähle beispielsweise die Arbeit der Eisenbieger im Stahlbetonbau, erklärt Klein.

Durch die schon länger geltende sogenannte Westbalkan-Regelung kommen bereits Fach- und Hilfskräfte aus den Westbalkan-Ländern nach Deutschland, sie müssen aber einen festen Arbeitsvertrag vorweisen. Kontingente an befristet Beschäftigten sollen auch für andere Branchen zugelassen werden, heißt es in den Eckpunkten.

Kosten und Risiken

Auch sollen Verwaltungsverfahren beschleunigt und digitalisiert werden. Das ist wichtig für die deutschen Botschaften im Ausland, die für die Erteilung der nötigen Visa oft monatelange Wartezeiten haben. Der Kabinettsentwurf für das neue Gesetz soll im nächsten Jahr kommen.

Wie mittelständische Betriebe dann tatsächlich von der erleichterten Zuwanderung profitieren, ist offen. Der Spracherwerb bleibt eine große Hürde. Hüseyin Yilmaz, Vorsitzender des Türkischen Unternehmer- und Handwerker-Vereins (TUH) in Berlin weist darauf hin, dass die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland für die Unternehmer „auch ein Risiko“ und mit Kosten behaftet sei.

Für die behördlichen Vorgänge müsse man einen Anwalt einschalten, das koste bis zu 4.000 Euro, wovon der Arbeitgeber das meiste zahle. Gebühren für Dokumente, Sprachkurse, Prüfungen werden fällig. „Die Unternehmen bräuchten dafür Unterstützung, auch finanzielle“, sagt Yilmaz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.