Linke Senatorin über Italien: „Klar gegen die Rechten opponieren“

Für die italienische PD sitzt Susanna Camusso im Senat. Doch die erfahrene Gewerkschafterin kritisiert deutlich, woran es der Linken in Italien fehlt.

Enrico Letta hält den Arm um Susanna Camusso

Susanna Camusso (Mitte) im Wahlkampf mit PD-Parteichef Enrico Letta Foto: Gloria Imbrogno/imago

taz: Frau Camusso, insgesamt hat das Mitte-links-Lager die Wahl verloren, die rechte Regierung ist nun im Amt. Aber innerhalb der größten linken Partei, der Partito Democratico (PD), gibt es regelrecht gegensätzliche Bewertungen des Ergebnisses: Die einen sprechen von einer katastrophalen Niederlage, die anderen davon, dass die PD weitgehend ihre Position gehalten hat. Welche Seite hat recht?

Susanna Camusso: Prozent­ual mag die PD mit den 19 Prozent standgehalten haben, das ändert jedoch nichts an ihrer politischen Niederlage. In der Wählerschaft hat die bisherige politische Linie der „Verantwortlichkeit“ – die PD hat in den letzten zehn Jahren fast immer die Regierungsverantwortung innegehabt – keinen Anklang gefunden.

Im Wahlkampf unterstrich die PD vor allem soziale Themen. Gleichzeitig betonte sie aber auch die Kontinuität mit der Regierung Draghi und deren Agenda.

Die „Agenda Draghi“ gab es gar nicht. Deren Beschwörung durch die PD lebte von der Überzeugung, dass das Land Mario Draghi nach seinem Rücktritt hinterher trauert – doch das war eben nicht der Fall. Wenn überhaupt gab es eine sehr technische, auf kurze Zeithorizonte angelegte Agenda. Draghis Notstandsregierung verdankte sich ja einerseits der Tatsache, dass die Pandemie zu bekämpfen war und andererseits musste das Megaprogramm „Next Generation EU“ mit seinen 190 Milliarden Euro für Italien auf den Weg gebracht werden. Da ging es nicht um soziale Fragen, nicht um Fragen, die die Arbeitswelt beträfen. Statt die Kontinuität mit dieser Regierung zu beschwören, hätte die PD ein eigenes politisches Projekt für die Zukunft präsentieren müssen.

Susanna Camusso, 67 Jahre alt, wurde jetzt als unabhängige Kandidatin auf der Liste der PD in den Senat gewählt. Zuvor war sie von 2010 bis 2019 Vorsitzende des größten italienischen Gewerkschaftsbunds, der CGIL.

Aber die PD hat doch durchaus Vorschläge gemacht: starke Steuerkürzungen bei Löhnen und Gehältern, oder die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Warum blieb die PD dennoch gerade für Be­zie­he­r*in­nen niedriger Einkommen unattraktiv?

Ich selbst habe im Wahlkampf viel über diese Themen gesprochen – ich fühlte mich allerdings auch ziemlich allein in den Reihen der PD. Darüber zu reden, hieß auch, den Mut aufzubringen und über die schweren Fehler der PD in der jüngeren Vergangenheit zu sprechen: über die nach 2014 durchgesetzte Aufweichung des Kündigungsschutzes, oder die von der PD verantworteten Schulreform, die der übergroßen Mehrheit der Leh­re­r*in­nen sauer aufstieß. Doch klare Bekenntnisse dazu, dass das Fehler waren, blieben aus.

Jetzt sitzt die PD auf den Oppositionsbänken. Was muss sie tun, um ihre traditionelle Wählerschaft wieder zu erreichen?

Sie muss vorneweg klar gegen die rechten Pläne opponieren. In Italien hat sich die Schere zwischen Arm und Reich in den letzten Jahren immer weiter geöffnet. Umverteilung muss deshalb zu einem zentralen Thema der PD werden – gegen die Pläne der Rechten, die zum Beispiel mit einem Einheitssteuersatz auf die Einkommen die Bessergestellten noch weiter begünstigen wollen.

Die PD entstand ja erst 2007 aus einer Fusion der Linksdemokraten mit der Mittepartei La Margherita. Bis heute beklagen Mitglieder der PD, der eigenen Partei fehle eine klare politische Identität, ein echtes Profil. Stimmt das?

Es ist völlig klar, dass heute eine Partei links der Mitte plural aufgestellt sein muss. Plural, aber nicht im Sinne von konkurrierenden Parteiströmungen – wie es gegenwärtig in der PD vorherrscht –, denen es weniger um die Horizonte als um die Macht in der Partei geht.

Ein Profil zu gewinnen, ist für die PD auch deshalb schwerer, weil sie von beiden Seiten unter Druck steht. Von links: die Fünf Sterne, die zunehmend einen Kurs fahren wie der linkspopulistische Mélenchon in Frankreich, und von rechts: die Kleinparteien Azione und Italia Viva, die beide auf Macron-Kurs segeln.

Emmanuel Macron ist ja derjenige, der in Frankreich die Plätze mit wütenden De­mons­tran­t*in­nen füllt. Ein Kurs, wie er ihn verfolgt, kommt gar nicht infrage. In Italien kann man kein linkes Programm schaffen, wenn man wie Azione und Italia Viva die Abschaffung der Grundsicherung fordert. Auch mit den Fünf Sternen müssen wir die Auseinandersetzung führen. Sie adressieren zwar erfolgreich die ökonomisch Benachteiligten – sie waren es ja, die die Grundsicherung eingeführt haben. Aber ihre seit der Gründung bestehende Zweideutigkeit – „Wir sind weder rechts noch links“ – müssen sie hinter sich lassen, um wirklich zu einer Kraft des progressiven Lagers zu werden.

Kehren wir zurück zur PD. Die Partei spricht sich zwar für Geschlechtergerechtigkeit aus und dafür, dass junge Menschen eine größere Rolle spielen sollen. Aber nur 30 Prozent der Fraktionsabgeordneten sind Frauen – und die, die unter 35 Jahre alt sind, kann man an einer Hand abzählen.

Beginnen wir bei den Jüngeren. Der aktuelle Parteichef Enrico Letta hat durchaus diverse junge Kan­di­da­t*in­nen aufgestellt – sie blieben dann aber allein, ohne Unterstützung. Zu den Frauen ist vorneweg zu sagen, dass eine wachsende Rolle ihrerseits ja auch wachsende Diversität bedeuten würde, Diversität vor allem darin, wie Frauen mit Macht umgehen – und damit männliche Vormacht infrage stellen. Und leider müssen wir feststellen, dass die jetzt gelaufenen Wahlen für die Frauen in der PD ein Rückschritt waren.

Gianni Cuperlo, der zu den Vordenkern in der Partei zählt, sagte zuletzt, die PD habe „ihre Reputation verloren“. Was müsste die PD tun, auch bei der Auswahl des*­der neuen Parteivorsitzenden, um ihren guten Ruf wieder herzustellen?

Ich sehe eher einen Glaubwürdigkeits- als einen Reputationsverlust. Um den zu überwinden, müssen wir in Italien eine Politik aufarbeiten, die bis vor Kurzem völlig neoliberal orientiert war. Das heißt auch: Wir dürfen uns eben nicht auf die eigene Vorsitzendenwahl beschränken, sondern müssen eine breite Debatte über unseren zukünftigen Kurs führen.

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