EuGH-Urteil: Umwelthilfe bekommt Klagerecht

Der Gerichtshof spricht dem Umweltverband die Klagebefugnis zu. Das könnte zu millionenfachen Rückrufen von Diesel-Fahrzeugen führen.

Jürgen Resch mit einem Fahrverbotsschild.

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, bei einem Prozess 2017 Foto: Marijan Murat/dpa

BERLIN taz | Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kann auch gegen das Kraftfahrt-Bundesamt klagen, wenn dieses EU-Umweltrecht verletzt. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH). Nach Ansicht des DUH-Geschäftsführers Jürgen Resch wird das Urteil dazu führen, dass deutsche Kfz-Hersteller bald fünf Millionen Diesel-Fahrzeuge zurückrufen müssen.

Nach EU-Recht dürfen Anlagen zur Abgasreinigung in Pkw-Motoren nur abgeschaltet werden, wenn dies notwendig ist, um den Motor vor Unfällen oder Beschädigungen zu schützen. VW hat hiergegen nach DUH-Ansicht doppelt verstoßen. Zum einen flog 2015 eine Betrugs-Software auf, die dafür sorgte, dass die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand richtig funktionierte. Als dies bekannt wurde, ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt den Rückruf und die Nachrüstung von drei Millionen Diesel-Pkws an.

Das Flensburger Amt akzeptierte dann jedoch die sogenannten Thermofenster, die dazu führten, dass die Abgasreinigung nur bei Temperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius richtig funktioniert. Auch diese Abschalteinrichtungen hält die DUH für rechtswidrig, doch die Behörde akzeptierte sie, weil damit der Motor vor Beschädigung geschützt werde.

Schon im Juli dieses Jahres hat der EuGH jedoch entschieden, dass diese Thermofenster unzulässig sind, wenn sie dazu führen, dass die Abgasreinigung mehr als die Hälfte des Jahres nicht richtig funktioniert, oder wenn es bei der Genehmigung andere Techniken gab, um den Motor zu schützen. Beides ist nach Ansicht der DUH eindeutig der Fall.

Auch Mercedes und Opel nutzen Thermofenster

Schon 2017 hat die DUH gegen Dutzende Bescheide des Kraftfahrt-Bundesamts geklagt, mit denen Thermofenster als zulässige Abschalteinrichtungen eingestuft wurden. Als Umweltverband kann die DUH aber nur klagen, wenn ihr das deutsche Umweltrechtsbehelfsgesetz ausdrücklich eine Klagebefugnis einräumte. Diese fehlte für Klagen gegen Kfz-Typengenehmigungen und nachfolgende Freigabebescheide des Kraftfahrt-Bundesamts.

Das Verwaltungsgericht (VG) Schleswig legte deshalb 2019 die Sache dem EuGH vor und dieser entschied nun, dass ein deutscher Umweltverband auch dann klagen können muss, wenn deutsche Behörden bei der Pkw-Zulassung mutmaßlich EU-Recht falsch anwenden. Dies ergebe sich aus der Aarhus-Konvention über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Die EuGH-Entscheidung kommt nicht überraschend, weil Deutschland vom EuGH schon mehrfach wegen Verletzung der Aarhus-Konvention verurteilt wurde und die Rechte der Umweltverbände nachbessern musste.

Nun kann das Verfahren am VG Schleswig beginnen. DUH-Anwalt Remo Klinger ist sicher, dass die Organisation gegen das Kraftfahrt-Bundesamt gewinnen wird. Dann müssten alle Diesel-Pkws mit Thermofenstern zurückgerufen und auf Kosten der Hersteller nachgebessert werden.

Das Kraftfahrt-Bundesamt betont inzwischen, dass es keinen generellen Freibrief für Thermo­fenster gegeben habe, es komme auf den Einzelfall an. Die Behörde benennt aber keinen Fall, bei dem je ein Thermofenster beanstandet wurde. Solche temperaturbezogenen Abschalteinrichtungen werden nicht nur von VW, sondern auch von anderen Herstellern wie Mercedes und Opel genutzt.

Anwaltskanzleien, die sich auf den Diesel-Abgasskandal spezialisiert haben, sehen nun Möglichkeiten für neue Klagewellen. Allerdings ist offen, ob es hier auch Schadenersatzansprüche gibt. Die Kfz-Hersteller konnten sich bisher darauf berufen, dass sie für die Thermo­fenster eine Freigabe des Kraftfahrt-Bundesamts haben. Ob sie trotzdem Schadensersatz zahlen müssen, wird der EuGH demnächst entscheiden. Der konkrete Termin steht noch aus.

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