Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin: Zurück zu den Zelten

Sozialsenatorin Katja Kipping (Linkspartei) schließt Flüchtlingsunterkünfte in Zelten nicht länger aus. Flüchtlingsrat und Berlin hilft protestieren.

Das Foto zeigt Zelte vor der Knobelsdorf-Kaserne im Berliner Bezirk Reinickendorf im Jahre 2015.

Zelte standen nach großen Flüchtlingsankünften in Berlin schon 2015 an der Knobelsdorf-Kaserne Foto: Ralf Hirschberger

BERLIN taz | Nein, wie in Moria, dem bedrückenden griechischen Flüchtlingslager, oder wie auf einem Zeltplatz soll es nicht aussehen. Aber ansonsten klang Sozialsenatorin Katja Kipping (Linkspartei) am Dienstag nach der Senatssitzung nicht so, als ob sie Flüchtlingsunterbringung in Zelten ausschließen würde. „Tatsache ist, dass man mit kleineren Unterkünften, die eigentlich eher Mittel der Wahl sind, nicht auf 10.000 Plätze bis Jahresende kommt“, sagte sie vor Journalisten. So viele neue Plätze hält sie bei den derzeitigen Ankunftszahlen für nötig. Wenn man – „eventuell“ – über Zelte rede, dann seien das aber Leichtbauhallen oder „hochmoderne Einrichtungen“, etwa vom Roten Kreuz. Die sähen zwar wie Zelte aus, würden aber zum Beispiel direkten Zugang zu sanitären Einrichtungen bieten. Turnhallen sollen weiterhin nicht belegt werden.

In einem internen Papier der Senatsverwaltung für Soziales ist offenbar von Zeltunterkünften für bis zu 4.000 Menschen die Rede. Als Standorte dafür sind die beiden Ex-Flughäfen Tegel und Tempelhof, das Olympia- und das Messegelände im Gespräch. Genauer wollte Kipping in der Pressekonferenz am Dienstag nicht werden.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Zelte zum Einsatz kämen: Bereits nach den großen Flüchtlingsankünften im Jahr 2015 hatte der Senat an der Knobelsdorf-Kaserne in Spandau Zelte aufbauen lassen.

Georg Classen vom Flüchtlingsrat zeigte sich gegenüber der taz „entsetzt“, dass Kipping den Aufbau von Zeltstädten als Notunterkunft für Tausende Menschen erwägt, wie der Tagesspiegel am Montag Abend berichtet hatte. Der Flüchtlingsrat hat laut Classen in den vergangenen Monaten zahlreiche konkrete Vorschläge eingebracht, mit denen die Notlage gemildert werden könnte. So könne sofort auf die Wohnpflicht in Asylunterkünften ab dem ersten Tag verzichtet werden. „Paragraf 49 des Asylgesetzes erlaubt eine solche Ausnahme“, sagte Classen. „Manche Geflüchtete haben hier Angehörige, wo sie unterkommen könnten.“

Auch Senatorin Kipping ging auf diesen Punkt ein. Nach eigenen Worten setzt sie sich weiter für eine Lockerung des Aufenthaltsrechts ein, damit Flüchtlinge, die mangels Wohnungen in Berlin nur in Gemeinschaftsunterkünften leben könnten, in Brandenburg eine eigene Wohnung mieten könnten. Dieses Recht zu ändern sei aber schwierig und nur mit dem Bund möglich.

Flüchtlingsratsvertreter Classen sieht den Fehler bei den Behörden. Viel wäre aus seiner Sicht geholfen, wenn Ämter schneller arbeiteten. „Manche Geflüchtete finden an einem anderen Ort Arbeit und Wohnung – aber Berlins Ausländerbehörde lässt sich drei Monate Zeit mit der Änderung der Wohnsitzauflage“, sagte er. „Bis dahin haben sich solche Angebote dann erledigt.“ Ähnlich sei es bei Wohnungsangeboten innerhalb Berlins: „Jobcenter und Sozialämter müssen vom Senat verpflichtet werden, solche Anfragen binnen 24 Stunden zu prüfen. Jedes zweite Wohnungsangebot geht derzeit verloren, weil viele Ämter sich vier Wochen Zeit für die Prüfung lassen.“

Nicht zuletzt müssten anerkannte Geflüchtete endlich einen Wohnberechtigungsschein bekommen, fordert Classen. Diesen verweigerten Berlins Bau­se­na­to­r*in­nen jedoch seit Jahren, wenn bei einem Haushaltsmitglied innerhalb des nächsten Jahres die Verlängerung des Aufenthaltstitels ansteht, obwohl die fast immer erfolge. „Vor allem bei Familien mit Kindern scheitert daran der Auszug aus den Sammelunterkünften. Diese diskriminierende Praxis muss sofort geändert werden, wie es auch der Koalitionsvertrag vorsieht.“

Wie verquer die Sache in Berlin derzeit läuft, zeigt folgendes Beispiel, das Classen erzählt: So habe das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) erst kürzlich ein barrierefreies Wohnungsangebot für einen Rollstuhlfahrer abgelehnt mit der Begründung, man habe in einer Sammelunterkunft einen rollstuhlgerechten Platz frei. „Natürlich war die Wohnung nicht billig, aber ein Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft dürfte kaum günstiger sein.“

Auch Christian Lüder vom Netzwerk Berlin hilft kann es nicht fassen, dass die Politik jetzt wieder über Massenunterkünfte und Zeltstädte redet, obwohl sich alle einig seien, dass dies keine menschenwürdige Unterbringung sei. „Offensichtlich ist seit acht Monaten die Akquise geeigneter Unterkünfte gescheitert.“ Nun gehe es nur noch um Größe, aber nicht mehr um Qualität. „Zynisch formuliert: Bei der Wahl zwischen Pest und Cholera wären wohl sogar Turnhallen besser geeignet, denn die sind wenigstens innerstädtisch und nicht auf freiem Feld in Tegel“, sagt Lüder.

Turnhallen – wie 2015 und 2016 – will der Senat allerdings auf keinen Fall als Flüchtlingsquartiere nutzen. Das sagt Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) schon seit Monaten, und das bestätigte am Dienstag auch Kipping: „Im Senat sind sich alle einig, dass wir das nicht wollen.“ Das gelte für alle Parteien und Fraktionen der Koalition.

Etwas weniger entschieden steht die Landesregierung zu der Möglichkeit, Immobilien zu beschlagnahmen, um dort Flüchtlinge unterbringen zu können. „Eine Beschlagnahmung wollen wir vermeiden“, sagte Kipping. Rechtlich möglich wäre das: Schon im Juli rief die Sozialsenatorin die sogenannte Notfallstufe 2 (von nur zwei Stufen) aus, die Beschlagnahmungen erlaubt. Kipping nannte das „asoggen“, angelehnt an die entsprechende Rechtsgrundlage, das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz, kurz Asog.

Nach Zahlen des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten hat Berlin in diesem Jahr bereits fast 100.000 Flüchtlinge aufgenommen und damit deutlich mehr als auf dem Höhepunkt des Syrienkriegs 2015/2016. Darunter sind dem Amt zufolge rund 85.500 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und etwa 10.700 Asylbewerber aus anderen Staaten.

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