Union zum Ampel-Projekt: Kulturkampf ums Bürgergeld

Ein Kompromiss beim Bürgergeld scheint mit den Unionsparteien nicht möglich zu sein. Deren Argumente sind nicht nur falsch, sondern heuchlerisch.

Drei Umzugskisten in einem leeren Zimmer, auf denen steht Topfpflanze, eine Gitarre und ein Fußball

Mit dem Bürgergeld bekommen Menschen mehr Zeit, sich um Arbeit zu kümmern – statt um eine Bruchbude Foto: Shotshop/imago

Leistung muss sich lohnen, fordert die Union. Und bringt Menschen mit geringen Einkommen in Stellung gegen diejenigen, die künftig Bürgergeld beziehen. Mal abgesehen davon, dass es heuchlerisch hoch drei ist, wenn die Union leistungslose Erbschaften schützt, sich beim Mindestlohn enthält, aber dann vom Lohnabstandsgebot schwafelt, ist das Narrativ vom „zu attraktiven“ Bürgergeld, bei dem sich Arbeit nicht mehr lohnen würde, auch sachlich falsch. Und zwar aus drei Gründen.

Die Sanktionen bleiben auch beim Bürgergeld erhalten, die Menschen werden bloß nicht mehr ab dem ersten Brief damit bedroht. Sondern erst ab dem zweiten Anschreiben gegängelt.

Arbeit lohnt sich zweitens tatsächlich wieder mehr, dafür hat die Ampel gesorgt, indem sie den Mindestlohn auf 12 Euro erhöht hat. Wer wenig verdient, hat zudem künftig bessere Aussicht auf Wohngeld. Und drittens hat die Ampel den größten Schwachpunkt des alten Hartz-IV-Systems auch beim Bürgergeld beibehalten: Die Regelsätze werden weiterhin auf arm getrimmt, so dass bestimmte „Luxusausgaben“, wie etwa ein Besuch der Eisdiele, nicht berücksichtigt werden. Hartz-IV-Jahre sind keine Herrenjahre, merkt euch das, Kinder!

An einem wichtigen Punkt will die Ampel mit dem Bürgergeld aber tatsächlich einen ­Kulturwandel. Sie reformiert ein Menschenbild. Der antriebslose Arbeitslose, der lieber Tief­kühlfritten vor der Glotze konsumiert, als sich um Arbeit oder Schulabschluss zu bemühen, ist passé. Stattdessen traut die Ampel den Menschen, wenn auch zaghaft, zu, dass sie tätige ­Mitglieder der Gesellschaft sein wollen, dass sie Akzeptanz und keine Almosen haben wollen.

Deshalb setzen SPD, Grüne und FDP mit dem Bürgergeld erst mal auf Qualifizierung, um Menschen in „gute“ Arbeit statt in Bullshitjobs zu bringen. Was genau richtig ist, angesichts des Fach-kräftemangels und der Tatsache, dass fast zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen keinen Berufsabschluss haben. Mit dem Bürgergeld bekommen Menschen mehr Zeit, sich um Arbeit oder Weiterbildung zu kümmern, anstatt sich sofort auf die Suche nach einer angemessen billigen Bruchbude zu machen und ihre Konten aufzulösen. Das alles ist ein Schritt nach vorn.

Die Union findet diesen Kulturwandel falsch und arbeitet eifrig an der Wiederauferstehung des Pappkameraden des faulen Arbeitslosen. Sie will im Kern Hartz IV beibehalten. Deshalb ist ein vernünftiger Kompromiss mit der Union, ohne den Geist des Bürgergelds zu verraten, nicht möglich. Um eine Mehrheit im Bundesrat zu bekommen, muss die Ampel darauf setzen, dass die Union in einigen Bundesländern da weiter ist.

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Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.

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