Bericht des Expertenrats für Klimafragen: Verriss der deutschen Klimapolitik

Die internationale Klimakonferenz COP 27 in Ägypten steht kurz bevor. Fachleute stellen Deutschland ein miserables Zeugnis aus.

Das Bild zeigt einen Auto-Stau und im Hintergrund Windräder.

Es wird knapp: Der Verkehr muss sein Tempo beim Klimaschutz vervierzehnfachen Foto: Daniel Vogl

BERLIN taz | Eine Schulnote will Klimaforscherin Brigitte Knopf der deutschen Bundesregierung in Sachen Klimaschutz nicht geben. Das sei nicht ihre Aufgabe, sagte sie am Freitagvormittag bei der Vorstellung eines umfassenden Gutachtens zum Stand der deutschen Klimapolitik, an dem sie mitgewirkt hat. Das Papier liest sich auch so wie ein absolutes Armutszeugnis.

Der Knackpunkt: Wenn es so weiter geht wie bisher, erreicht Deutschland sein Ziel für 2030 nicht, seine Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent zu senken.

Das aber ist Deutschlands Beitrag zum Pariser Weltklimaabkommen, mit dem alle Staaten der Welt die Erderhitzung bei „deutlich unter 2 Grad“ stoppen wollen, sodass die Klimakrise in ihrer Zerstörungskraft zumindest eingegrenzt wird. Mit jedem Zehntelgrad drohen mehr und stärkere Extremwetterereignisse, die Lebensraum und etwa auch die Ernährungssicherheit für zahlreiche Menschen gefährden.

Das neue Gutachten zur deutschen Klimapolitik hat Knopf gemeinsam mit vier weiteren Sachverständigen erstellt, zusammen bilden sie den Expertenrat für Klimafragen. Das Gremium veröffentlicht gemäß dem deutschen Klimaschutzgesetz regelmäßige Prüfberichte zu den Klimaplänen der Bundesregierung.

Tempo beim Klimaschutz muss sich mehr als verdoppeln

„Generell reichen die bisherigen Emissions-Reduktionsraten bei Weitem nicht aus, um die Klimaschutzziele für das Jahr 2030 zu erreichen“, heißt es nun im Fazit. Das Urteil müssen sich vor allem die ehemaligen Regierungen unter Angela Merkel (CDU) als Kanzlerin gefallen lassen. Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen haben nämlich zunächst den Zeitraum von 2000 bis 2019 betrachtet, in dem größtenteils Merkel mit SPD oder FDP regiert hat, anfangs jedoch auch Rot-Grün unter Gerhard Schröder (SPD).

In den zwei Jahrzehnten sind die CO2-Emissionen zwar gesunken, nämlich um rund 27 Prozent. Gegenüber den vergangenen zehn Jahren müsse sich die durchschnittliche Minderungsmenge pro Jahr ab jetzt aber mehr als verdoppeln, damit Deutschland sein Klimaziel für 2030 erreicht. Und das ist nur der Durchschnitt.

Das Problem ist: Fast die Hälfte der bisherigen Einsparungen kommt aus einem einzigen Wirtschaftssektor, nämlich der Energiegewinnung. In anderen Sektoren ist viel weniger passiert. Damit das Verkehrswesen seine Klimaziele schafft, muss es dem Gutachten nach seine jährliche CO2-Minderungsmenge sogar vervierzehnfachen.

Oder wie der Energietechniker Hans-Martin Henning, der Mitglied des Expertenrats ist, es formuliert: Es gebe eine „erhebliche Erfüllungslücken“. Er zieht auf Basis des Gutachtens hart mit der deutschen Klimapolitik ins Gericht: „Bislang wurden praktisch keine Maßnahmen implementiert, die unmittelbar auf die Reduktion der Emissionen abzielen“, so der Experte.

Es seien zwar erneuerbare Energien ausgebaut worden – aber man habe es verfehlt, gleichzeitig „den alten Kapitalstock“ abzubauen. Damit meint Henning die fossile Infrastruktur: Kohlekraftwerke, Öl- und Gasheizungen, Autos mit Verbrennermotor.

Das ein sanftes Umsteuern beim bisherigen Kurs ausreiche, bezweifeln die Expert:innen. Sie stellen zur Debatte, „harte“ Emissionsgrenzen einzuführen statt nur Zielmarken im Klimaschutzgesetz festzuschreiben.

Eine Option dafür sei ein Emissionshandel nach europäischem Vorbild für Deutschland. Dort gibt es nur eine gewisse und regelmäßig abnehmende Anzahl an Emissionsrechten, die verteilt und verkauft werden. Und die zur Teilnahme an dem Handel verpflichteten Wirtschaftszweige, nämlich die Energiewirtschaft und die Großindustrie, müssen für jede emittierte Tonne CO2 ein solches Emissionsrecht nachweisen.

Anfang der Woche waren Eckpunkte der Ampelregierung zu einem Klimasofortprogramm bekannt geworden, mit dem sich die Lücke bis 2030 angeblich schließen lasse – allerdings nicht im Verkehrswesen.

Bei der COP 27, die am Sonntag beginnt, wird Bundeskanzler Scholz den anderen Ländern erklären müssen, warum Deutschland nicht entschiedener gegen die Klimakrise vorgeht“, beklagte Christiane Averbeck, Chefin der Klima-Allianz, einem deutschen Dachverband von Klima-, Umweltverbänden und Sozialverbänden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.