Macht und Gemächt

HAITI Kettly Mars erzählt in „Wilde Zeiten“ von einem fatalen Pakt mit einem Handlanger der Diktatur

Sie ist schön. Sie duftet nach Mango. Und sie geht eine Affäre mit einem Handlanger der diktatorischen Regierung ein, in der Hoffnung, sie könne so ihren Mann aus dem Gefängnis befreien. Haiti, Anfang der sechziger Jahre: François Duvalier, „Papa Doc“, regiert das Land mit Blutgeld, Folter, Massakern. Vor diesem Hintergrund lässt Kettly Mars ihre Geschichte spielen und man fragt sich, ob der Titel „Wilde Zeiten“ nicht doch etwas zu romantisch klingt für all die makabren Perversitäten, die im Roman geschildert werden.

Identifikationsfigur ist Nirvah Leroy, eine bürgerliche Mulattin mit zwei Kindern, die erschreckend lange braucht, um zu erkennen, wie viel mehr sie dem Staatssekretär opfert, als sie dachte. Ihre Würde, die Unschuld ihrer Kinder und letztlich auch die Chance, ihren Mann jemals wiederzusehen. Denn der Staatssekretär, über den sie Einfluss auf das Schicksal ihres inhaftierten Mannes nehmen will, breitet sich unaufhaltsam in ihrem Privatleben aus. Am Mikrokosmos der Familie, die durch das Eindringen des „krötenäugigen“ Staatssekretärs immer weiter traumatisiert wird, zeigt Kettly Mars das Schicksal des ganzen Landes in jener Zeit.

Metaphern sind keine Metaphern mehr, Blut, Gift, Vogelkot und Sperma gehören zum Alltag der Bewohner von Port-au-Prince. Gerade das ist das Unheimliche an der Geschichte: Dass die Figuren sich mit der Situation arrangieren, so dass auch der Leser angesichts der hohen Schockfrequenz irgendwann abstumpft.

Die politische Dimension rückt zunehmend in den Hintergrund, auch wenn die Erzählerin thematisiert, dass der schwarze Handlanger Duvaliers sie vor allem wegen ihrer helleren Hautfarbe begehrt. Tatsächlich waren es unter anderem solche hautfarbenbedingte Ungleichheiten, mit denen Duvalier seine Diktatur rechtfertigte. Historische Informationen werden in „Wilde Zeiten“ zunächst immerhin noch durch das Tagebuch von Nirvahs Ehemann kommuniziert, einem vor seiner Inhaftierung im Untergrund aktiven Journalisten. Damit macht es sich die Autorin zwar etwas leicht, den Leser über die politische Realität zu belehren; als Nirvah das Dokument auf der Hälfte des Romans verbrennt, fehlt die Perspektive des kommunistischen Intellektuellen dann doch. Schließlich erzählen diese Passagen die Karriere des Diktators nach oder schildern beispielsweise, wie eine Journalistin vergewaltigt und moralisch gebrochen wird, bis sie alles leugnet, was das Regime ihr angetan hat.

Mario Vargas Llosa hat die Schwierigkeit, politische Geschichte mit intimem Erleben zu verknüpfen, in „Das Fest des Ziegenbocks“ (2000) etwas eleganter gelöst. Hier geht es um die Dominikanische Republik, die ähnlich wie das Nachbarland Haiti eine Diktatur erlebte, die allerdings Anfang der sechziger Jahre, dem Zeitpunkt, an dem beide Geschichten spielen, mit dem tödlichen Attentat auf Rafael Trujillo ein abruptes Ende findet. Die Figuren von Vargas Llosa reflektieren die Gewaltherrschaft und ihr eigenes Verhalten zu dieser Zeit so differenziert, dass der Leser sich ab und zu unversehens dabei ertappt, wie er mit „den Bösen“, den Mitläufern und den Machthabern, sympathisiert. Gerade durch diese Auffächerung der Perspektiven gewinnt die Geschichte des peruanischen Schriftstellers an Dreidimensionalität.

Bei Mars hingegen sind die Rollen von Anfang an klar verteilt, der Staatssekretär ist und bleibt das Monster schlechthin. Glücklicherweise gibt es die Begegnungen mit einer Magierin: In diesen Szenen erlebt der Leser nicht nur eine Exotik, welche sich bei Vargas Llosa eher über die Sprache mitteilt, sondern auch eine fast verstörende Weiblichkeit, die in dem „Fest des Ziegenbocks“ so nicht zu finden ist. Auch der Leser ist nach all den Grauen auf das Lachen der Magierin angewiesen, „das Lachen von Solange, das das Rascheln der Blätter, den Schatten des Todes und den Duft der reifen Guaven miteinander verbindet.“

CATARINA VON WEDEMEYER

■ Kettly Mars: „Wilde Zeiten“. Aus dem Französischen von Ingeborg Schmutte. Litradukt, Kehl 2012, 216 Seiten, 13,80 Euro