Zilli Schmidt ist tot: „Bis ich meine Augen zumach“

Sie legte Zeugnis ab über die Verfolgung der Sin­ti*z­ze und Rom*­nja im Nationalsozialismus. Nun starb Zilli Schmidt im Alter von 98 Jahren.

Holocaustüberlebende Zilli Schmidt im Portrait

Zilli Schmidt: Auschwitz-Überlebende und Kämpferin gegen das Vergessen Foto: dpa

BERLIN taz | „Mein Name ist Zilli Schmidt, eine geborene Reichmann, und ich wollte euch sagen, ich war in Auschwitz.“ Mit diesen Worten begann Zilli Schmidt 2018 in Berlin ihre erste Rede als Zeitzeugin. Sie sprach zum Gedenken an die im Nationalsozialismus ermordeten Sin­ti*z­ze und Rom*­nja. Erst mit über 90 Jahren hatte die zierliche Frau mit den grauen Locken begonnen, öffentlich Zeugnis abzulegen. Am Freitagmorgen ist sie, eine der letzten Überlebenden des sogenannten Zigeunerfamilienlagers in Auschwitz-Birkenau, im Alter von 98 Jahren gestorben.

1924 wurde Zilli Schmidt in Thüringen geboren. Ihre Familie waren Sinti, ihren Lebensunterhalt verdienten sie mit einem Wanderkino. Wenn sie in ein Dorf einfuhren, seien alle angelaufen gekommen, erinnerte Schmidt sich. „Ah, das Kino kommt, das Kino kommt!“, hieß es dann. Als die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler an die Macht kamen, hätte ihr Vater sich zunächst keine Sorgen gemacht. „Der bringt nur die Verbrecher weg“, habe er geglaubt. „Aber nein, die hat er nicht weggebracht. Uns hat er weggebracht.“

1943 wird sie ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wenig später auch ihre Eltern, ihre Geschwister, die sieben Kinder ihrer Schwester und ihre eigene dreijährige Tochter Gretel. Zilli Schmidt ist es, die die Familie durchbringt. „Ich hab geklaut wie ein Rabe. Niemals von Menschen, die das Brot gebraucht haben.“

Am 2. August 1944 brachten die Nazis die als „arbeitsfähig“ geltenden Sin­ti*z­ze und Rom*­nja ins KZ Ravensbrück, darunter Zilli Schmidts Brüder und auch sie selbst, die bei ihrer Familie bleiben wollte. Noch in derselben Nacht ermordeten die Nazis alle im Lager verbliebenen Sin­ti*z­ze und Rom*­nja – rund 3.000 Frauen, Männer und Kinder. „Wenn ich an mein Kind denke, dann ist es schlimm“, sagte Zilli Schmidt in einer Dokumentation. „Dann schlafe ich keine Nacht. Dann bin ich die ganze Nacht in Auschwitz.“

Jahrelanger Kampf um Entschädigung

Sie wurde ins KZ Sachsenhausen verlegt. Von dort gelang ihr im Februar 1945 die Flucht. Nach dem Krieg heiratete sie den Musiker Anton Schmidt, einen Überlebenden des KZ Neuengamme. Mit ihm und seiner Gruppe Romano reiste sie durchs Land. „Mir waren jung. Mir wollten leben“, erzählte sie später. Doch statt nur zu leben, musste sie weiter kämpfen – um Entschädigung.

Die deutschen Behörden, in den 1950er Jahren durchsetzt mit früheren Nazi-Funktionären, verweigerten ihr diese. Ein Gutachter – ein ehemaliger SS-Mann – befand, sie sei nicht aus „rassischen Gründen“ inhaftiert worden, sondern als „Asoziale“. Zilli Schmidt kämpfte 19 Jahre um Entschädigung und bekam am Ende doch nur eine geringe Summe.

„Ich hab für meine Sinti gekämpft. Das ist auch, was Gott will, und das war mein Auftrag, was ich noch gemacht hab im Leben“, sagte Zilli Schmidt 2020 in einem Kurzfilm über ihr Leben. 1988 sagte sie als Zeugin vor Gericht gegen den früheren SS-Rottenführer Ernst-August König aus, Blockführer im sogenannten Zigeunerlager in Auschwitz-Birkenau. Danach berichtete sie erst 2018 wieder öffentlich von den Verbrechen, die sie erlebte, als Rednerin beim Roma-Holocaust-Gedenktag in Berlin am 2. August. 2020 erschien ihr autobiografisches Buch „Gott hat mit mir etwas vorgehabt! Erinnerungen einer deutschen Sintezza“.

Rund 500.000 Sin­ti*z­ze und Rom*­nja wurden von den Nazis systematisch ermordet. Im kollektiven deutschen Gedächtnis aber ist dieser Völkermord bis heute kaum sichtbar. Stattdessen sind Sin­ti*z­ze und Rom*­nja eine der am stärksten von Diskriminierung betroffenen Minderheiten in Deutschland. „Menschen dieser Minderheit werden ständig pauschal mit Verwahrlosung und Kriminalität in Verbindung gebracht und so unter polizeilichen Generalverdacht gestellt“, sagte der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler im März im Interview mit der taz.

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Unerschütterlich gegen Hass und Ausgrenzung

2021 verlieh der Bundespräsident Zilli Schmidt das Bundesverdienstkreuz. „Durch Ihre Vermittlung wissen wir heute mehr über das Leiden der Sinti und Roma, aber auch so viel mehr über ihr Leben, ihre Musik und ihre Kultur. Und wir erleben Sie auch heute noch – mit 96 Jahren! – als unerschütterliche Kämpferin gegen Hass, Ausgrenzung und Rechtsextremismus“, schrieb Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihr in einem handschriftlichen Brief. Aufgrund der Coronapandemie konnte er die Auszeichnung nicht persönlich übergeben.

„Solange ich hier noch bin und mit Gott leb, leb ich weiter und erzähl meine Geschichte“, sagte Zilli Schmidt einmal. „Ich vergesse es nicht und erzähl meine Geschichte, bis ich meine Augen zumach, und bin bei meinem Herrn.“ Diesem Vorhaben ist Zilli Schmidt bis zuletzt treu geblieben.

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