Belarus im Krieg gegen die Ukraine: Lukaschenkos verdeckte Mobilmachung

Putins engster Partner hilft im russischen Krieg gegen die Ukraine – und rekrutiert vor allem treue Gefolgsleute, um seine Gegner waffenlos zu halten.

Mutter mit zwei Kindern vor Armeefahrzeugen

Bewohner inspizieren eine Ausstellung von Armeefahrzeugen zum Minsker Stadt-Tag am 10. September Foto: Viktor Tolochko/SNA/imago

MINSK taz | In Minsk herrscht Altweibersommer: blauer Himmel, eine strahlende Sonne, gelbe Blätter und saftige Äpfel. Manche Pflanzen haben sich dazu entschlossen, ein zweites Mal zu blühen. Auf dem Markt werden die Geschenke des Waldes verkauft – Pilze und Preiselbeeren. Doch über die Köpfe der Menschen fliegt ein Kampfflugzeug hinweg.

In Belarus hat die Ankunft der ersten Angehörigen russischer Luftstreitkräfte als Teil einer gemeinsamen regionalen Truppe begonnen. Diese werde in Belarus ausschließlich zur Verstärkung der Verteidigung der Grenzen des Unionsstaates eingesetzt, versicherte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Aufgrund der angespannten Lage um Belarus sei „die Notwendigkeit gegeben, eine Reihe zusätzlicher strategischer Eindämmungsmaßnahmen zu ergreifen“, sagte er.

Tatsächlich hat der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko die Entscheidung getroffen, eine verdeckte Mobilmachung durchzuführen – ohne dies öffentlich zu verkünden. Die Leiter der Betriebe wurden angewiesen, Listen von Wehrpflichtigen zusammenzustellen. Das bedeutet, dass im Falle einer Mobilisierung die Einberufungsbescheide direkt am Arbeitsplatz verteilt werden können.

Bisher ist die Rede nur von kurzfristigen Trainingslagern – angeblich, um die Kampfbereitschaft zu testen. Interessant ist, dass die Menschen auf dem Land, also die ergebensten Wähler von Lukaschenko, die ersten sein werden, die einberufen werden sollen.

Offensichtlich befürchtet der Diktator, seine Waffen unsicheren Kantonisten in die Hand zu geben. Die könnten schließlich in die falsche Richtung zielen.

Waffen für rund 1.500 Mitarbeiter

Um die „Aufgaben zur Aufrechterhaltung der Ordnung und des Schutzes des Landes“ zu erfüllen, hat Lukaschenko dieser Tage Waffen an etwa 1.500 Mitarbeiter des Ministeriums für Katastrophenschutz ausgegeben. Bei Bedarf könnten sie damit Proteste niederschlagen und die Armee unterstützen. Wenn man bedenkt, dass etwa 13.000 Personen in diesen Strukturen arbeiten, liegt der Wert des Vertrauens in das Personal bei nur 13 Prozent.

In Berlin startet ein Bildungsprojekt für ukrainische Kinder. In einer deutsch-ukrainischen Begegnungsschule werden Schüler, die vor dem Krieg geflüchtet sind, mit Hilfe von Lehrinhalten beider Staaten in beiden Sprachen unterrichtet. Sie sollen Schulabschlüsse beider Staaten erwerben. Ziel sei, die Integration der Schüler hierzulande zu fördern und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit zu eröffnen, später in die Ukraine zurückzukehren, sagte Schulsenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD). (dpa)

Der regulären Armee von Belarus gehören insgesamt 45.000 Soldaten an. Die meisten haben noch nie an Kämpfen teilgenommen – ganz anders als bei dem gewaltsamen Vorgehen gegen unbewaffnete De­mons­tran­t*in­nen im Jahr 2020.

Derzeit wird in den staatlichen Medien nahezu ununterbrochen über angebliche Nato-Panzer berichtet, die an der Grenze zu Belarus stünden. Doch Umfragen unter Be­la­rus­s*in­nen besagen, dass die Bereitschaft, für die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sterben, gegen Null tendiert. „Die Leute sind doch nicht blöd“, sagt ein Verkäufer auf dem Markt, der auf Kundschaft für seine Kartoffeln wartet.

Ein Spaziergang über den Basar ist aufschlussreich. Denn das wahre Leben spielt sich hier ab und nicht in den bravourösen Reden der Propagandisten. Die Anzahl der Stände nimmt stetig ab. Einige Produkte, die bisher aus dem Ausland importiert wurden, sind vollständig verschwunden. Manche Ver­käu­fe­r*in­nen sagen ganz ohne Umschweife: „Greifen Sie heute zu. Ab morgen erhöht der Hersteller den Preis. Wir verkaufen jetzt die letzten Chargen, werden diese Produkte dann aber aus dem Sortiment nehmen.“

Vor Kurzem waren in einem Billig-Supermarkt Konserven im Angebot. Als Preis waren 2,69 belarussische Rubel – umgerechnet 1,09 Euro – ausgewiesen. An der Kasse kostete die Dose dann plötzlich 2,99 Rubel. Die Mitarbeiterin erklärte, die 2,69 seien der Preis vom Vortag, man habe noch keine Zeit gehabt, das zu ändern. Gemäß des Gesetzes über die Rechte von Verbrauchern müsste die Dose zum alten Preis verkauft werden. Mittlerweile ist das Geschäft geschlossen. „Zu vermieten“ steht auf einem Schild im Fenster.

In der ersten Oktoberwoche traf sich Lukaschenko mit Wirtschaftsexperten aus der Regierung. Jegliche Preiserhöhungen wurden verboten – mit Ausnahme von Einzelentscheidungen des Ministers oder des Chefs der Gebietsverwaltung. Bei Zuwiderhandlungen drohen Strafverfahren und Haftstrafen. Die ersten zehn Strafverfahren wurden bereits nach wenigen Tagen eingeleitet. Seit Neuestem gibt es eine Vorschrift, wonach es belarussischen Geschäften verboten ist, frische, gekühlte oder gefrorene Hühner zu verkaufen, die sie selbst zerlegt haben.

Repressionen gegen Oppositionelle gehen weiter

Unterdessen geht die Repression gegen belarussische Oppositionelle weiter. An Montag ergingen die Urteile gegen 12 Ver­tre­te­r*in­nen der so genannten Gruppe Awtuchowitsch. Die Anklagepunkte: Sturz der belarussischen Regierung mit Hilfe der ukrainischen Geheimdienste, Planung und Durchführung terroristischer Anschläge sowie der Import von Waffen aus der Ukraine.

Der vermeintliche Anführer Nikolai Awtuchowitsch wurde zu 25 Jahren Haft und einer Geldstrafe von umgerechnet 13.000 Euro verurteilt. Er befand sich 23 Tage im Hungerstreik und hat 20 Kilogramm Gewicht verloren. Uladzimer Gundar, der keine Beine hat, wurden in der Haft Prothese und Krücken weggenommen. Er wurde zu 18 Jahren Haft und einer Geldstrafe von mehr als 10.000 Euro verurteilt. Das Verdikt gegen die krebskranke Rentnerin Galina Derbysch lautete 20 Jahre Haft und umgerechnet 9.000 Euro Geldstrafe.

Aus dem Russischen von Barbara Oertel

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