Auch wenn es kälter wird: Draußen rumhängen

Rumhänger gelten als arbeitslos, abhängig oder gleich kriminell. Zielloses Rumhängen hat in unserer Gesellschaft keinen guten Ruf. Zu Unrecht.

Eine Person mit Kapuzenpulli

Sommer kann jeder. Im Winter braucht es schon mehr Überzeugungsarbeit Foto: Garo/Phanie

Jedes Jahr gibt es diesen Moment: Ich sitze auf einer Parkbank, habe ein Getränk, vielleicht gute Gesellschaft, im besten Fall auch Musik dabei, und gleich nach dem Hinsetzen merke ich: Es ist einfach zu kalt mittlerweile, um noch draußen rumzuhängen. Natürlich kann man stattdessen in eine Kneipe gehen oder in ein Café. Vielleicht in ein Einkaufszentrum. Oder einfach nach Hause. Aber ich möchte das alles nicht. Ich möchte draußen rumhängen, auch wenn es ungemütlicher wird.

Dabei sollte man es mit dieser Art von Draußenrumhängen ja eigentlich nicht übertreiben. Weil es eine Aktivität ist, die keinen guten Ruf hat. Denn es ist nicht das organisierte Picknick im Park oder die Verabredung auf der Café-Terrasse. Sondern ein zielloses Rumhängen, zwischendurch auch Rumlaufen, ohne Zeitgefühl, ohne Auftrag, ohne teuren Konsum. Wer auf diese Weise rumhängt, der hat vermutlich keinen Job. Oder schwänzt die Schule oder hat kein Zuhause. Zumindest niemanden, der sich für ihn interessiert. Möglicherweise ist er auch kriminell. Und hat ein Suchtproblem.

Im Spätsommer, als das Draußenrum­hängen noch angenehmer war, habe ich „Liebe, D-Mark und Tod“ von Regisseur Cem Kaya gesehen. Mit viel Archivmaterial erzählt der Dokumentarfilm die Geschichte der türkischen Popkultur in Deutschland. Man bekommt Einblick in türkische Musik, die in Deutschland entstanden ist, in Partys und Hochzeiten, aber auch in den Alltag der Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, und das Leben ihrer Kinder.

Aufnahmen aus deutschen Dokus der 60er, 70er und 80er Jahre zeigen Gastarbeiterkinder in Parks, wie sie auf Baustellen spielen oder einfach auf der Straße rumhängen. Dazu die Erzählung: Die Eltern sind nicht da, sie müssen viel arbeiten, können sich nicht um ihre Kinder kümmern, die wiederum sind sich selbst überlassen. Die Kinder aber schauen oft amüsiert und selbstbewusst in die Kamera.

Es gab halbwegs einen Plan

Ich bin etwas später, in den 90ern, als Kind von türkischen Gast­ar­bei­te­rn aufgewachsen. Ich war nicht komplett mir selbst überlassen. Es gab die Schule, die Hausaufgabenhilfe am Nachmittag, den Sportverein am Abend und an den Wochenenden. Es gab halbwegs einen Plan. Aber auch ich habe viel Zeit draußen verbracht.

Als Kind hatte ich ein paar Jahre einen Wald in der Nähe. Als wir in eine größere Stadt gezogen sind, hatte ich das Glück, dass man Fußball auch auf dem Aldi-Parkplatz spielen kann. Als Jugendlicher habe ich meine Freunde am Busbahnhof getroffen und wir haben dort Stunden verbracht. Die Vorurteile mancher Mitschüler und ihrer Eltern haben uns damals geschmeichelt.

Heute treffe ich meine Freunde immer noch am liebsten draußen. Im Sommer ist das kein Problem. Wenn es kälter wird, wollen manche aber nicht mehr. Ich hingegen bin nicht bereit, das Draußen loszulassen. Diesen Winter werde ich sie alle mit Glühwein und Taschenwärmern locken.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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