Blockade der Union beim Bürgergeld: Nur Lust am Nein

CDU und CSU machen mit giftiger Rhetorik Stimmung gegen das Bürgergeld. Viel mehr haben die Unionsparteien in sozialen Fragen auch nicht anzubieten.

Friedrich Merz im Bundestag.

Mehr als ein polemisches, reflexhaftes Nein hat die Union in sozialen Fragen nicht anzubieten Foto: Michael Kappeler/dpa

Das Bürgergeld mache Arbeitslose reicher als Leute, die mit Jobs wenig verdienen. So versucht die Union es darzustellen – und arbeitet dabei mit suggestiven Zahlen. Familien mit 150.000 Euro Vermögen könnten es sich mit dem neuen Bürgergeld auf Mallorca gut gehen lassen. Das ist giftige Rhetorik und Stimmungsmache gegen Ärmere.

Denn dies ist ein extremer, eher theoretischer Einzelfall. Und der wäre auch jetzt mit Hartz IV möglich. Um Härten während der Coronapandemie zu vermeiden, hat das Parlament ohnehin schon das Schonvermögen angehoben – damals mit den Stimmen der Union. Friedrich Merz und Markus Söder argumentieren bigott.

Sie deshalb, wie es SPD-Chef Lars Klingbeil getan hat, auf eine Stufe mit Trump zu stellen, ist allerdings ebenso giftige Rhetorik. Die Union spitzt extrem zu. Aber Merz ist nicht Trump. Billige Polemik im Meinungskampf und ein lässiger Umgang mit Fakten sind ungut, aber etwas anderes als das Prinzip Trump – nämlich Rationalität durch Lüge zu ersetzen und demokratische Verfahren nach Gutdünken auszuhebeln.

Die Union hat beim Bürgergeld ein Spiel eröffnet, bei dem sie auf den ersten Blick nur gewinnen kann. Das Bürgergeld ist das zentrale Projekt der Reparaturarbeiten der SPD an der Agenda 2010 – und das symbolische Ende eines Konflikts, der auf die Sozialdemokratie 20 Jahre lang wie Betablocker gewirkt hat. Das macht die Aussicht, dieses Projekt im letzten Moment zu versenken, für Merz & Co besonders verlockend.

Aber auch wenn es der Union gelingt, am Montag eine Front im Bundesrat aufzubauen und das Bürgergeld im Vermittlungsausschuss noch mal gestutzt oder gar demoliert wird – es wird ein schaler Erfolg. Denn mehr als ein polemisches, reflexhaftes Nein hat die Union in sozialen Fragen nicht anzubieten. Zur Erinnerung: Sie hat vor 15 Jahren die Einführung des allgemeinen Mindestlohns bekämpft. Sie hat die Erhöhung auf 12 Euro erst mit scharfen Worten abgelehnt, dann widerwillig akzeptiert. Und jetzt das donnernde Nein zum Bürgergeld. Wo bleibt das Positive?

In den 1970er Jahren, als die Union in der Opposition war, hat Heiner Geißler die neue soziale Frage entdeckt. Es gab Arbeitslose, Rentner und Gruppen, die im korporatistischen Modell der Bundesrepublik durch den Rost fielen. Heute hat Deutschland einen extrem großen Niedriglohnsektor. Die Union hat dazu außer Achselzucken nichts zu sagen. Das laute Poltern gegen das Bürgergeld verdeckt 2022 matte Ratlosigkeit und programmatische Dürre. Die Union hat nur Lust am Nein, keine Neugierde.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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