Prozess um entführten Vietnamesen: Erdrückende Beweise gegen Anh Tu L.

2017 entführte Vietnams Geheimdienst den Ex-Politiker Trinh Xuan Thanh in Berlin. Jetzt begann der Prozess gegen einen mutmaßlichen Helfer.

Trinh Xuan Thanh wird von zwei vietnamesischen Polizisten eskortiert

Trinh Xuan Thanh (Mitte) wirdam 24.01.2018 in Hanoi zum Gericht eskortiert Foto: An Dang/ap/picture alliance

BERLIN taz Die Tat, die am Mittwoch vor dem Berliner Kammergericht verhandelt wurde, liegt mehr als fünf Jahre zurück: Im Sommer 2017 wurde in Berlin der vietnamesische Ex-Politiker Trinh Xuan Thanh durch den vietnamesischen Geheimdienst entführt und nach Vietnam verschleppt. Jetzt begann der Prozess gegen einen mutmaßlichen Entführungshelfer, der sich über Jahre in Vietnam der Strafverfolgung entzogen hatte und im Frühjahr 2022 in Prag verhaftet wurde. 2018 war bereits ein erster Entführungshelfer zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, die er inzwischen abgesessen hat.

Die Generalbundesanwaltschaft wirft dem 32jährigen angeklagten Vietnamesen Anh Tu L. Beihilfe zur Freiheitsberaubung und geheimdienstliche Agententätigkeit vor. L. lebte zum Tatzeitpunkt in Prag. Gemeinsam mit anderen mutmaßlich Tatbeteiligten habe er knapp zwei Wochen vor der Entführung den in Europa lebenden Cousin des Entführungsopfers nach Prag eingeladen, um ihn bei einem gemeinsamen Frühstück nach dem Aufenthalt von Trinh Xuan Thanh auszufragen.

Drei Tage vor der Entführung soll der Angeklagte gemeinsam mit einem mutmaßlichen Mittäter in den Golfclub Berlin-Gatow gefahren zu sein, wo die Entführung ursprünglich geplant war. Das spätere Entführungsopfer war aber aus Vorsicht nicht zum Golfspiel gekommen. In den Folgetagen soll der Angeklagte an der Observierung des Entführungsopfers in Berlin beteiligt gewesen sein. Zudem soll er beim Kidnapping am 23. Juli 2017 entweder im Auto der Kidnapper gesessen oder aber daran beteiligt gewesen sein, Trinh Xuan Thanh und seine Freundin gewaltsam in das Fahrzeug zu zerren.

Auch beim Transport des Entführungsopfers aus dem Schengenraum spielte der Angeklagte nach Überzeugung der Anklagebehörde eine Rolle als Kraftfahrer.

Entführungsopfer bald frei?

Für das Berliner Kammergericht waren die Beweise, die die Bundesanwaltschaft vorlegte, so erdrückend, dass das Gericht Anklagebehörde und Verteidigung eine sogenannte Verständigung empfahl. Das heißt, dem Angeklagten wurde ein Geständnis nahegelegt. Das spart dem Gericht eine aufwändige Beweisaufnahme, der Angeklagte bekommt dafür eine geringere Haftstrafe als ohne Geständnis.

Die Strafe sollte nach Vorstellungen von Gericht, Anklagebehörde und Verteidigung zwischen 4 Jahren und sechs Monaten und fünf Jahren liegen. Dabei wurde berücksichtigt, dass der Angeklagte in Deutschland wegen illegalen Waffenbesitzes vorbestraft ist.

Der Angeklagte zeigte sich zwar für ein Geständnis bereit, allerdings ließ er erklären, nicht in allen Anklagepunkten schuldig zu sein. Insbesondere will er nicht beim Kidnapping von Trinh Xuan Thanh und seiner Freundin dabei gewesen sein. Für den Fall eines von der Anklageschrift stark abweichenden Geständnisses ist allerdings eine Beweisaufnahme durch das Gericht sehr wahrscheinlich, eine Verständigung nicht möglich. Dann könnte der Prozess Wochen oder Monate dauern.

Am Rande der Gerichtsverhandlung wurde bekannt, dass das Entführungsopfer Trinh Xuan Thanh nach mehr als fünf Jahren Haft in Vietnam endlich von der deutschen Botschaft besucht werden durfte. Das Auswärtige Amt bemüht sich seit Jahren um den Besuch, den Vietnam bisher immer abgelehnt hatte.

Unklar ist, ob der Botschaftsbesuch bedeutet, dass das Trinh Xuan Thanh bald nach Deutschland ausreisen darf, wo er Asyl erhalten hat und wo seine Familie lebt. Normalerweise liegt vor einer Haftentlassung ins Ausland ein Botschaftsbesuch.

Auch ein Besuch des vietnamesischen Außenministers Bui Thanh Son im September bei Außenministerin Annalena Baerbock ist ein Indiz, dass über eine Haftentlassung von Trinh Xuan Thanh zumindest gesprochen wurde. Auf der Tagesordnung des Treffens stand das Thema Menschenrechte an erster Stelle.

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