Ausstellung über türkischen Knast: Aus dem Gefängnis im Kopf

Der türkische Journalist Can Dündar erinnert sich im Hamburger Thalia Gauß an seine Zeit im Gefängnis Silivri. Drei Monate war er dort inhaftiert.

In einem viereckigen Glaskasten ist eine Gefängniszelle nachgebaut, deren Neonröhren sich in der Dunkelheit in den Glaswänden ringsum immer wieder spiegeln, so dass der Eindruck einer Vielzahl von Zellen entsteht.

Nachbau einer Gefängniszelle in einem Glaskasten Foto: Lutz Knospe

Drei Monate lang saß der Journalist und Autor Can Dündar im türkischen Gefängnis Silivri. 2015 wurde der ehemalige Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet der Spionage und der Terrorunterstützung angeklagt und verhaftet. Nun empfängt Dündar, der seit 2016 in Deutschland im Exil lebt, mit einem warmen Lächeln seine Gäste im Hamburger Thalia in der Gaußstraße. Dort erzählt er in der dreiteiligen Ausstellung „SİLİVRİ. Prison of thought / museum of small things“ von seinem Leben hinter Gittern im größten Gefängnis Europas, in dem viele Gegner des Erdoğan-Regimes festgehalten werden.

Mit VR-Brillen wird man im „Prison of thought“ für sieben Minuten in die Rolle eines Insassen versetzt und erlebt die Ankunft im Hochsicherheitsgefängnis. Besonders beklemmend ist der nachgestellte Gang zur Zelle. Man erlebt, wie man auf den kleinen Raum zugeht, stoppen kann man nicht und bekommt nur eine vage Vorstellung davon, was diese Situation in Dündar und anderen Häftlingen ausgelöst haben muss. Das Material für die VR-Installation stamme aus einem Propagandavideo der türkischen Regierung, erzählt Dündar. „Das diente eigentlich dazu, zu zeigen, wie gut es den Insassen hier geht“, sagt er. Andere Aufnahmen gäbe es nicht.

Draußen vor dem Eingang des Theaters ist ein maßstabsgetreuer Nachbau von Dündars Zelle aufgebaut. Die Idee, die Wände des Nachbaus aus Glas zu fertigen, habe sein Freund Hakan Savaş Mican gehabt, mit dem er die Ausstellung gemeinsam erarbeitet hat. „Man soll das Gefühl haben, dass man ständig beobachtet wird“, sagt der Journalist. Die Betonwände, die ihn tatsächlich umgeben haben, ließen den Raum aber viel beengter wirken. Klaustrophopisch dürfe man dort nicht sein.

Dündar verbrachte seine Zeit in Silivri in absoluter Isolation. Das sei eine gängige Methode, die als Folterinstrument eingesetzt würde, um die Gefangenen vereinsamen zu lassen. Dennoch sei ihm die Einzelhaft sogar lieber gewesen als eine Zelle, in der bis zu 20 Personen sitzen. „Wenn man 24 Stunden lang jeden Tag mit anderen verbringt, treibt das einige auch in den Wahnsinn. Ich selbst kann mit dem Alleinsein umgehen, und das war mir dann doch lieber“, erzählt er.

„Under Cover – A Secret History of Cross-Dressing“ bis zum 18. Januar 2023 im C/O Berlin.

Einmal die Woche konnte Dündar mit seiner Familie durch eine Glasscheibe sprechen. Die Gespräche wurden abgehört und die Wärter waren allgegenwärtig. Abgesehen von dem Besucherraum stellte ein vier mal acht Schritte großer Betonhof mit Stacheldrahtzaun die einzige räumliche Abwechslung dar.

Seinen Humor hat Dündar trotz alldem nicht verloren. So sind auch viele heitere Geschichten Teil seiner Erinnerung an die Gefangenschaft. Sie sind Gegenstand des dritten Teils der Ausstellung, des „museum of small things“. In der Garage des Thalia Gauß finden sich 12 auf den ersten Blick unspektakuläre Objekte, hinter denen sich jeweils eine ganz eigene Geschichte verbirgt. Eine simple Wasserflasche stellt sich als Kommunikationsmittel für Gefangene heraus.

Eine Plastikfigur mit zwei Schnecken erzählt von der Freundschaft des Menschenrechts­aktivisten Osman Kavala mit zwei Weichtieren

Ein weiteres Beispiel ist ein weißes T-Shirt, das der Künstlerin Zehra Doğan als Leinwand diente. Als Farben benutzte sie ihr eigenes Menstruationsblut oder zerdrückte einen Salat, um daraus grüne Farbe zu gewinnen. Da die Familienmitglieder die dreckige Kleidung von Inhaftierten waschen, war es ihr möglich, ihre Kunst an den Wachen vorbeizuschmuggeln. Auch die Mitglieder der Musikgruppe Grup Yorum fanden im Gefängnis einen Weg für ihre Kunst: Aus den Endstücken von Rasierern bauten sie eine Panflöte.

Eine Plastikfigur mit zwei Schnecken erzählt von der Freundschaft des Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala mit zwei Weichtieren, die er in einem ungewaschenen Salat gefunden und als Kompagnons behalten hatte. „Der Mensch tut viel, um nicht allein zu sein“, sagt Dündar andächtig. Eine traurige Wendung nimmt die Geschichte allerdings, als Kavala die Freiheit in Aussicht gestellt wird und er kurz darauf wieder festgenommen wird. Er hatte seine beiden Freunde zuvor seinem Anwalt mitgegeben, da er sie nicht zurücklassen wollte. „Nun sind seine Schnecken frei und er ist wieder drin. Er fragt sehr oft nach ihnen“, sagt Dündar.

Es stecke viel schwarzer Humor in der Ausstellung, aber genau darum gehe es, betont Dündar. Hoffnung solle sie geben, im Sinne des Autors Ahmet Altan, dem ebenfalls ein Ausstellungsstück gewidmet ist: Gedanken, schreibt der, können nämlich „mühelos durch Wände gehen“.

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