Polizeigewalt vor Stadtderby: Fußball wurde auch gespielt

Das Derby gegen den Hamburger SV gewann der FC St. Pauli klar. Doch vorher schlug die Polizei über die Stränge.

Die Mannschaft des FC St. Pauli feiert vor der Tribüne

Gute Stimmung nach dem Spiel: Der FC St. Pauli ist Derbysieger Foto: Marcus Brandt/dpa

Vielleicht hatte es ein Twitteruser schon tags zuvor am besten eingefangen: „Ein Derby am Millerntor ist irgendwie wie Weihnachten“, so Kieztipper alias @GueHues am Donnerstag. „Alles bereit für ein grosses Fest, doch die ungeliebte Verwandtschaft kommt zu Besuch. Ob es Geschenke oder Bescherung gibt, keiner weiss es.“

Denkbar mit Bedeutung aufgeladen jedenfalls ist sie, diese Begegnung zwischen den Profimännerfussballmannschaften vom Hamburger SV und FC St. Pauli, derzeit Zweitligisten. Was wird da nicht alles drauf projiziert: links und rechts, ehrlicher versus Kommerz-Fußball, Subkultur contra Establishment und so weiter und so fort.

Das hamburginterne Duell „stellt mit 108 Pflichtspielen seit 1919 eines der am häufigsten ausgetragenen Fußballderbys in Deutschland dar“, weiß das digitale Weltgedächtnis Wikipedia, allerdings sind dabei dann auch Begegnungen wie das 0:9 im Gaupokal-Halbfinale im Mai 1944 berücksichtigt, der höchste Derbysieg des HSV. Überhaupt – Zahlen: Die sieben letzten Spiele hatte St Pauli sieglos absolviert, war im gruseligen Tabellenkeller angekommen.

Ganz anders die Gäste: Auf Platz 1 der Tabelle reiste der HSV ans Millerntor, sieben Partien ohne Niederlage im Rücken. Wer will, kann aus so was besten Lektürekaffeesatz machen, über das Feuer der einen und die Selbstzufriedenheit der anderen; über nagende Zweifel versus gesundes Selbstbewusstsein – erst recht später, im Wissen ums Ergebnis.

Gezielt in die Niere geschlagen

Kommen die Spieler im klimatisierten Bus, reisen ihre Un­ter­stüt­ze­r*in­nen traditionell zum großen Teil zu Fuß an. Eine Reiberei zwischen dem um die 3.000 Leute starken HSV-Fanmarsch und einer sehr viel kleineren Gruppe FCSP-Anhänger*innen unterband am Nachmittag die reichlich Gerät und Menschen aufbietende Polizei. Und schlug dabei in nicht ganz überraschender Weise über die Stränge: Schon eine Stunde vor dem Anpfiff forderte der FC St. Pauli „Aufklärung“ zum „massiven Polizeieinsatz“.

Mehrere Menschen wurden verletzt, in den sozialen Medien tauchte ein Video auf, in dem unter anderem zwei Bundespolizisten auf einem bereits am Boden Liegenden knien und ihn mit Faustschlägen traktieren, die Bilder legen nahe: gezielt in die Niere. Sicher: Solche Schnipsel können gezielt geschnitten werden – aber was, andererseits, solche Härte rechtfertigen könnte, bleibt vorerst das Geheimnis der Polizisten.

Am späten Freitagabend bilanzierte die Polizei selbst den Derby-Einsatz und erwähnte einerseits, dass es nachher ziemlich ruhig blieb in der Stadt. Und andererseits die sozusagen vorgezogene dritte Halbzeit, inklusive gefilmter „Anwendung unmittelbaren Zwangs seitens eingesetzter Polizeibeamter“: Man prüfe „Recht- und Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme“. Am Sonntag wurde dann bekannt, dass ein Strafverfahren eröffnet worden sei; das Dezernat Interne Ermittlungen führe die Ermittlungen.

Der prügelnde Elefant saß irgendwo unsichtbar mit im Stadion, aber es wurde auch noch Fußball gespielt. Mit 3:0 Toren schlugen die St. Paulianer unter Timo Schultz das lange in Unterzahl agierende HSV-Team von Trainer Tim Walter – höchster Derbysieg der Weiß-Braunen seit 1960, zumindest temporärer Tabellenspitzen-Verlust für die Bahrenfelder Rothosen. Dass der Autor dieses Textes zum ersten Mal seit den späten 1990er-Jahren wieder im Stadion war, kann ja nicht bloß Zufall sein; Glücksbringerdauerkartenangebote nimmt er gerne an.

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Wollte irgendwann Geisteswissenschaftler werden, ließ mich aber vom Journalismus ablenken. Volontär bei der taz hamburg, später auch mal stv. Redaktionsleiter der taz nord. Seit Anfang 2017 Redakteur gerne -- aber nicht nur -- für Kulturelles i.w.S.

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