Auf einem Tisch liegt eine Auswahl bunter Ansteckbuttons, die Solidarität mit den Kaffee-Arbeiter*innen ausdrücken sollen

Mit bunten Buttons zeigen Menschen US-weit ihre Solidarität mit den Kaffee-Arbeiter*innen Foto: Brendan McDermid/reuters

Arbeitskampf in den USA:Der Zorn des neuen Proletariats

Sie sind jung, fleißig, selbstbewusst – und wollen sich nicht länger ausbeuten lassen. Jetzt streiten Starbucks-Beschäftigte US-weit für ihre Rechte.

22.10.2022, 16:30  Uhr

Der Eingang zur Starbucks-Filiale auf der Commonwealth Avenue in Boston ist verbarrikadiert. Seit fast zwei Monaten wird hier gestreikt, rund um die Uhr. An der gläsernen Front kleben Plakate mit Forderungen und Parolen, auf einem Tisch liegen Spiele und Pappteller, daneben steht eine Thermoskanne. Ein Stück Karton weist auf Telefonnummern einer Bereitschaftshilfe hin. Es ist ein gleißend heller Septembertag, drei Streikende sitzen unter einem Sonnenzelt. Alle zwei Stunden wechseln die Angestellten sich ab. Der Filialleitung werfen sie unlautere Beschäftigungspraktiken vor.

Und sie sind nicht allein: Seit einigen Monaten gründen sich in den Vereinigten Staaten mit rasantem Tempo neue Gewerkschaften – ausgerechnet in dem Land, in dem Entlassungen unter dem Begriff „hire and fire“ zur Normalität gehören. Starbucks ist mit fast 400.000 Angestellten der größte Kaffeehauskonzern der Welt. 15.000 Läden werden allein in den USA betrieben. Mittlerweile sind die Angestellten des Kaffeegiganten bei Gewerkschaftsgründungen besonders umtriebig. Aus gutem Grund.

Lange galt das Unternehmen in der Öffentlichkeit als progressiver Arbeitgeber. Starbucks legt Wert auf ein familiär wirkendes Betriebsklima. So werden die Angestellten „Partner“ genannt und das Einarbeiten „Weiterbildung“. Der Konzern versteht sich als queer- und trans*­freund­lich, Geschäftsführer Howard Schultz hat in der Vergangenheit stets lautstark die Demokratische Partei unterstützt.

Starbucks legt Wert auf ein familiär wirkendes Betriebsklima. Angestellte werden „Partner“ genannt, es geht queer- und trans*­freund­lich zu. Gewerkschaften passen nicht zu diesem progressiven Image, meint der Konzernchef

In den Filialen wird der Kundenkontakt von sogenannten Baristas getragen, die in Schichtarbeit Getränke und kleine Gerichte zubereiten. Aufsteigen kann man zum Baristaausbilder und zur Schichtleitung. Die jeweiligen Filialleitungen – die meist keine Erfahrung mit der Arbeit vor Ort in den Läden haben – treffen die Personalentscheidungen und erstellen die Dienstpläne.

Die Arbeitszeiten, die in einer Filiale anfallen, verwaltet ein firmeneigener Algorithmus, das Stundenbudget wird auf Basis vergangener Umsätze berechnet. Häufig geschieht es, dass Baristas zu Stoßzeiten wegen niedriger Personalzuteilung nicht alle Bestellungen bedienen können. Die Folge: Die Umsätze sinken – was zu einer noch dünneren Personaldecke in der nächsten Schicht führt, ein Phänomen, das manche Angestellte als „cycle of doom“ bezeichnen, als „Kreislauf des Untergangs“.

Starbucks bietet seinen Beschäftigten Zusatzleistungen, etwa eine Krankenversicherung, keine Selbstverständlichkeit in den USA. Auch die Gebühren für ein Onlinestudium an der Arizona State University werden vom Konzern übernommen. Wer in den Genuss dieser Extras kommen will, muss mindestens 20 Arbeitsstunden pro Woche leisten. Das Problem: Eine Mindestarbeitszeit ist in den meisten Bundesstaaten nicht gesetzlich zugesichert.

Das freundliche Image täuscht

Vor allem wegen der großzügig wirkenden vertraglichen Extras galt Starbucks lange als Bastion gegen eine gewerkschaftliche Selbstorganisation der Mitarbeitenden. Dem netten Image standen aber stets herbe Vorwürfe gegenüber: die Macht des Unternehmens über die Ausbildung und die Krankenversicherung seiner Angestellten; die Überlastung von Baristas; die Missachtung von Beschwerden aus der Belegschaft.

Am 9. Dezember 2021 beschlossen die Angestellten eines Cafés in Buffalo, sich zu organisieren. Seither haben fast 400 weitere Starbucks-Läden über die Gründung einer eigenen Ar­beit­neh­me­r*in­nen­ver­tre­tung abgestimmt. Die Betriebsräte bei Starbucks sind, wie allgemein in den USA, sehr autonom – sie bezeichnen sich selbst als „union“, jede Filiale muss einzeln über ihren Tarifvertrag verhandeln. Das ist eine der Bedingungen, die die Konzernleitung stellte, um sich auf den Vorstoß einzulassen. Immer wieder kam es zu Verzögerungen, doch nun, im Oktober 2022, beginnen endlich die Tarifvertragsverhandlungen in über 230 Starbucks-Filialen. Es ist der Start für die zweite, entscheidende Phase in der Geschichte dieser so jungen und so kampflustigen Bewegung.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Große, etablierte Gewerkschaften gelten in den USA als eingerostete, träge Apparate und werden oft als irrelevant betrachtet, angesichts des Niedergangs der verarbeitenden Industrie. Eine komplizierte Geschichte von Korruption und Rassismus – oft wurden schwarze, aus den Südstaaten migrierte Ar­bei­te­r*in­nen als Streikbrecher angeworben – machte das Image nicht besser. Entscheidend für die Verdrängung der Gewerkschaften waren auch der Lobbyismus der Arbeitgeber, der stets auf offene politische Türen stieß, und die Zersplitterung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.

Die Eckpunkte gewerkschaftlicher Organisation in den Vereinigten Staaten sind bald ein Jahrhundert alt: 1935 wurden sie im sogenannten Wagner Act abgesteckt. Mit ihm wurde auch das National Labor Relations Board (NLRB) gegründet, das bis heute über die Einhaltung der entsprechenden Gesetze wacht. Um eine Gewerkschaft zu gründen, müssen mindestens 30 Prozent eines sogenannten „bargaining units“, also eines Betriebs – in diesem Fall einer Filiale – eine Abstimmung unter den Mitarbeitenden einfordern. Wenn bei einer solchen geheimen Abstimmung mehr als die Hälfte der Mit­ar­bei­te­r*in­nen zustimmt, ist der Arbeitgeber verpflichtet, über einen Tarifvertrag zu verhandeln. Von den Beschäftigten gewählte Vertreter*innen, sogenannte „stewards“, sollen anschließend die Einhaltung des Vertrags überwachen.

Versuche der Verzögerung und der Sabotage dieses komplizierten Prozesses müssen von den Gewerkschaften beim NLRB angezeigt werden. Allerdings herrscht auch dort Personalmangel, weshalb die Auseinandersetzungen sich oft in die Länge ziehen. Die junge, sich gerade erst entfaltende Bewegung der Starbucks Workers United verfügt bislang über keine finanziellen Mittel, einzelne Filialen vernetzen sich untereinander und mit anderen Gewerkschaften über soziale Medien. Lose sind die Starbucks Workers an die weit größere Gewerkschaft Workers United angebunden, die wiederum einem Dachverband angehört. Im Gegensatz zu traditionsreichen größeren Gewerkschaften sind die neuen Bewegungen stark von der Basis getragen, viele Mitglieder gehören gesellschaftlichen Minderheiten an.

Die Konzerne schlagen mit Anwälten zurück

Ihnen gegenüber stehen die Starbucks-Anwälte von Littler Mendelson, einer Kanzlei, die sich auf „union busting“ spezialisiert hat, auf die Zerschlagung jeglichen gewerkschaflichen Engagments. Die Rechtsprofis fechten Abstimmungsergebnisse und Entlassungsklagen an, verzögern mit legalen Kniffen Abstimmungen und Verhandlungen. Konzerne wie Starbucks lassen sich solcherlei Unterstützung einiges kosten: Für einzelne Gerichtstage stellen diese Kanzleien mitunter mehrere hunderttausend Dollar in Rechnung. Im Internet kursieren Handbücher zur „Gewerkschaftsvermeidung“. Bei Starbucks wurde im September ein Extrakonto nur für Angestellte ohne Gewerkschaftsbindung angekündigt.

Howard Schultz, der langjährige CEO von Starbucks, hat in Reden und Interviews mehrfach betont, eine Gewerkschaft nicht als Teil des Unternehmens akzeptieren zu können. Mehr als 100 Mit­ar­bei­te­r*in­nen wurden im Zusammenhang mit der neuen Gewerkschaftsbewegung schon gefeuert, in vielen Filialen wurde das Personal ausgetauscht, einige Baristas sind im Begriff, ihre Krankenversicherung zu verlieren, weil ihnen nicht ausreichend Arbeitsstunden zugeteilt werden.

Jahrzehntelang haben Beschäftigte in den USA stagnierende Löhne und schwindende soziale Mobilität fast klaglos hingenommen. Jetzt tritt eine neue Generation an – und diese hat sich nicht zuletzt durch die Black-Lives-Matter-Proteste stark politisiert

Jahrzehntelang haben Beschäftigte in den USA stagnierende Löhne und schwindende soziale Mobilität mehr oder minder klaglos hingenommen. Doch die öffentliche Meinung hat sich unter dem Eindruck der Finanzkrise gewandelt. Jetzt tritt eine neue, noch ganz junge Generation von Ar­beit­neh­me­r*in­nen an – und diese hat sich nicht zuletzt durch die Black-Lives-Matter-Proteste stark politisiert.

Zurück zur Starbucks-Filiale in Boston, in der seit zwei Monaten gestreikt wird. An der nahe gelegenen Universität ist heute der erste Vorlesungstag nach den Semesterferien. Immer wieder kommen Studierende mit Kaffeedurst vorbei, doch statt eines Latte Macchiato bekommen sie hier nun Infomaterial zum Arbeitskampf in die Hände gedrückt. Manche gehen gleich weiter, zum nächsten Starbucks-Laden, nur fünf Minuten entfernt. Andere aber werden neugierig, bleiben stehen – und beginnen angeregte politische Diskussionen, untereinander und mit den aufgebrachten Baristas.

„Wir sind immer unter­besetzt und überarbeitet“
Die alleinerziehende Mutter Gabrielle hält nach Ende ihrer Schicht noch ihre Dienstschürze im Arm

Die Kinder hatten Corona, Solo-Mutter Gabrielle musste deshalb unbezahlten Urlaub nehmen Foto: Johannes Hoer

Gabrielle ist mit ihrer Schicht durch, die grüne Barista-Schürze trägt sie noch bei sich. Es ist ein träger Nachmittag in einem Vorort von Salt Lake City. Nur am Drive-in stauen sich die Autos: Der Reihe nach bestellen Kun­d*in­nen am Mikrofon, bekommen Kaffee durch das Fenster gereicht und fahren weiter.

„Für viele in meinem Alter ist die Arbeit hier eine Zwischenstation, ein Nebenjob. Ich habe nicht viele Wahlmöglichkeiten in meinem Leben. Da ist das Starbucks-Studienprogramm, zusammen mit der Krankenversicherung ein echter Rettungsanker. Dafür bin ich sehr dankbar,“ erzählt Gabrielle.

Die Mutter von zwei Kindern spricht überlegt, sie macht Pausen zwischen den Sätzen. Auf die Frage, wieso sie der Gewerkschaftsbildung zugestimmt hat, zögert Gabrielle kurz: „Als die Pandemie sich zurückzog, schien alles zur Normalität zurückzukehren – nur Starbucks kam nicht aus dem Krisenmodus. Die Personalsituation ist verrückt, wir sind immer unterbesetzt und überarbeitet, besonders morgens. Dann kam die Scheidung von meinem Mann. Meine Kinder hatten sich mit Corona angesteckt, ich musste drei Wochen zu Hause bleiben, bekam aber nur fünf Krankheitstage bezahlt und hätte also fast die Ansprüche auf meine Krankenversicherung verloren. Ich war frustriert und ängstlich zugleich. Durch die Gewerkschaft ist mir klar geworden, dass ich nicht einfach darauf warten kann, dass die Filialleitung oder die Firma meine Arbeitsbedingungen verbessern.“

„Schon mit 17 wurde ich für Doppelschichten eingeteilt, als Minderjährige“
Die junge schwarze Laila sitzt erschöpft am Rande einer Demonstration am New Yorker Times Square

Als Laila sich über die miesen Arbeitsbedingungen beschwerte, wurde sie gefeuert Foto: Johannes Hoer

Hätte ich gewusst, dass es Gewerkschaften gibt, wäre ich schon an meinem zweiten Arbeitstag beigetreten.“ Laila sitzt am Rand des Demonstrationszugs am New Yorker Times Square und ist sichtlich erschöpft. Zwei Flüge hat die 19-Jährige hinter sich, um bei diesem Labor Day am 5. September dabei zu sein. Auch sie hat vor der Menge eine kleine Rede gehalten, und die Demoroute war weit: von der Zweitwohnung des scheidenden Starbucks-CEOs Howard Schultz zogen die Protestierenden zur Zweitwohnung von Jeff Bezos, CEO von Amazon, insgesamt einmal quer durch Manhattan.

Lailas Hände mit den roten Klebenägeln werden unruhig, wenn sie über ihre Arbeitsbedingungen spricht: „Als ich mit 17 bei Starbucks anfing, wurde gegen alle Regeln der Beschäftigung von Minderjährigen verstoßen, an manchen Tagen waren es zwei Schichten hintereinander, neben der Schule. Mit der Pandemie wurde es schlimmer. Ich blieb dabei, weil ich nicht verschuldet studieren wollte.“ Als dann ein Krankenhausaufenthalt die Finanzierung ihres Studiums durch ihren Arbeitgeber infrage stellte, wandte sich Laila an einen älteren Kollegen: „Ich war wirklich verzweifelt und sagte Bill, dass ich hinschmeißen würde. Da fragte er mich, ob ich stattdessen versuchen wolle, eine Gewerkschaft zu gründen. So haben wir angefangen, mit unseren Kol­le­g*in­nen zu sprechen.“

Nach nur zwei Tagen, am 22. Januar 2022, hatten 12 der 19 Angestellten der Filiale im Norden von Phoenix ihr Interesse bekundet – damit war dann bereits die dritte Starbucks-Filiale im Bundesstaat Arizona auf dem Weg der Gewerkschaftsgründung.

Prompt setzten die Repressionsmaßnahmen ein: Am folgenden Montag wurde Laila zum ersten Mal in mehr als zwei Jahren Beschäftigung schriftlich verwarnt. Über Monate wechselten sich Vorladungen zu Vorgesetzten und Verwarnungen ab. Laila begann, Teile der Gespräche als Beweismaterial mitzuschneiden. Kurz vor der offiziellen Abstimmung zur Gewerkschaftsgründung wurde sie entlassen. Nun bemüht sie sich, ihr Studium dennoch abzuschließen, spricht immer wieder bei Veranstaltungen von Starbucks Workers United und hat eine weitere, eigene Organisation gegründet, die Re­stau­ran­t­ar­bei­te­r*in­nen vertritt. „Früher war ich sehr schüchtern, konnte mich kaum mit Leuten unterhalten und schon gar nicht vor Publikum sprechen. Ironischerweise habe ich das bei der Arbeit am Starbucks-Drive-in gelernt.“

„Der halbe Laden war kurz davor, hinzuschmeißen“
Bill spielt auf der Terrasse seines Häuschens mit seinen zwei Hunden

Bill ist optimistisch, dass viele sich der neuen Gewerkschaftsbewegung anschließen werden Foto: Johannes Hoer

Es ist ein heißer und trockener Tag in Phoenix. Bill, der seine junge Kollegin Laila vor knapp einem Jahr zur Gewerkschaft gebracht hat, wohnt nur ein paar Straßen von seinem ehemaligen Arbeitsplatz entfernt. Bills Hunde hecheln pausenlos, ein Wasserzerstäuber soll die 44 Grad Außentemperatur erträglicher machen. Bei Starbucks hatte Bill im Mai 2020 angefangen, nachdem seine eigene Veranstaltungsfirma wegen der Pandemie dicht machen musste. Er betont, wie schwer es sei, sich im schnellen Arbeitsumfeld der Kette zurechtzufinden: „Ich höre schlecht, hatte damals aber noch kein Hörgerät, und es gab Personalmangel bei einer Schicht. Also stand ich selbst am Drive-in-Mikrofon und wurde immer gestresster und gestresster. Aber über die Zeit fand ich Spaß an der Arbeit und wurde immer besser.“

Was eine berufliche Übergangslösung sein sollte, wurde zu einer kleinen Karriere: Laila und Bill bewarben sich beide auf Schichtleitungstellen. „Hier wurde mir erst wirklich bewusst, unter welchem Personaldruck wir arbeiteten. Ich wurde schlecht für die neue Rolle angelernt und sah überall nur noch Ungleichbehandlungen. Also sprach ich mit den Mitarbeiter*innen, schrieb eine E-Mail, wir redeten auf Zoom. Bald stellte sich heraus, dass der halbe Laden drauf und dran war, hinzuschmeißen.“

Die ersten Pläne für eine Gewerkschaftsgründung stießen auf große Resonanz in der Belegschaft – und sogleich bekam auch Bill Repressionen zu spüren: „Dann ging der Druck erst richtig los. Ständig hatten wir uns über Personalmangel beschwert, doch in der Woche vor unserer Gründungsabstimmung wurden plötzlich sieben neue Leute angestellt. Sie waren alle nicht in unserem Laden angelernt worden, um den Kontakt kleinzuhalten. Und nach unserer Abstimmung wurden sie sofort wieder abgezogen.“ Unentschlossene Baristas mussten zu Einzelgesprächen mit Vorgesetzten antreten, ihnen wurde der Entzug der Zusatzleistungen angedroht. Wer die Gewerkschaftsgründung befürwortete, wurde gekündigt – wie Laila traf es auch Bill.

Seine frühere Filiale betreffend ist Bill pessimistisch: „Mittlerweile haben sie dort im Personal fast alle Leute ausgetauscht.“ Beeindruckt hat ihn jedoch die Welle von Solidarität aus der sonst eher konservativen Bevölkerung in Arizona: Ringsum haben Beschäftigte anderer gewerkschaftlich organisierter Branchen, etwa Restaurant- und Hotelkräfte, solidarisch Gelder zur Verfügung gestellt. Damit können beispielsweise Lohnausfälle bei Streiks ausgeglichen oder Übergangsgelder für gefeuerte Beschäftigte finanziert werden.

Bill klingt euphorisch, wenn er die Neuartigkeit dieser Bewegung betont: „Das ist alles von Ar­bei­te­r*in­nen selbst getragen, so gab es das in den Vereinigten Staaten noch nie! Alle, die auf Stundenbasis bezahlt werden, rufen wir auf, sich zu organisieren. Ob demokratisch oder republikanisch. Das ist keine Frage der politischen Orientierung für mich.“

Heute arbeitet er in einem anderen Café und als Aushilfslehrer und baut zusammen mit Laila die Ar­beit­neh­me­r*in­nen­ver­tre­tung aus. „Wir haben Kontakt zu Uber-Fahrern, zur Cannabisindustrie, zu Restaurants. Wir versuchen, allen zu vermitteln, dass es nichts hilft, sich mit dem Chef einzeln zum Plausch zu treffen – es ist an der Zeit, sich zu organisieren.“

„Die Leute haben auch gearbeitet, wenn sie Corona-positiv waren, es gab Druck“
Der Starbucks-Mitarbeiter Tyler trägt ein Firmen-T-Shirt und sitzt auf einer Bank

In Tylers Welt im kalifornischen Compton leben alle prekär Foto: Johannes Hoer

Viele meiner Kolleg*in­nen sind nicht wirklich politisch, aber kommen aus prekären Gegenden wie Compton – die leben einfach hier, haben Armut, Polizeigewalt, Rassismus erlebt. Und das Gefühl, alleingelassen zu werden. Als in Buffalo die allererste Starbucks-Gewerkschaft entstand, wusste ich sofort, dass das auch hier passieren muss. Ich konnte so nicht mehr leben, niemand von uns kann so leben, mit einem miserablen und prekären Job, in dem wir ständig unterbesetzt sind. Also war es höchste Zeit, etwas zu tun.“ Tylers düstere Stimmung passt nicht recht in diesen sonnigen Nachmittag in Long Beach, Kalifornien. Er spricht von Boni für Filialleitungen, die sein Gehalt übersteigen. Davon, dass von den rund 10.000 Dollar Umsatz, die jede Woche im Laden generiert werden, bei den Baristas kaum etwas ankommt, während ein einzelner Konzerngeschäftsführer jährlich um die 20 Millionen Dollar kassiert.

Der 26-Jährige hat viele Kontakte, kennt Ak­ti­vis­t*in­nen der Bewegung überall im Land, zählt wohl zu denen, die man in den USA „online people“ nennt: ein Mensch, der sich viel im Netz austauscht. Er spricht von Freun­d*in­nen bei den Gewerkschaften von Amazon, dem Telefoniegiganten Verizon und der Restaurantkette Chipotle, alle hat er auf Twitter kennengelernt. „Natürlich gibt es nicht den einen Grund dafür, dass sich diese Gewerkschaften so rasend schnell verbreiten. Aber die Erfahrung der Pandemie, die viele Zeit im Internet – das hat schon etwas verändert bei den Leuten“, glaubt er.

„Als die Unternehmen nach den schlimmen Corona-Wellen so schnell versucht haben, wieder auf Normalbetrieb zu schalten, sind viele nicht mitgegangen. Unser Café war nie geschlossen. Im Mai 2020 gab es einen Drei-Dollar-Stundenbonus für diejenigen, die trotz der Pandemie weiterarbeiteten, aber der war nach zehn Wochen auch wieder weg. Die Haltung von oben war: Wenn ihr nicht arbeiten wollt, dann geht doch! Die, die geblieben sind, mussten Mehrarbeit leisten. Es gab zehn Tage bezahlte Krankschreibung, weil das staatlich festgeschrieben war. Leute haben gearbeitet, auch wenn sie positiv auf Corona getestet waren, mit Maske eben. Da haben sich einige irgendwann doch dagegengestellt.“

In Tylers Wahrnehmung liegen die Ursprünge für die Frustration aber noch weit vor der Pandemie: „Gerade in dieser Generation, wo so viele Leute sehen, dass ein Universitätsabschluss sie nirgendwohin bringen wird und dass die Welt auf eine riesige Klimakrise zuläuft, ist das Narrativ des amerikanischen Traums ziemlich ausgeleiert. In dieser gesellschaftlichen Stimmung bin ich in den Arbeitsmarkt eingetreten, mit 19. Ich wurde bei der Arbeit niedergemacht und wusste dabei genau, dass ich finanziell auf keinen grünen Zweig kommen würde.“

Anderen in seiner Altersgruppe gehe es ähnlich: „Eine Zeit lang war es um mich herum Mode, ständig den Job hinzuwerfen und woanders anzufangen. Aber was bringt es, vom Regen in die Traufe zu wechseln? Man muss etwas verändern.“ Dass diese Veränderung sich nun gerade bei Starbucks Bahn bricht, wundert ihn nicht: „Diesem Unternehmen ist die eigene Personalpolitik von Diversität und Inklusion auf die Füße gefallen. Bei uns gibt es dazu einen Running Gag: Wie konnte Starbucks keine Gewerkschaftsbewegung erwarten, wenn alle Leute, die sie einstellen, queer und links sind?“

„Niemand hatte Ahnung. Das Wichtigste mussten wir uns selbst beibringen“
Kit, eine junge trans Frau, steht vor der Backsteinfassade eines Starbucks-Cafés

Kit ist trans – und ziemlich streitlustig Foto: Johannes Hoer

Das große amerikanische Ding ist wirklich, dass die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben eine so geringe Rolle spielt. Arbeitgeber behaupten, dass alle Familie und Freunde seien, und dann versuchen sie, dich auszunutzen“, sagt Kit. „Aber ich bin nicht deine Familie, und ich bin auch nicht deine Freundin, das hier ist meine Arbeit. Wenn es ein Problem gibt, muss man das angehen, und da hilft übertriebene Höflichkeit nicht.“

Am Arbeitsplatz von Kit und ihrer alleinerziehenden Kollegin Gabrielle in Salt Lake City sind die Starbucks Workers United sofort sichtbar, auf ausliegenden Flyern und Ansteckern. „Ein Faktor ist sicher, dass wir hier unsere Rechte kennen und Verstöße dagegen immer sehr bestimmt und sofort angesprochen haben. So vieles hier war anfangs improvisiert. Kol­le­g*in­nen kamen zu mir mit Fragen, und alles, was ich sagen konnte, war:,Keine Ahnung, ich hab doch nicht Jura studiert, ich arbeite hier bloß, wie ihr.' Und weil niemand eine Ahnung hatte, mussten wir uns das Wichtigste eben selbst beibringen.“ Kit überlegt kurz, dann grinst sie. „Vielleicht bin ich auch einfach streitlustig und habe keine Angst vor Konfrontationen.“

Kit spricht leise, klingt aber sehr bestimmt dabei. Die Hauptarbeit fällt für sie am Drive-in an: Ein Bildschirm listet Bestellungen auf, in roten und grünen Ziffern wird die Bearbeitungszeit sekundengenau gemessen. Kit und Gabrielle wechseln sich bei den Schichten ab. Vor dreieinhalb Jahren hat sie bei Starbucks angefangen, auch wegen der Krankenversicherung, die geschlechtsangleichende Operationen abdeckt. „Viele andere Arbeitgeber haben Angebote, die eine günstigere und bessere medizinische Versorgung gewährleisten – aber eben nicht diese Operation, weil sie sie als kosmetischen Eingriff ansehen. Ich kenne viele trans Leute, die explizit deshalb hier arbeiten. Auch sind Cafés generell liberalere Orte, das gilt besonders hier im konservativen Utah.Viele queere Leute finden deshalb eine Heimat in dieser Branche.“

Sie selbst hat die Arbeit in der Gastronomie aber nicht nur aus rein pragmatischen Gründen gewählt: „Ich mag diesen Beruf wirklich gern: Ich mag es, mit unseren Kun­d*in­nen zu quatschen, und bin eine Kaffee-Enthusiastin. Wenn Geld nicht das Problem wäre, könnte ich mir das für eine wirklich lange Zeit vorstellen.“ Ihre Zukunft, meint Kit, hänge aber entscheidend an der Gewerkschaft: „Da ist viel Hoffnung im Spiel. In unserem Bundesstaat gibt es bis heute nur zwei gewerkschaftlich organisierte Starbucks-Filialen. In letzter Zeit aber, seitdem wir Tarifverhandlungen vorbereiten können, haben wir insgesamt einen Gang zugelegt. Das fühlt sich gut an. Wir haben wirklich versucht, Starbucks an den Verhandlungstisch zu bekommen, und haben uns viel mehr untereinander abgesprochen. Im späten Oktober beginnt nun unsere erste Verhandlungsrunde.“

Diese betrifft nicht nur ihre Filiale allein: „Wenn die Gewerkschaften bei Starbucks und Amazon Erfolg haben, kann das etwas sehr Großes lostreten. Niemand versteht das besser als die, denen diese Unternehmen gehören, und man spürt, dass sie bereit sind, weit zu gehen, um die Entwicklung aufzuhalten. Wenn die Gewerkschaften bei Starbucks und Amazon scheitern, dann wird es für lange Zeit nichts Vergleichbares geben. Es steht also viel auf dem Spiel. Wir werden bald sehen, ob man optimistisch sein kann.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.