Sichtbare Grauzonen

Taiwanesische Filme im Metropolis spüren sich wandelnden Geschlechterbildern nach

So muss ein Kassenschlager aussehen: Schöne, junge Menschen jagen in den Häuserschluchten einer modernen Metropole ihrem Liebesglück nach, die Oberflächen und Fassaden glänzen, ein elektronischer Soundtrack hält die gut gebauten Leiber auf Trab, komische Elemente federn aufkommenden Liebesfrust ab. Formula 17 wäre ein Allerwelts-Blockbuster, wäre da nicht ein kleiner Haken: Die Leiber sind allesamt männlich, und die glitzernden Fassaden zieren ein imaginäres Taipeh, in dem Heterosexualität nicht existent ist.

Gedreht hat den schwulen Liebesreigen ohne Frauen die 23-jährige Newcomerin Chen Yin-jung, die damit den Nerv der Zeit traf. Der im März 2004 in Taipeh uraufgeführte Formula 17 wurde zum erfolgreichsten taiwanischen Film der letzten zehn Jahre. In Monika Treuts Dokumentation Den Tigerfrauen wachsen Flügel, der die taiwanische Filmreihe „Tigerinnen auf dem Sprung“ im Metropolis eröffnet, erklärt Chen Yin-jung den Erfolg ihres Films mit den vielen Zuschauerinnen, die sich gerne Männer ansehen, die so ganz anders sind als die groben Kerle zu Hause: zärtlich, schön, romantisch, nachgiebig, verspielt.

Ein Schwulenfilm von einer Frau für Frauen – das ist nur eine der vielen Verwerfungen und Verschiebungen der Geschlechterrollen und -bilder in Taiwan, denen Monika Treut in ihrer Doku nachspürt. Auch die älteste der drei von Treut porträtierten Frauen verdankt ihren Erfolg der Aneignung einer männlichen Rolle: Aufgrund ihrer tiefen Stimme und herben Gesichtszüge wurde Hsie Yueh Hsia in der wandernden Operntruppe, an die sie ihre Eltern im Alter von drei Jahren verkauften, in die Rolle des „jungen Mannes“ gezwungen. Vor allem dank weiblicher Verehrerinnen wurde sie zu einem berühmten Opern-Star und brachte eine achtköpfige Familie durch. In Hsies Lebensweg spiegelt sich nicht nur die bewegte taiwanische Geschichte, sondern auch die Tradition des „Aimei“. Der Begriff steht für die Grauzone zwischen den Geschlechtern, in der sich Männer verkörpernde Frauen und feminine Männer bewegen, die in Asien eine lange Tradition haben.

Die dritte Porträtierte ist die Schriftstellerin Li Ang, die im Metropolis aus ihrem neuen Roman Sichtbare Geister lesen wird. Li Angs Romane, Kolumnen und Fernsehauftritte kreisen um die Rolle der Frau, und mit ihrer Kritik an der taiwanischen Gesellschaft sorgt sie immer wieder für Kontroversen. Als kosmopolitische, unverheiratete, politisch aktive Intellektuelle ist sie ein Vorbild für viele taiwanische Frauen geworden.

Wie diese Doku spürt die gesamte Filmreihe Wurzeln und zeitgenössischen Repräsentationen der Wandlungen im taiwanischen Geschlechterbild nach. Während Dokus wie Grandma‘s Hairpin und Spring den Verflechtungen zwischen weiblichen Biographien und taiwanischer Geschichte beleuchten, drehen sich Spielfilme wie Eat Drink Man Woman, 20 – 30 – 40 und Betelnut Beauty um junge Leute auf der Suche nach einer eigenen Geschichte. Volker Hummel

Eröffnung der Taiwan-Reihe im Metropolis: Do, 23.6., 20 Uhr mit „Den Tigerfrauen wachsen Flügel“