Nach dem Urteil zur Friedrichstraße: Fairness gerät unter die Fahrräder

Regierungschefin Giffey (SPD) und ihre Vize Jarasch (Grüne) beharken sich über die Zukunft der autofreien Friedrichstraße. Das erinnert an Wahlkampf.

Manche wünschen sich hier die Autos zurück: Radfahrende in der Friedrichstraße Foto: imago

BERLIN taz | Wie fair wollten sie doch miteinander umgehen, sich in keinem Fall durch Wahlkampf blockieren. Das war bisher von allen drei rot-grün-roten Koalitionspartnern im Bann des anstehenden Urteils zur Wahlwiederholung zu hören gewesen. Ein anderes Urteil, nämlich das zu freier Fahrt in der Friedrichstraße, zeigt jetzt, wie wenig von diesen Beteuerungen zu halten ist: Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) und ihre Stellvertreterin, die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, fetzen sich dazu wie zuletzt im Wahlkampf 2021 und weit deutlicher als noch beim Gezerre um das 29-Euro-Ticket.

Was war passiert? Das Verwaltungsgericht hatte der Klage einer Händlerin aus der Friedrichstraße im Bezirk Mitte stattgegeben und am Dienstagmorgen verkündet: Binnen 14 Tagen müssen wieder Autos durch die derzeitige sogenannte Flaniermeile rollen dürfen – den Abschnitt zwischen Leipziger und Französischer Straße also, der für Autos seit August 2020 gesperrt war.

Jarasch, eigentlich im Urlaub, um vor dem mutmaßlich anstrengenden Winter noch mal durchzuschnaufen, hatte daraufhin über die Pressestelle ihrer Senatsverwaltung das Urteil als langfristig folgenlos darstellen lassen. „Das Verfahren zur endgültigen Umwandlung und die Einrichtung der Fahrradstraße in der Charlottenstraße laufen unabhängig von der heutigen Gerichtsentscheidung weiter“, ließ sich die Senatorin zitieren. Sie wolle „die Flaniermeile Friedrichstraße, eine gute dauerhafte Lösung als Fußgängerzone“. Ob man in zweiter Instanz gegen das Urteil angeht, werde die Senatsverwaltung nun prüfen.

Das war am Dienstag um 12.31 Uhr. Zwei Stunden später machte Giffey in der Pressekonferenz nach der Senatssitzung klar, was sie von einer solchen Prüfung hält, nämlich gar nichts. „Es ist ein Urteil gefallen, und das muss auch zügig umgesetzt werden“, sagte die Regierungschefin, die auch SPD-Landesvorsitzende ist. Sie kritisierte, dass die Straße nach dem Ende des dortigen Verkehrsversuchs – wie nun festgestellt – widerrechtlich gesperrt blieb: „So lange kein kluges Gesamtkonzept auf dem Tisch liegt, kann man nicht einfach am Status quo festhalten und sagen, wir lassen das laufen.“

Jarasch kontert

Rund fünf Stunden später konterte wiederum Jarasch in der „Abendschau“ des RBB: „Ich bin nicht sicher, ob Franziska Giffey genau verstanden hat, worum es bei diesem Urteil ging.“ Und lieferte – via Bildschirm aus dem Urlaubsort zugeschaltet – deshalb gleich ihre Auslegung: „Es geht ausschließlich darum, dass Zeit verstrichen ist zwischen dem Ende des Verkehrsversuchs und der endgültigen Teileinziehung, so nennt man die Sperrung für den Autoverkehr.“ Dass das Verwaltungsgericht das so ähnlich sehen könnte, legt die Überschrift der Pressemitteilung nahe, unter der das Gericht sein Urteil publik machte: „Vorerst freie Fahrt in der Friedrichstraße.“ (Hervorhebung durch die taz).

Franziska Giffey, SPD

„So lange kein kluges Gesamtkonzept auf dem Tisch liegt, kann man nicht einfach am Status quo festhalten und sagen, wir lassen das laufen.“

Das Urteil zu den Wahlpannen vom 26. September 2021, das den Hintergrund für den Schlagabtausch bietet, hat das Verfassungsgericht für den 16. November angekündigt. Nach klaren Hinweisen bei der mündlichen Verhandlung ist zu erwarten, dass es zu einer Wiederholungswahl kommt. Dafür gilt der 12. Februar 2023 als wahrscheinlichster Termin. Ihn legt nicht wie sonst der Senat, sondern wegen der Besonderheit der Wiederholung der Landeswahlleiter fest.

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