Regierungsbildung in Italien: Vorwärts in die Vergangenheit

Bei ihrer Kabinettsbildung tut Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni alles, um die postfaschistischen Kräfte ihrer Koalition herunterzuspielen.

Mitglieder des neuen italienischen Kabinetts stellen sich in einer Reihe auf

Hoher Altersdurchschnitt, niedrige Frauenquote: Italiens neues Kabinett Foto: Alessandra Tarantino/dpa/ap

ROM taz | Italiens Rechtsregierung steht: Am Samstag trat die neue ­Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zusammen mit ihrem Kabinett bei Staatspräsident Sergio Mattarella zur Ableistung des Amtseids an, am Sonntag übergab der scheidende Regierungschef Mario Draghi ihr offiziell die Amtsgeschäfte.

Herzlich war die Atmosphäre bei beiden Terminen, so als sei hier alles demokratische Routine, in der Regierungen kommen und gehen, in der Wahlen natürlich auch zu Machtwechseln führen. Die letzte Wahl vom 25. September hatte die Rechtsallianz aus Melonis postfaschistischer Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens), aus Matteo Salvinis Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia klar für sich entschieden; vor allem Meloni konnte sich angesichts der 26 Prozent für ihre FdI über einen wahren Triumph freuen.

Doch ist es tatsächlich demokratische Routine, wenn jetzt eine von rechtspopulistischen Kräften dominierte, von einer postfaschistischen Partei angeführte Koalition in Rom an die Schalthebel der Macht gelangt? Immerhin handelt es sich hier um einen Präzedenzfall, wie ihn ganz Westeuropa seit 1945 bisher nicht erlebt hat.

Bei ihrer Kabinettsbildung jedenfalls tat Giorgia Meloni alles, um den postfaschistischen Charakter ihrer Koalition herunterzuspielen und um demokratische Normalität zu signalisieren. Dies alles mit dem Ziel, die europäischen Partner und die Finanzmärkte vorneweg zu beruhigen. Zwar scheiterte sie mit ihrem ursprünglichen Plan, Schlüsselressorts wie Äußeres, Inneres, Finanzen und Justiz mit parteilosen Technokraten ohne großen Rechtsschlag zu besetzen – fast durch die Bank lehnten die Wunschkandidaten dankend ab.

Keine verstörenden Signale ans Ausland gesendet

Deshalb sitzen jetzt doch Leute aus den drei Koalitionsparteien in fast allen Ministerien, worüber diverse Kom­mentato­r*in­nen in Rom lästern, denn so hatten 11 der 24 Mi­nis­te­r*in­nen schon Silvio Berlusconis letzter Regierung in den Jahren 2008 bis 2011 angehört. Zudem ist der Altersdurchschnitt hoch und der Frauenanteil mit gerade einmal 25 Prozent äußerst niedrig.

Dennoch ist es Meloni gelungen, keine verstörenden Signale ans Ausland zu senden. So stammt der neue Außenminister Antonio Tajani zwar aus der Partei des bekennenden Putin-Freunds Berlusconi, doch hat Tajani seit seiner Wahl ins Europäische Parlament im Jahr 1994 seine ganze Karriere auf der europäischen Bühne absolviert, war von 2008 bis 2014 EU-Kommissar, dann von 2017 bis 2019 Präsident des Europäischen Parlaments, tritt als überzeugte Europäer und als fester Verbündeter der Ukraine auf.

Und auch Finanzminister Gian­carlo Giorgetti kommt zwar aus Salvinis Lega, gilt dort aber als heimlicher Anführer der „Gemäßigten“, als Mann der leisen Töne und des Dialogs, der sich rühmt, mit Draghi ein freundschaftliches Verhältnis zu pflegen, kurz: als einer, der bei den Brüsseler Beratungen des Rates für Wirtschaft und Finanzen Ecofin kein Porzellan zerschlagen wird.

Gleiches gilt für den neuen Verteidigungsminister Guido Crosetto und den Europaminister Raffaele Fitto. Beide stammen zwar aus Melonis FdI, haben aber keine faschistische, sondern eine christdemokratische Vergangenheit.

Zweites Ziel der 45-jährigen Postfaschistin

Schließlich wäre da noch der Innenminister, nicht zuletzt zuständig für Migrationspolitik. Lega-Chef Salvini wollte dieses Amt, das er schon in den Jahren 2018/2019 für seine Politik der „geschlossenen Häfen“, mit propagandistisch inszenierten Schikanen gegen Flüchtlinge und gegen die in der Seenotrettung aktiven NGOs genutzt hatte. Doch Salvini scheiterte an Melonis Veto; sie gab das Amt einem Technokraten, dem bisherigen Präfekten Roms, Matteo Piante­dosi.

Gleich mehrfach ausgebremst muss sich auch Berlusconi fühlen. Der alternde Forza-Italia-Chef wollte sowohl das Justiz- als auch das Wirtschaftsressort für seine Partei. Schließlich läuft immer noch ein Prozess wegen Bestechung in einem Justizverfahren gegen ihn, weil er das Stillschweigen junger Frauen in den Verfahren um seine Bunga-Bunga-Partys mit hohen Geldsummen erkauft haben soll. Und schließlich droht ihm deshalb bei einer Verurteilung die erneute Schmach des Verlusts seines Mandats als Senator, wie es ihm schon 2013 widerfahren war. Ein befreundeter Justizminister, der an den einschlägigen Gesetzen dreht, wäre da gerade recht gekommen – doch dank Melonis Njet wurde daraus nichts, ebenso wenig wie aus dem Versuch, das Wirtschaftsministerium zu ergattern, in dessen Zuständigkeit auch die Medien – und damit das Kerngeschäft des TV-Moguls Berlusconi – fallen.

Den offenen Konfrontationskurs in Europa vermeiden, außerdem der Parallel-Agenda von Salvini oder Berlusconi samt Negativschlagzeilen den Riegel vorschieben: Das ist erkennbar das eine Ziel, das Meloni bei der Regierungsbildung verfolgte. Doch zur Koalition des bloßen Weiter-so wird ihre Allianz darüber nicht. Ein zweites Ziel hatte die 45-jährige Postfaschistin ebenso klar im Auge: Die versprochene rechtsreaktionäre Wende soll keineswegs ausfallen.

Für diese Wende steht vorneweg die neue Ministerin für „Familie, Geburten und Gleichstellung“, Eugenia Roccella. Die stramm konservative Katholikin kämpft seit Jahren unermüdlich gegen eingetragene Lebenspartnerschaften und will nur die „traditionelle Familie“ gelten lassen, sie streitet gegen „Gender-Indoktrination“ an den Schulen und ist überzeugte Abtreibungsgegnerin. Die Pro-Life-Verbände jubeln, die LGBTIQ-Vereinigungen sind entsetzt.

Giorgia Meloni, die sich selbst immer wieder als „Patriotin“ bezeichnet und deren Leitmotto „Gott, Vaterland, Familie“ ist, wird sich selbst also kaum untreu werden. Vorwärts in die Vergangenheit, ohne dabei international allzu sehr aufzufallen – dies ist und bleibt ihr Plan.

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