das wird
: „Diese Frau hatte immense Kraft

Das Metropolis erinnert mit dem Filmporträt „Himmel und Mehr“ an Psychiatrierebellin Dorothea Buck

Himmel und Mehr. Dorothea Buck auf der Spur, mit der Regisseurin, Metropolis-Kino, Hamburg, 9. 10., 19.30 Uhr

Interview Friederike Gräff

taz: Frau Pohlmeier, wie haben Sie Dorothea Buck kennengelernt?

Alexandra Pohlmeier: Über Ihre Autobiografie „Auf der Spur des Morgensterns“. Ich muss da ein bisschen ausholen: Ich bin Filmregisseurin und Autorin und habe selbst einmal in der Psychiatrie gearbeitet. Ich habe ein Spielfilmdrehbuch geschrieben, aus der subjektiven Sicht einer Frau, die ein bisschen aus der Realität gerät. Dann bin ich auf das Buch von Frau Buck gestoßen. Darin gab es ein paar Szenen, die ich mir ohne Kenntnis der Person für mein Spielfilmdrehbuch genauso ausgedacht hatte. Und dann habe ich Kontakt zu Frau Buck aufgenommen.

Wie war die erste Begegnung?

Wir waren schnell beim Du. Ich hatte ihr mein Drehbuch vorher zum Lesen geschickt und dann sagte sie im ersten Gespräch: „Ach, Alexandra, warum machst du denn einen Spielfilm? Du bist doch eigentlich Dokumentarfilmerin!“ Dann habe ich gesagt: „Ja, gut, aber dann mache ich einen Film über dich.“

Dorothea Buck war vieles: Opfer der NS-Psychiatrie und Psychiatrierebellin, Künstlerin – war Ihnen eine Seite besonders wichtig?

Es war gleichwertig. Sowohl die Psychiatrierebellin als auch die Künstlerin, denn eine weibliche Bildhauerin ist ja bis heute etwas Besonderes.

Und Dorothea Buck selbst?

Ich glaube, auch für sie selber waren diese Bereiche schwer zu trennen. Sie hat ja bis zum Lebensende, noch im Pflegeheim, den Impuls gehabt, kreativ etwas zu machen. Ich hatte sie schon im Interview gepiesackt und gefragt, warum sie denn die Kunst aufgegeben hat. Da war ihr wichtig zu sagen: „Es war einfach der Punkt in den 60er-Jahren, wo ich dachte: Solange es an der einfachsten Menschlichkeit fehlt, kann ich keine Kunst machen.“

… in der Psychiatrie fehlt?

In dem Moment hat sie es wohl vor allem auf die Psychiatrie bezogen, aber ich glaube, sie meinte auch die ganze Gesellschaft der 60er-Jahre. Dieses Allumfassende, das war typisch Dorothea Buck. Sie sagte: „Ich musste mich dann für das entscheiden, was mir wichtiger ist.“ Und in den 60er-Jahren, als das Thema „Euthanasie“ aufkam, war das ihr dringendstes Anliegen.

Mich hat in dem Film ihre Offenheit beeindruckt, über etwas so Verletzendes wie die Zwangssterilisation zu sprechen.

Sie war ein offener Mensch. Aber vor der Kamera merkt man schon, dass es heikel für sie ist, über ihre Narbe über der Scheide zu sprechen. Nachdem sie irgendwann aufgegeben hatte, von mir vorab ein Drehbuch zu verlangen, hat sie mir einfach vertraut. Der Winter nahte, und sie sagte: „Ja, ich weiß nicht, ob ich diesen Winter überlebe. Wer jetzt noch was von mir wissen will, der muss jetzt kommen.“

Es gab eine Leerstelle für mich im Film: Dorothea Bucks Verhältnis zu ihren Eltern nach der Zwangssterilisation. Blieb das bewusst offen?

Foto: Joho

Alexandra Pohlmeier

62, Filme­macherin und Autorin.

Sie hat darüber ein Leben lang mit ihren Eltern gehadert und ich habe das die Schwester erzählen lassen. So reflektiert sie vieles gesehen hat, an der Stelle konnte sie nicht erkennen, dass die Eltern so gehandelt hatten, wie es das Beste für sie war.

Es klingt absurd: das Beste durch eine Zwangssterilisation.

Nur so hatte sie die Chance, die Anstalt zu verlassen. Sonst wäre sie als Anstaltspatientin höchstwahrscheinlich gleich in die „Euthanasie“ gekommen. Aber das konnte sie bis zum Lebensende nicht anerkennen.

Mit der Zwangssterilisation waren ihre Träume – Kinder haben, einen sozialen Beruf ergreifen – zerstört. Warum wirkt Dorothea Buck trotzdem so mit sich im Reinen?

Ich glaube, sie hat durch das psychiatrie­politische Engagement und die vielen Menschen, zu denen sie Kontakt hatte, ein sehr erfülltes Leben geführt. Sie hat einmal zu mir gesagt: „Im Grunde war es ja gut, dass es so gekommen ist, sonst hätte ich ja gar nicht die Zeit für die Kunst gehabt und für die aktivistischen Sachen.“ Ich glaube, dass sie es darum auch geschafft hat, gesund zu werden: Diese Frau hatte eine solch immense innere Kraft, dass sie zu dieser Selbstreflexion fähig war. Sie hat es für sich nicht nur hingebogen zum Guten, sondern sie hat das so leben können.