Vom Wert Olympischer Spiele: Aristokrat im Dienst des DDR-Sports

Warum einst Ringen wirklich wichtig war. Und wie ein Adeliger mit Nazi-Vergangenheit aus dem Westen zum großen Olympiafunktionär der DDR wurde.

Schwarz-Weißaufmahem zweier schmächtiger Ringer

Halbfliegengewichtler Claudio Pollio packt seinen Gegner bei den olympischen Spielen 1980 in Moskau Foto: Itar-Tass/imago

Ich weiß noch, wie ich, im Fernsehen lief Olympia in Moskau, die Medaillen des Tages in ein Heftchen eintrug und danach einen Wutanfall bekam, denn ich hatte den Halbfliegengewichtler Saksylik Uschkempirow an die falsche Stelle gesetzt. Der siegreiche Russe, keine 48 Kilogramm schwer, kämpfte in der griechisch-römischen Technik, der Italiener Claudio Pollio, auch er so leicht wie eine halbe Fliege, war Freistilringer. Ich hatte die beiden verwechselt, und das trieb mich zur Weißglut. Diese kleine Episode illustriert, wie ernst die Olympischen Spiele schon von 9-jährigen Kindern genommen wurden.

Olympia stand in der DDR auf Platz eins, dann kam Fußball, dann irgendwas. Die Mittel flossen dorthin, wo es im Wettstreit mit dem Westen viele Medaillen zu gewinnen gab. Der Bereich „Sport I“ mit 18 Sportarten erhielt drei Viertel des Geldes, die restlichen 17 Sportarten 25 Prozent: Sport II. Olympia galt als Exerzierfeld der Ideologen, auf dem ein Stellvertreterkrieg der Blöcke inszeniert wurde. Niemand in der DDR-Nomenklatura wäre auf die Idee gekommen, Sport und Politik zu trennen. Beide Sphären klebten so fest aneinander wie heute die Hände von Klimabewegten am Asphalt.

Einer der größten olympischen Propagandisten in der DDR war ausgerechnet ein Adeliger mit Nazi-Vergangenheit: Manfred von Brauchitsch. Der Spross aus einem schlesischen Adelsgeschlecht wurde 1960 Präsident der Gesellschaft zur Förderung des Olympischen Gedankens in der DDR, kurz DFOG. Die Geschichte, wie er zu diesem Posten kam, ist abenteuerlich, denn Manfred von Brauchitsch, Herrenfahrer pfeilschneller Mercedes-Boliden, Sturmführer des NS-Kraftfahrercorps, persönlicher Referent von Junkers-Chef Heinrich Koppenberg und Referent im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion unter Albert Speer, diente sich den DDR-Oberen an. Schon 1950 kam er mit Walter Ulbricht in Kontakt.

Flucht in die DDR

Brauchitsch unterzeichnet seinerzeit einen Aufruf der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands „gegen eine Remilitarisierung Deutschlands“ und wird 1951 Mitorganisator der kommunistischen Weltjugendspiele. Sein Buch „Kampf um Meter und Sekunden“ erscheint 1953 in einem Ost-Verlag; das Honorar lässt ihm Ulbricht in Westmark überweisen.

All das bringt ihm im Westen Ärger ein. Brauchitsch kommt wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, Geheimbündelei und Staatsgefährdung“ für acht Monate ins Gefängnis, Untersuchungshaft. Einer erneuten Verhaftung entzieht er sich durch Flucht in die DDR.

Seine Karriere als Funktionär beginnt. Brauchitsch, der nach Aussage des ehemaligen Pressesprechers des DDR-Olympiakomitees, Volker Kluge, nie in der SED war, erhält als Olympia-Promoter drei Mal den Vaterländischen Verdienstorden und 1988 den Olympischen Orden des IOC – was Manfred Ewald, Chef des DTSB, missfallen haben soll, verständlich, fremdelte die kleinbürgerliche Elite doch mit dem „Weltmann“ (Kluge), der „nie seinen aristokratischen Dünkel ablegen konnte“.

Kluge, selber Stasi-belastet (IM „Frank“), hält den ehemaligen Rennfahrer für einen „ehrlichen Makler“, der vom Westen schlecht behandelt worden sei, doch nach der Wende war es ausgerechnet der Mercedes-Konzern, der dessen karges Rentendasein finanziell aufbesserte.

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