Aber ist es dann noch Kunst?

Zwielichtige Alter Egos des Künstlers Dirk Dietrich Hennig führen bei einer Ausstellung im Sprengel Museum Hannover die Selbstüberschätzung von Institutionen vor

D.D. Hennig ist C.G. Rudolf und der ist auch mal Marcel Duchamp, hier vertreten mit „Étude pour la Broyeusede Chocolat no. 2.“ 1914/ o.A./2016 Foto: Sprengel Museum 2022

Von Bettina Maria Brosowsky

Viele kennen bestimmt das Zürcher Künstlerduo Peter Fischli und David Weiss. Aber wer sind George Cup & Steve Elliot? Gut zehn Jahre älter als ihre Schweizer Kollegen zählten die beiden Söhne deutscher Emigrantenfamilien angeblich zur US-Avantgarde der 1960er Jahre. Ihr künstlerisches Spektrum umfasste von der Malerei bis zum Experimentalfilm alles, was sich in Richtung geometrischer Abstraktion auslegen lässt. Ihre häufig durch große, monochrom schwarze „Ausblendungen“ gekennzeichneten Arbeiten hielten Einzug in renommierte Sammlungen und gehörten zum US-amerikanischen Kunstkanon der minimal art – bis Steve Elliot im Jahr 1986 eines gewaltsamen Todes verstarb. Schnell wurde George Cup des Mordes an seinem Partner überführt, anschließend ihr Werk geächtet, systematisch aus Sammlungen und Depots entfernt und zerstört. Erst nach der Rehabilitierung Cups und seinem Tod 2008 begann eine Neubewertung. Tate Modern wie Centre Pompidou hoben schließlich das Duo, durch Ausstellungen aus dem Nachlass, zurück auf den ihm gebührenden Platz in der Kunstwelt der Gegenwart.

Diese Geschichte ist zu schön, um wahr zu sein. Sie ist in der Tat eine der „Geschichtsinterventionen“, mit denen der 1967 geborene und heute in Hannover lebende Konzeptkünstler Dirk Dietrich Hennig seit seinen Studien an der Kunstakademie Münster operiert. Das US-Künstler- und offensichtlich so tragische Liebespaar erfand er 2007 während eines einjährigen Aufenthalts in New York.

Cup & Elliot sind aber nur zwei Figuren in einem ganzen Reigen fiktiver männlicher Protagonisten Hennigs. Der reicht von der historischen Fantasie des Münsteraner Kaufmanns Hinrich von Hagen (1482–1534) und seines wiedergefundenen persönlichen Schatzes bis zum deutsch-deutschen Schicksal des promovierten Historikers und Kunstfälschers Carl Gerhard Rudolf, geboren 1922 in Erfurt, verstorben 2012 in Venedig. Hennig schlüpft dabei als Darsteller und Interpret in die jeweilige Rolle, der er mit Dokumenten, Fotos oder Zeitungsausschnitten weitere Authentizitätsversprechen zu verleihen versteht.

Zu Vita, Werk und Sammlung dieses C. G. Rudolf hat Hennig gerade eine so intelligente wie schlüssige und in der Qualität ihrer künstlerischen Exponate schier virtuose Ausstellung im Sprengel Museum Hannover eingerichtet. Rudolf war demnach am Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften in Berlin, Hauptstadt der DDR, tätig. Er geriet ins Visier des Ministeriums für Staatssicherheit, wurde der Spionage bezichtigt.

Um der Strafverfolgung zu entgehen, ließ er sich darauf ein, zur Devisenbeschaffung im Rahmen des real existierenden Bereiches Kommerzielle Koordinierung, kurz: KoKo, im Osterberliner Ministerium für Außen- und Innerdeutschen Handel Kunstwerke der klassischen und zeitgenössischen Moderne zu fälschen. Lediglich auf Grundlage einfacher Reproduktionen schuf der künstlerische Autodidakt Rudolf während 20 Jahren so wahre Meisterwerke: Malerei von Duchamp, Picasso, Mondrian, Reliefs von Arp oder Schwitters, veritable Objektkunst wie Christos „wrapped toy horse“ von 1965 oder die zweiteilige Studie „Toilet-“ und „Sink-Hard-Model“, 1966 von Claes Oldenburg aus bemalter Pappe gefertigt.

Rudolf imitierte aber nicht einfach nur Bekanntes, sondern er schuf in der Manier des medienbekannten „Jahrhundertfälschers“ Wolfgang Betracchi neu entdeckte, bis dato unbekannte Werke, die stimmig das Œuvre des jeweiligen Künstlers „erweitern“. In seinen theoretischen Schriften reflektierte Rudolf zudem das Phänomen der Aura eines Kunstwerks, gemäß Walter Benjamin ja an ein kollektiv sanktioniertes Original gebunden. Rudolf weitete den Begriff aus auf eine durch die Re­zi­pi­en­t:in­nen „projizierte Aura“, quasi ein Religionsersatz, die er anhand von ihm geschaffener Werke empirisch belegte.

Was aber ist dann Kunst? Welche Werte beten wir an, wenn wir eine Ausstellung oder ein Museum besuchen? Raffiniert decouvrieren D. D. Hennig und sein Alter Ego C. G. Rudolf die intellektuelle Selbstüberschätzung der Institutionen, dass einzig sie es nämlich seien, die unsere Kunstgeschichte „machen“ dürfen.

„Die Sammlung Rudolf“: Dirk Dietrich Hennig, Sprengel Museum Hannover, bis 8. Januar