Kriegs-PR in der Ukraine: Vorsicht, bissiger Briefträger

Was den Humor betrifft, ist die Ukraine eskalationsfähiger als Russland. Selbst mit einem alten Kommunikationsmittel wie der Briefmarke.

Eine Frau fotografiert sich selbst vor einer überdimensional großen briefmarke mit dem Motive der brennenden Krim-Brücke

Die nächste Sonderbriefmarke? – Selfie in Kiew vor dem Motiv der brennenden Krimbrücke Foto: Sergei Chuzakov/ZUMA/imago

Schenkt man dem Präsidenten der ukrainischen Post Glauben, dann ist es wieder an der Zeit, eine neue patriotische Briefmarke herauszugeben, dieses Mal mit dem Motiv der brennenden Brücke zwischen der von Russland annektierten Halbinsel Krim und dem russischen Festland.

Das Ausgabedatum stehe noch nicht fest, schrieb (oder scherzte?) der Geschäftsführer von Ukrposhta, Igor Smelyansky, kürzlich in seinem Telegram-Kanal. Doch in der Innenstadt von Kiew wurden bereits überlebensgroße Tafeln mit solchen Briefmarken aufgestellt, ein beliebtes Selfie-Motiv für Bür­ge­r*in­nen.

Gar nicht zum Lachen war bekanntlich die bisherige Reaktion des Kreml auf die Brücken-Havarie, Bombardements ukrainischer Städte, bei denen Zi­vi­lis­t*in­nen ihr Leben lassen mussten. Doch ukrainische Briefmarken mit patriotischen Motiven sind schon lange eine Begleiterscheinung des Krieges – Ersttagsbriefe mit dem Motiv „Russisches Kriegschiff – fick dich“ etwa werden unter Philatelisten derzeit mit rund 160 Euro auf Ebay gehandelt – und dort läuft auch bereits ein Vorverkauf für die noch gar nicht endgültig entworfene Krimbrücken-Marke.

Den Anfang hatte besagtes russisches Kriegsschiff gemacht. Die Briefmarke zeigt den im Frühjahr vor Odessa versenkten Raketenkreuzer „Moskwa“ und die oben zitierte Aufschrift, ein überliefertes Funk-Zitat aus den ersten Tagen des Krieges, als die „Moskwa“ vor der ukrainischen, strategisch wichtigen Schlangeninsel aufgekreuzt war.

Außerdem abgebildet ist ein ukrainischer Soldat, der dem Schiff einen Stinkefinger zeigt. Das Motiv wurde aus über 500 Vorschlägen ausgewählt, am Ende hatte sich eine Illustration des Zeichners Boris Groh durchgesetzt.

Eine gewisse Berühmtheit erlangte auch jene Briefmarke, die einen Traktor dabei zeigt, wie er einen russischen Panzer abschleppt. Versehen ist sie mit der Aufschrift: „Guten Abend, wir sind aus der Ukraine“, ein informeller Militärgruß, der häufig auch in patriotischen Onlinepostings Verwendung findet.

Hundertausende Ukrai­ne­r*in­nen hatten über fünf verschiedene Designs für dieses in normalen Zeiten doch etwas schräg anmutende Postwertzeichen abgestimmt. Und als die Bögen mit den gedruckten Marken, jeweils sechs Stück, schließlich in den Postämtern erhältlich waren, bildeten sich Schlangen vor deren Schaltern.

Tier- statt Personenkult

Aber was sind schon normale Zeiten: Während Briefmarken üblicherweise zur wohlgefälligen und natürlich auch ein bisschen langweiligen Selbstdarstellung von Staaten genutzt werden – statt zerstörter Brücken feiert man da lieber das hundertjährige Bestehen eigener Brücken –, scheinen sie in der Ukraine zu einem festen Bestandteil des durch den russischen Angriffskrieg erst richtig in Gang gekommen Prozesses des Nation-Building zu werden.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Und zu einem Propagandamittel, das die Erfolge der eigenen Armee und den Durchhaltewillen der Bevölkerung beschwört. Neu daran ist vor allem, dass hier nicht verbissen, sondern humorvoll vorgegangen wird – erneut zeigt die Ukraine hier ihre Über­legenheit auf dem Feld der Public Relations, vor allem natürlich im direkten Vergleich zu dem verlässlich auf das Reich des Bösen abonnierten Russland.

Personenkult wie aus dem zuletzt so vertraut wirkenden 20. Jahrhundert findet man (noch?) nicht im Sortiment der ukrainischen Post, stattdessen feierte Präsident Wolodimir Selenski gemeinsam mit seinem Post-Chef Smelyansky die Einführung einer Briefmarke, die das Antlitz eines Hundes zeigt – wenn auch eines heldenhaften: Es handelt sich dabei um „Patron“, einen Jack-Russell-Terrier und Minensuchhund, der nationale Berühmtheit erlangt hat und dem im Beisein des kanadischen Premierministers Trudeau auch bereits ein Orden von Selenski verliehen worden ist.

Und „im Westen“? Nichts Neues für Philatelisten, außer dass die Queen allmählich von den Briefmarken des Vereinigten Königreichs wird verschwinden müssen, um Charles Platz zu machen.

Keine guten Nachrichten für das dortige Postwesen. Wenn es auch in Europa wieder Aufschwung erhalten könnte: In Zeiten, in denen man uns rät, Taschenlampen und batteriebetriebene Radios vorzuhalten, kann auch ein Vorrat an Briefmarken nicht schaden.

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