Rechte in Israel: Kaum was übrig

Israels Regierungschef Jair Lapid setzt zionistisches Streben fort, doch sein Pragmatismus prallt auf gegnerische Kräfte.

Portrait von Jair Lapid - zwischen zwei israelischen Fahnen

Jair Lapids politische Ansichten bleiben recht nebulös Foto: Ronen Zvulun/reuters

Der jüdische Denker Gershom (Gerhard) Scholem schrieb 1926 in einem Brief an Franz Rosenzweig eine Art wütende Prophezeiung hinsichtlich der Verweltlichung der hebräischen Sprache. „… muß denn dann nicht die religiöse Gewalt dieser Sprache eines Tages ausbrechen? Und welches Geschlecht wird dieser Ausbruch finden? Wir leben ja in dieser Sprache über einem Abgrund, fast alle mit der Sicherheit des Blinden, aber werden wir nicht, wir oder die nach uns kommen, hineinstürzen, wenn wir sehen werden.“

Scholems Voraussage betraf nicht unbedingt nur die Sprache. Der Zionismus war in seinen Anfängen ein Versuch, die Juden auf den Pfad der Säkularisierung und Modernisierung zu führen. Scholem und andere nannten das „Rückkehr zur Geschichte“. Die ersten Zionisten waren in der Regel Pragmatiker, Rationalisten und Macher. Sie versuchten, die Vision auf die moderne politische Welt zu übertragen.

Israels heutiger Regierungschef Jair Lapid setzt auf vielerlei Weise dieses Streben fort. Er ist komplett weltlich, aber doch bereit, sich mit den Orthodoxen zusammenzusetzen, um eine Koalition zu bilden. Seine politischen Ansichten bleiben recht nebulös. Einerseits ist er liberal, andererseits hat er kein sonderliches Pro­blem, sich selbst als Nationalisten zu inszenieren, wenn ihm das für seinen Wahlkampf als sinnvoll erscheint. Er strebt einen Kompromiss mit den Palästinensern und regionalen Frieden an, gibt sich aber schon seit Jahren demons­trativ als politischer Falke – einzig aus elektoralen Erwägungen. Vor vielen Jahren, als Lapid noch Journalist und Autor war, schrieb er das Drehbuch zu der Fernsehserie „Kriegszimmer“, die vor Pragmatismus regelrecht strotzt. Lapid ist gewissermaßen der natürliche Erbe von Politikern wie dem Zionistenführer Chaim Weizmann, nur dass er dessen Feierlichkeit und Würde durch die eigene Tel Aviver Coolness ersetzte.

Lapids Pragmatismus prallt auf gegnerische Kräfte in der israelischen Gesellschaft, die wie ein zu lange stehen gelassener Hefeteig in monströse Ausmaße aufgehen. Benjamin Netanjahu, Lapids Gegenkandidat, der im Übrigen auch mal ein Liberaler war, erkennt diese Kräfte und macht sie sich zu eigen. So pilgerte er zu Rabbi Zvi Thau – noch so ein deutscher Jude – und einer der gefährlichsten, düstersten Rabbiner, deren Einfluss auf die religiöse Öffentlichkeit ständig wächst. Er propagiert die Konversionstherapie für Homosexuelle, und ginge es nach ihm, würde Israel zum Gottesstaat. All das stört Netanjahu wenig. Er möchte Rabbi Thau zu seinem Partner machen und ist zu nahezu allen Zugeständnissen bereit. In dieser Hinsicht ist auch Netanjahu Pragmatiker. Aber Netanjahus Pragmatismus ist komplett zynisch. Er markiert das Ende des Zionismus als Bewegung des weltlichen Nationalismus und im Prinzip das Ende des israelischen Lebens, wie wir es kennen.

Der Vormarsch der rechten Radikalen in Israel ist deutlich vergleichbar mit den Entwicklungen in Polen. Wie in Polen ist die pragmatische säkulare Rechte auch in Israel durch die Annäherung an die religiösen Fundamentalisten nahezu verschwunden. Eine weltliche Rechte existiert kaum noch in Israel, wobei ihr Untergang nicht erst jetzt beginnt. Für die frühere Justizministerin Ajelet Schaked – rechts bis in die Knochen und komplett weltlich –, die mit eigener Partei antritt, ist das ein Pro­blem. Sie wird die Einzugsquote kaum schaffen, wenn in gut zwei Wochen gewählt wird. Netanjahu kapiert das, deshalb wendet er sich der Büchse der Pandora zu, über die schon Scholem schrieb, den antiken Geistern der jüdischen Religion, den Fanatikern und Rassisten.

Aus dem Hebräischen: Susanne Knaul

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