Umgang mit Stammgästen: Eine spezielle Spezies

Stammgäste zu haben ist eine Freude – man kennt ihre Angewohnheiten und Vorlieben. Schwieriger wird es, wenn der Gast daraus Sonderrechte ableitet.

Ein Aschenbecher und ein Bierdeckelhalter mit wenigen Bierdeckeln auf einem Holztisch

„Übrigens, wir kommen schon seit Jahren“: Stammtisch mit Aschenbecher und Bierdeckeln Foto: photocake/plainpicture

Es gibt einen Satz, mit dem ich nichts anfangen kann. Der Inhalt bleibt mir auch verschlossen, egal, mit welchem Unterton er gesprochen wird. Manchmal freundlich, manchmal neutral feststellend, bisweilen fast drohend, meist höre ich ihn bei der Reservierung oder der Ankunft der Gäste: „Übrigens, wir kommen schon seit Jahren in den Schwan.“ Der Versuch, diese Information zu verarbeiten, führt bei mir regelmäßig zu einer kritischen Systemüberlastung.

Dieser Satz kann so ziemlich alles bedeuten, zum Beispiel: Schön, dass das Haus weitergeführt wird. Oder: Mal sehen, ob die eine Stufe auf der Treppe in den 2. Stock noch genauso quietscht wie vor drei Jahren. Nur sehr selten kommt ein Nachsatz, das hilft dann etwas: Beispielsweise: „Wir übernachten immer in Zimmer Nr. 5!“ Oder: „Sie haben doch hoffentlich noch Bacchus auf der Weinkarte?“ Das kann ich wenigstens konkret beantworten: Bacchus gibt es keinen. Und wenn Zimmer 5 belegt ist, dann ist Zimmer 5 eben belegt.

Stammgäste sind eine spezielle Spezies. Das wusste ich schon, bevor ich Wirt wurde. Aber wie bizarr die Situationen mit ihnen werden können, die nicht die eigenen, sondern gewissermaßen hinzugepachtet sind, das habe ich mir nicht ausmalen können. Zum Beispiel die Herrschaften mit Zimmer Nr. 5. Der Mann erzählte, in seinem Büro hingen inzwischen dieselben Bilder wie dort. Es sind Aquarelle von Paul Klee.

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Bitte nicht falsch verstehen. Es ist selbstverständlich angenehm, bekannte Menschen begrüßen zu dürfen. Man kennt ein paar Angewohnheiten, vielleicht sogar ein paar Details aus dem Leben, da ist man schneller im Gespräch und es fällt leichter, es den Menschen heimelig zu machen. Doch es wird zur Prüfung für die gastronomische Beziehung, wenn der Gast daraus Gewohnheitsrechte ableitet oder sich sogar vorkommt wie im eigenen Besitzstand – erst recht dann, wenn die neuen Wirtsleute keinen Schimmer haben, wie sich das alles entwickelt haben könnte. Inzwischen antworte ich, wenn sich jemand als Stammgast identifiziert: „Dann bin ich gespannt, ob Sie entdecken, was wir hier alles verändert haben.“

Neulich hatte ich wieder so einen Fall. Da sagte ich genau diesen Satz zu der alten Dame, die sich an der Rezeption so vorstellte: „Wir waren hier das erste Mal 1972.“ Sie antwortete flott: „Oh, es hat sich wahrscheinlich alles verändert.“ Am Abend stellte sich heraus, 1972 waren sie zuletzt zu Besuch gewesen, Anlass war die Heirat. Die Dame hatte genau zu ihrem 50. Hochzeitstag gebucht. Bei Tisch packte sie mit ihrem Mann einen Karton mit Fotos und Einladungskarten von damals aus, sie hatten sie seit Jahrzehnten nicht mehr angesehen. Wir fanden einen passenden Wein, arrangierten schnell ein Candle-Light-Dinner. Beim Abschied sagte die alte Dame, es wäre wahrscheinlich eine gute Idee, nun öfters zu kommen.

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