EU will Pestizid-Zulassung verlängern: Noch mindestens ein Jahr Glyphosat

Die EU wird das umstrittene Pestizid wohl wenigstens ein weiteres Jahr zulassen – auch mit deutscher Hilfe. Umweltschützer fürchten um den Ausstieg.

Portrait von Cem Oezdemir

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir Foto: Simone Kuhlmey/Pacific Press Agency/imago

BERLIN taz | Das unter Krebsverdacht stehende Pestizid Glyphosat darf in der EU wahrscheinlich mindestens ein Jahr länger als bisher beschlossen benutzt werden. Bei einer Abstimmung der Mitgliedstaaten im zuständigen Ausschuss gab es am Freitag laut Europäischer Kommission nicht die nötige „qualifizierte“ Mehrheit, um einen Vorschlag der Behörde auf Verlängerung der Zulassung zu stoppen. Dazu trug auch Deutschland bei, das sich enthielt.

Die Kommission will nun einen Berufungsausschuss der Mitgliedsländer befragen, aber dort ist ebenfalls kein gültiges Veto zu erwarten, da die Befürworter der vorläufigen Verlängerung bis 15. Dezember 2023 bei Weitem in der Überzahl sind. Die Kommission kann dann ihren Antrag allein umsetzen – und das wird sie Beobachtern zufolge auch tun, denn sonst hätte sie ihn ja nicht gestellt.

Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO bewertete den Unkrautvernichter 2015 jedoch als „wahrscheinlich krebserregend“. Denn mit Glyphosat gefütterte Ratten und Mäuse hatten Tumore entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte einen der Hersteller, die deutsche Bayer AG, zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf das Mittel zurückführen. Bayer beruft sich auf mehrere Zulassungsbehörden, die das Mittel als sicher eingestuft haben. Das Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt.

Die Kommission begründete die Verlängerung in ihrem Antrag damit, dass ihre Fachbehörden nicht vor Juli 2023 ihr endgültiges Gutachten zu den Risiken von Glyphosat abgeben könnten. Der erste Entwurf des Gutachtens kam zwar zu dem Schluss, dass der Stoff sicher sei. Aber daraufhin habe die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit bei einer Befragung der Öffentlichkeit sehr viele Kommentare bekommen. Zudem habe die Behörde zusätzliche Daten von den Glyphosat­herstellern angefordert und erhalten. Die ExpertInnen müssten nun „eine sehr hohe Zahl von Punkten“ diskutieren. Das dauere und sei nicht die Schuld der Industrie. Deshalb müsse die Zulassung laut EU-Recht verlängert werden, bis das Gutachten fertig ist.

Bioland kritisiert die deutsche Enthaltung bei der Abstimmung als falsches Signal

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland kritisierte die Entscheidung. „Ich habe Sorge, dass der Glyphosatausstieg in dieser Legislaturperiode nicht mehr gelingt“, sagte Katrin Wenz, Agrarpolitikexpertin der Organisation, der taz. Die Pestizidlobby sei „personell unheimlich gut aufgestellt“ und werde die zusätzliche Zeit nutzen. Wenz hatte vor der Abstimmung Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) aufgefordert, gegen die Verlängerung zu stimmen. Die Umweltschützerin verlangte nun erneut, dass die Bundesregierung sich an den Koalitionsvertrag der Ampelparteien hält. Darin steht wörtlich: „Wir nehmen Glyphosat bis 2023 vom Markt.“ Kritisch äußerte sich auch Deutschlands größter Ökobauernverband Bioland: „Wenn man aussteigen will aus Glyphosat, ist Enthaltung ein falsches politisches Signal“, sagte Gerald Wehde, Geschäftsleiter Agrarpolitik und Kommunikation.

Das Agrarministerium erklärte seine Enthaltung damit, dass man der EU-Kommission nicht im Weg stehen wolle, Glyphosat rechtssicher zu bewerten. Somit solle sichergestellt werden, dass eine endgültige Entscheidung über eine weitere Zulassung vor Gerichten Bestand habe.

Das Pestizid-Aktionsnetzwerk Europa wandte dagegen ein, dass ein Verbot schon jetzt möglich sei. Dabei könne sich die EU angesichts zahlreicher wissenschaftlicher Hinweise auf Risiken auf das Vorsorgeprinzip be­rufen.

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